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Der FDP-Abgeordnete Otto Fricke liebt die freie Rede, mehr aber noch das Gespräch. Arbeit beginnt für ihn immer mit Kommunikation.
Marilyn Monroe lächelt. Der ganze Raum wird von ihrem Lächeln beherrscht. Großformatig fällt es an jeder Wand aus dem Rahmen. Die an den Tischen sitzen und miteinander reden, gehen kleine Allianzen mit der Traumfrau ein. Draußen ist es kühl und ein sonniger Frühlingstag kündigt sich an. Drinnen beginnen einige Menschen ihren Arbeitstag.
Otto Fricke hat sich zu acht Uhr im Café Einstein in der Straße Unter den Linden verabredet. Acht Uhr ist an einem Sitzungstag eine gute Zeit. Noch eine Stunde bis zu Beginn der Plenardebatte. Gestern hat er bis spät abends vorgearbeitet, und auf die Mitarbeiter im Büro kann er sich verlassen.
Um 6.40 Uhr ist der 38-jährige FDP-Abgeordnete aufgestanden, hat sich für einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug, ein hellblaues Hemd, eine dunkelblaue Krawatte und schwarze Schuhe entschieden. Er ist der frühen Verabredung wegen nicht noch schnell runter in die „Butterstulle” gegangen, wie er es oft tut. Dort bekommt man den ersten Kaffee, ein Frühstück, und wenn man ausgeschlafen ist, kann man ein bisschen mit dem Besitzer des Cafés plaudern. Über den Nachwuchs zum Beispiel. Hat der Besitzer müde Augen, ahnt Otto Fricke, dass es etwas mit dem Schlafverhalten des Babys zu tun hat. Als Vater von drei kleinen Kindern kann er da mitreden.
Die Zeitung von heute hat Otto Fricke bereits gelesen. Sie lag gestern Abend bereits bei „Ossi” aus, der Kneipe im Haus der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft.
Stefan Kapferer, Dienststellenleiter der Landesvertretung Niedersachsen in Berlin, kommt pünktlich. Der Abgeordnete und der Dienststellenleiter kennen sich schon lange. Sie spinnen einen guten Faden miteinander, wenn es darum geht, Bundespolitik und Landespolitik zu verknüpfen. Heute reden sie über das so genannte Optionsgesetz, das am Freitag im Bundestag debattiert wird und in dem es darum geht, dass Kreise und kreisfreie Städte die Möglichkeit erhalten sollen, Aufgaben der Agenturen für Arbeit auszuführen, beispielsweise bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen. Der Gesetzentwurf wird den Abgeordneten Fricke an diesem Tag noch einmal beschäftigen. Stefan Kapferer befürchtet schlechte Auswirkungen für die Kommunen, auch wenn vieles für das Anliegen spricht. Ist das Gesetz ausreichend? Es geht in dem Gespräch auch um das „Hartz IV” genannte Reformpaket und darum, ob die angekündigte Entlastung von Kommunen um 2,5 Milliarden Euro auch wirklich erreicht wird.
Otto Fricke ist Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages. Er steckt im Thema und kennt Hintergründe. Trotz der schwierigen Thematik finden die beiden Männer zum Schluss noch Zeit, über ihre Kinder zu reden. Stolz, wie Väter sein können, berichten sie über Rekordzeiten im Sitzen, Steh- und Laufversuche der Jüngsten. Beide schneiden gut ab.
Kurz vor neun verabschieden sie sich voneinander und der Abgeordnete geht zu seinem nächsten Gesprächstermin ins Restaurant im Reichstagsgebäude. Gemeinsam mit Abgeordneten anderer Fraktionen bereitet er das Programm für das „14. Wochen-ende der Begegnung mit Gesprächen über Glaube und Werte” vor. Workshops müssen organisiert werden, Podiumsdiskussionen, Stadtbesichtigungen, Kulturprogramme und auch die Finanzierung ist noch nicht vollständig geklärt.
„Ich bin ein gläubiger Mensch”, sagt Otto Fricke. Und: „Ich finde es wichtig, über das Thema Glaube und über Wertvorstellungen zu diskutieren. Diese Veranstaltung ist eine schöne Art und Weise, das zu tun.” Er erklärt sich bereit, den Workshop zum Thema Familie zu übernehmen. Auch die anderen Dinge werden zügig geklärt.
Kurz vor zehn sind die wichtigsten Dinge besprochen und der Abgeordnete geht ins Plenum. Im Büro warten allerdings bereits die nächsten Gesprächspartner, die Eheleute Stockhausen aus Krefeld, dem Wahlkreis von Otto Fricke.
Es fällt schnell auf, dass der Kalender des FDP-Abgeordneten von Gesprächsterminen beherrscht wird. Er kläre, das sagt er selbst von sich, am liebsten Probleme im persönlichen Gespräch. Auch später am Tag wird man ihn fast immer so erleben: zuhörend, mitredend und stets von einer ganz offenen und sehr einnehmenden Freundlichkeit. Dazu will es sein Glück, dass er schon vom Typ her jemand ist, mit dem man schnell warm wird und gern über das Leben und die Arbeit redet. Ältere würden vielleicht sagen, er habe so etwas Jungenhaftes und Jüngere schätzen wohl, dass er stets signalisiert, das Gegenüber ernst zu nehmen.
Irgendwann an dem langen Tag schleicht sich allerdings auch die Frage ein, ob Otto Fricke als Schüler bevorzugt in die erste Reihe gesetzt wurde, weil er keiner Gesprächsmöglichkeit mit dem Sitznachbarn widerstehen konnte. Da habe er sich lieber selbst diszipliniert, erklärt er, und sich freiwillig in die erste Reihe gesetzt.
Im Büro kümmern sich die Mitarbeiterin Manuela Lindinger und die Mitarbeiter Lauriel Lehmann und Florian Rohde um die Gäste aus Krefeld, bis Otto Fricke aus dem Plenarsaal kommt. Es ist ein schönes Büro, mit Fotos von den Kindern an der Wand, einer Sammlung Basecaps, einer Kuckucksuhr, die zum Schweigen verurteilt ist, und bei Frau Lindinger lächelt Robbie Williams von der Wand. Auch so ein freundlicher Typ. Ebenso der Praktikant Christian Thönes, der heute seinen letzten Arbeitstag hat und am Abend verabschiedet wird.
Die Mitarbeiter führen Herrn Stockhausen nach dem Gespräch durch das Reichstagsgebäude, während Otto Fricke sich auf den Weg zu seinem Fraktionskollegen Daniel Bahr und dessen Besuchergruppe macht. Vorher diktiert er noch einen Brief und spricht Termine ab. Das Diktieren ist für ihn eine leichte Übung. Einmal, weil er Anwalt ist, und zum anderen, weil er vor seiner Abgeordnetentätigkeit viele Jahre als Referent für die FDP-Fraktion im Bundestag gearbeitet hat – ein Vorteil, der sich an vielen Stellen bemerkbar macht. Jemand wie Otto Fricke kennt die Abläufe, weiß, was die Mitarbeiter leisten und hat ein sicheres Gespür dafür, wann was erledigt werden muss und wie groß der Aufwand sein wird.
Um 11 Uhr ist er im Fraktionssaal der FDP, wo die Besuchergruppe mit mehreren Abgeordneten der Fraktion über Gesundheitsreform, Haushalts- und Sicherheitspolitik diskutiert. Um 11.20 Uhr erzählt Otto Fricke etwas über seinen Arbeitsbereich. Bleiben kann er bis kurz nach zwölf, dann erwartet ihn, der stellvertretender Vorsitzender der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe ist, ein Vertreter der niederländischen Botschaft zum Gespräch.
Kurz vor zwei kommt Otto Fricke in den Plenarsaal, und da wird er, mit kurzen Unterbrechungen für Büro und Gespräche am Rande, bis abends bleiben. Im Büro befasst er sich hauptsächlich mit der Vorbereitung seiner Rede, die er am kommenden Tag im Plenum zum Optionsgesetz halten soll. Ausformuliert wird sie nicht, der Abgeordnete liebt die freie Rede und arbeitet mit Stichpunkten auf Karteikarten.
Im Plenum geht es an diesem Tag unter anderem um einen Gesetzentwurf zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik, um die Begrenzung, Befristung und degressive Gestaltung von Subventionen und um ein Gesetz zur Reform des Sanktionsrechts. Diese Debatte beginnt gegen 16 Uhr. Otto Fricke ist einige Minuten zuvor aus seinem Büro in den Plenarsaal gekommen. Ein junger Fraktionskollege, Volker Wissing, wird seine Jungfernrede halten. Zu einem solchen Anlass bemühen sich alle Abgeordneten der FDP-Fraktion, da zu sein, um moralische Unterstützung zu leisten. Die Rede wird mit Bravour gehalten; es geht um die Ersetzung von Freiheitsstrafen bei mittlerer und kleinerer Kriminalität durch gemeinnützige Arbeit. „Schwitzen statt sitzen” hat die Bundesjustizministerin das Anliegen bündig umschrieben. Und es geht streitbar zu bei der Diskussion. „Wen haben Sie denn da eingekauft?”, ruft ein SPD-Abgeordneter in Richtung FDP-Fraktion, als Volker Wissing seine Rede hält. „Qualität, Herr Hartenbach”, ruft Otto Fricke zurück und lacht.
Gegen 17 Uhr übernimmt der FDP-Abgeordnete für seine Fraktion den Plenardienst. Er sorgt dafür, dass die nächsten Redner dem Präsidium zur Kenntnis gegeben werden und bei Abstimmungen ausreichend Kollegen anwesend sind.
An diesem Tag wird auch noch ein Antrag im Plenum diskutiert, in dem es um Wahlrecht von Geburt an geht, und der von vielen Abgeordneten der FDP-Fraktion unterstützt wird. Otto Fricke verfolgt die Debatten, redet hin und wieder mit seinen Sitznachbarn, geht zwischendurch häufig ins Büro, um Post und Papiere durchzuarbeiten.
Um 21 Uhr wird bei „Ossi” der Praktikant verabschiedet. Alle aus dem Büro sind da, auch der Abgeordnete. Danach hat er noch ein wenig Zeit für Büroarbeit. Die Rede für den nächsten Tag steht, und vielleicht kann er später am Bahnhof Friedrichstraße in einem Schnellimbiss eine Currywurst essen, bevor er in die Wohnung geht. Marilyn Monroe lächelt dort allerdings nicht von der Wand.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier