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Sie sind Teil des Ganzen, ein Zusammenschluss von Abgeordneten, die gleiche politische Grundüberzeugungen haben und in der Regel der gleichen Partei angehören. Vier Fraktionen sitzen gegenwärtig im Bundestag. Jede von ihnen hat eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden, eine wählte eine Doppelspitze. Die Funktion ist mit vielen Pflichten und vielen Rechten verbunden. Wer sie innehat, muss integrieren können und darf das Rampenlicht nicht scheuen. Fraktionsvorsitzende haben es nicht einfach, aber ihre Arbeit ist schön.
„Wir sind ein starkes Duo“, sagen Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager und sagen auch: „Das liegt an den Unterschieden.“
Die Dinge könnten ganz einfach liegen. Wenn sich beispielsweise die beiden Vorsitzenden der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen intern auf eine ganz klassische Hierarchie geeinigt hätten, die eine bestimmt, die andere macht mit, bliebe die Welt in ihrer gern vermuteten Ordnung. Oder wenn die Besitzansprüche klar abgesteckt wären, du dieses, ich jenes, dann beendete das die Suche nach einem Geheimnis: Sind sie nun ein eingespieltes Team, oder haben sie nur eine hervorragende Außendarstellung? Trifft etwa beides zu und wenn ja, kommt es irgendwann zum ersten großen Krach? Man kann ja versuchen, sich und anderen ein Bild zu machen.
Die Wahl der beiden Fraktionsvorsitzenden für das Bild, das von ihnen gemacht werden sollte, fiel auf die Humboldt-Universität, Eingangshalle Hauptgebäude. Hier mischt sich Leben mit Attraktion. Über der breiten Treppe steht in großen Lettern: „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ Hin und wieder kommen Touristen, die ihren Stadtführer ordentlich gelesen haben, um ein Foto von der Inschrift zu machen mit Frau, Freund oder halbwüchsigem Kind davor. Karl Marx hätte das sicher gefallen.
Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager widerlegen beim Fototermin, was so gern über sie geschrieben und gesagt wird. Eine trägt Orange, die andere Braun, von abgesprochener Kleiderordnung keine Spur. „Hast du eine Lieblingsseite?“, fragt Krista Sager ihre Kollegin und lacht. Hat sie nicht, alles ist rundum gut.
Die beiden Frauen stellen sich auf die Treppe, sie setzen sich auf die Treppe, sie schauen nicht auf die Uhr, haben aber die Zeit im Kopf. Heute ist Mittwoch und im Bundestag werden bald wichtige Themen verhandelt. Ob das auch die Welt verändert, wird sich zeigen. Was das Interpretieren anbelangt: Ein Fototermin kann kaum Rückschlüsse darüber geben, wie gut zwei miteinander arbeiten. Was man sieht, sind zwei Frauen, die mit Gelassenheit und Fröhlichkeit vor der Kamera stehen und dabei manchmal aussehen, als redeten sie gerade über Gott und die Welt miteinander.
Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, seit Katrin Göring-Eckardt und Krista Sager an der Spitze der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen stehen, zu der 55 Abgeordnete gehören. Die Verwunderung, dass alles so gut läuft, hat sich gelegt. In den Medien und in der eigenen Fraktion war sie wahrscheinlich von Beginn an nicht groß. Denn von Beginn an hatten die beiden Politikerinnen klar gemacht, dass jede ihren eigenen Stil pflegt und dass es eine gemeinsame Vorstellung von der Ausübung des Amtes gibt.
Das hat ganz praktische Auswirkungen: Fraktionssitzungen werden abwechselnd geleitet, Zuständigkeiten für die einzelnen Ministerien sind klar aufgeteilt, ebenso politische Schwerpunkte, wobei beide Wert darauf legen, über alles informiert und zu allem aussagefähig zu sein. Das klingt sehr sachlich.
„Wir können beide nicht brüllen, aber zuhören. Da entgeht einem weniger.“
Aber da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem Aufteilen der Ministerien. „Wir haben eine Münze geworfen und das Ganze dauerte noch nicht mal eine halbe Stunde“, sagt Katrin Göring-Eckardt. „Ich nehme dann immer Zahl“, sagt Krista Sager, „außerdem arbeiten wir nach dem Prinzip: Wenn die eine den ersten Aufschlag macht, ist die andere mit dem nächsten dran.“ So paart sich Pragmatismus mit einem gewissen spielerischen Element, und am Ende steht beim Werfen einer Münze noch die Aussage: Egal ob Kopf oder Zahl, ich werde beides gut können und gut machen.
Und doch: „Dass wir ein Dreamteam sind, ist keine Selbstverständlichkeit. Dazu gehört politischer Wille, denn wir sind von der Sozialisation her ganz unterschiedlich“, sagt die 51-jährige Hamburgerin Krista Sager. „Wir sind Profis und kommen aus unterschiedlichen Konstellationen. Wir haben verschiedene Erfahrungen gemacht, wir sind nicht nur nett zueinander, sondern natürlich auch Konkurrentinnen“, sagt die 38-jährige Thüringerin Katrin Göring-Eckardt. Vor längerer Zeit einmal hatte sie das mit dem Satz beschrieben: „Wir pampern uns nicht.“ Der wird gern zitiert. Krista Sager lächelt dazu. Wer will schon gepampert werden?
Was den unterschiedlichen Werdegang beider Politikerinnen anbelangt, so scheint, dass sie daraus guten Profit für sich und für die Fraktion schlagen. Unisono wird ihnen ein effektiver Führungsstil bescheinigt und die Fähigkeit, Konflikte zu klären, ohne sie unter den Teppich zu kehren. Und das, sagt Krista Sager, obwohl oder vielleicht weil bei Frauen bestimmte Instinkte nicht funktionierten. „Wir können beide nicht brüllen, aber zuhören. Da entgeht einem weniger. Wir stellen viele Fragen, bevor wir Entscheidungen treffen, auch wenn wir vom Temperament her sehr unterschiedlich sind.“
„Wir haben uns viel damit beschäftigt, wie wir miteinander, mit der Fraktion, mit den Mitarbeitern umgehen. Es war wichtig, das zu Beginn zu klären. Die Hälfte unserer Abgeordneten ist erst seit 2002 im Bundestag. Das muss man beispielsweise bedenken und berücksichtigen, wenn man gut miteinander umgehen will“, sagt ihre Kollegin. Die Frau aus dem Osten, Katrin Göring-Eckardt, verheiratet mit einem Pfarrer, Mutter zweier Kinder, ist in einer Familie groß geworden, in der nicht viel über Politik diskutiert wurde. „Für meinen Vater war Strauß die interessanteste politische Gestalt, meine Mutter hatte, aus eigener schlechter Erfahrung heraus, Angst, dass ich Ärger bekomme, wenn ich mich einmische. Aber ich wollte mich immer einmischen.“ Die Thüringerin spricht dialektfrei, das verwundert etwas. Danach befragt, erzählt sie, dass sie mit 16 beschlossen hat, sich den Dialekt abzugewöhnen, nachdem sie ihre Stimme auf Kassette aufgenommen und sich dann angehört hatte. Das ist auch nur eine Geschichte am Rande, eine von der Fähigkeit, zu Ende zu bringen, was man sich vorgenommen hat.
Seit es Bündnis 90/Die Grünen gibt, ist Katrin Göring-Eckardt in dieser Partei engagiert. Die Frau passt zur Partei, und die Partei passt zur Frau. Zu ihren Vorstellungen von Kinder- und Familienpolitik, von der Gestaltung des vereinigten Landes und zu ihrem Wunsch, zeigen zu können, dass Ostdeutschland nicht nur aus Menschen besteht, die sich schlecht fühlen, sondern aus vielen, die gestalten wollen.
Eine Zeitung schrieb, dass die Unterschiedlichkeit der beiden Frauen an der Fraktionsspitze sich auch an ihren verschiedenen Vorstellungen von einem schönen Sonntag festmache. Katrin Göring-Eckardt bevorzuge die drei „K“ – Kinder, Kirche, Kuchen. Sie nickt: „Kuchen backe ich wirklich sehr gern, und das andere versteht sich von selbst.“ Krista Sager, so war zu lesen, fahre lieber mit dem Fahrrad durch Hamburg. Kuchen mag sie nicht so.
„Geteilte Macht ist auch gut, wenn beide gleichermaßen anspruchsvoll sind.“
Nun, das sind Angelegenheiten, die gern zu Symbolen stilisiert werden, aber Sonntage her und hin, Krista Sager, die Frau aus dem Westen, schon zu Studienzeiten politisch engagiert, wurde im Herbst 1989 zum ersten Mal grüne Fraktionsvorsitzende in der Hamburger Bürgerschaft. Da war Katrin Göring-Eckardt 24 Jahre alt, hatte ein abgebrochenes Theologiestudium hinter sich und lebte in einem untergehenden Land. Die nächsten Jahre verbrachten beide Frauen zwar in der gleichen Partei, aber an unterschiedlichen Orten, wenn auch beide mit stetig größerer politischer Verantwortung.
Mitte der Neunzigerjahre wurde Krista Sager zusammen mit Jürgen Trittin an die Spitze der grünen Partei gewählt, von 1997 bis 2001 war sie Zweite Bürgermeisterin in der rot-grünen Regierung Hamburgs und Senatorin für Wissenschaft. Katrin Göring-Eckardt machte in jenen Jahren als Thüringer Landessprecherin von Bündnis 90/Die Grünen Politik. Krista Sager ist in einer dänischen Großfamilie aufgewachsen. Die weise, sagt sie, eine große Bandbreite von Menschen auf, auch was deren politische Haltungen anbelangt. „Das hat mich sehr geprägt, weil es viel Toleranz erfordert und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung fördert.“
Beide Frauen haben eine positive Einstellung zur Macht. „Macht beinhaltet Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt Krista Sager. „Geteilte Macht ist auch gut, wenn beide gleichermaßen anspruchsvoll sind. Und das sind wir.“
„Der Vorteil geteilter Macht ist, dass man sich absprechen und beraten kann“, sagt Katrin Göring-Eckardt. „Der Nachteil ist, dass man sich absprechen und beraten muss. Das lässt sich nur ausgleichen, wenn beide sehr eigenständig arbeiten, aber alles an Informationen weitergeben.“ Und beide sagen: „Wenn wir uns streiten – natürlich streiten wir uns auch –, dann kommt für jede von uns eine jeweils andere Dimension, eine andere Erfahrung dazu. Das ist Gewinn, auch wenn es Zeit kostet.“
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 15. März 2005