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Alfred Falkenberg arbeitet im Justitiariat des Bundestages. Die Angelegenheiten, mit denen er sich beschäftigt, reichen von normal bis skurril.
In Alfred Falkenbergs Büro hängt die britische Popgruppe „The Cure“ an der Wand. Nicht unbedingt das, was man bei einem Oberamtsrat vermutet. Auch Andy Warhol links daneben passt nicht ganz zu den eigenen Vermutungen, eher schon der riesige Ficus Benjaminus links vor dem Schreibtisch, der dabei ist, sämtliche Blätter abzuwerfen, und somit mehr mit einer Amtsstube in Verbindung zu bringen ist. Warum er das mit den Blättern tut, ist Alfred Falkenberg schleierhaft. Er hat ihn immer gut behandelt.
Die Sache mit der Amtsstube und den dementsprechenden Vermutungen muss man schnell zu den Akten legen. Es ist sowieso alles ziemlich anders.
Im Justitiariat des Bundestages arbeiten 13 Männer und Frauen. Eine Glückszahl, die sich aus Juristen, Sachbearbeitern und Bürosachbearbeitern zusammensetzt. Die etwas archaischen Bezeichnungen „Amtsrat“ oder „Oberamtsrat“ haben nur wenig mit den doch modernen Arbeitsinhalten zu tun. Sie sind einfach tradiert und sagen dem Eingeweihten, welche berufliche Laufbahn der- oder diejenige bereits hinter sich hat und an welcher Stelle im System er oder sie arbeitet.
Alfred Falkenberg ist Sachbearbeiter und gehört somit zum gehobenen Dienst. Der 57-Jährige arbeitet seit 1991 im Bundestag. Seitdem hat er sich in seiner Arbeit mit ganz alltäglichen und manchmal ganz absonderlichen Dingen befasst. Beim heiteren Beruferaten – „Sagen Sie Stichworte, die mit Ihrer Arbeit zu tun haben!“ – könnte Alfred Falkenberg eine Wortreihe wie „Lakritz, Verträge, Verhüllung, Ausschreibung, Milch, Beleidigung, Prozesse, Sozialrecht, Unfall, Rechtspflege, Umzug“ aufmachen. Da müsste Norbert Blüm vielleicht länger darüber nachdenken.
Aber der Reihe nach: Die Arbeit des Justitiariats ist in verschiedene Bereiche unterteilt. Der erste umfasst Prozesse, die der Bundestag führt. Dabei handelt es sich insbesondere um die Bereiche Zivilrecht oder Verwaltungsrecht. Wenn es Kläger und Beklagte gibt, von denen einer der Bundestag ist, wird das Justitiariat tätig. Deshalb sind Alfred Falkenberg und seine Kollegen, wenn es notwendig ist, bei Gericht und nehmen mit entsprechender Vollmacht die Aufgabe eines Anwalts wahr. Gerichte sind Alfred Falkenberg vertraut, er hat in Bonn 17 Jahre beim Amtsgericht gearbeitet, nachdem er eine dreijährige Ausbildung zum Rechtspfleger absolviert hatte. Damals trug der gebürtige Rheinländer die respektheischende Bezeichnung „Inspektor“.
„Alles in allem ist die Arbeit des Referats spannend, abwechslungsreich und trotz aller fachlichen Routine immer wieder eine Herausforderung.“
Prozesse gibt es in einer solch großen Verwaltung wie dem Bundestag nicht wenige. Wenn er Kläger ist, versucht er beispielsweise gegen Medienvertreter vorzugehen, die in Sanitärräumen des Bundestages auf Jagd nach Urinproben gehen, in denen sie Rückstände von Drogen vermuten, die Abgeordnete konsumiert haben sollen. So was schlägt erst hohe Wellen und landet dann vor Gericht und gehört eher zu den spektakulären Angelegenheiten. Alltäglich ist, wenn ein vertraglich gebundener Dienstleister schlechte Arbeit geliefert hat und verklagt werden muss.
Aber der Bundestag kann auch Beklagter sein, als Arbeitgeber oder im Bereich des Zivilrechts beispielsweise. Einmal hat jemand geklagt, weil er Bundespräsident werden wollte und nicht richtig fand, dass es ein anderer wurde. Aber das ist die berühmte Ausnahme. Häufig klagen Bürger, deren Petition vom Bundestag abgewiesen wurde und die sich dadurch ins Unrecht gesetzt fühlen.
Der zweite große Arbeitsbereich sind die so genannten allgemeinen Rechtsangelegenheiten. Das klingt zuerst einmal nicht so spannend. Aber es kann passieren, dass sich jemand wie Alfred Falkenberg in diesem Bereich mit der Anfrage befassen muss, ob Jennifer Lopez auf die Fassade des Reichstagsgebäudes gebeamt werden darf, oder ob es legitim wäre, wenn ein prominenter TV-Moderator im Bundestag Werbung für Lakritz macht.
Natürlich ist der eher größere Teil der allgemeinen Rechtspflege die Klärung sachlicher juristischer Fragen und Probleme. Solche wie Internetrechte oder die Beantragung einer Internetadresse für den Bundestag. Häufig, und das ist nicht sonderlich angenehm, müssen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Referates mit dem Thema Beleidigung des Bundestagspräsidenten und des Bundestages befassen. Manche E-Mails oder Briefe, die das Hohe Haus erreichen, erfüllen diesen Tatbestand, und selbst der größte Unmut darf so etwas nicht rechtfertigen.
Dann kommt der dritte Bereich der Vergabe, von dem Alfred Falkenberg sagt, dass er ihm sehr gefalle. Der Bundestag schließt viele Verträge ab – mit Firmen und Einzelunternehmern beispielsweise. Bei Aufträgen, die zu vergeben sind, müssen grundsätzlich Ausschreibungen stattfinden. Für all die dafür notwendigen Vertragswerke und die Beachtung aller rechtlichen Vorschriften ist unter anderem das Justitiariat zuständig. Jede Vertragsklausel muss stimmen, schließlich geht es meist auch um viel Geld.
Wenn Alfred Falkenberg also eine Ausschreibung für die Beschaffung einer großen Anzahl von Computern schreibt und später den Vertrag aufsetzt, übernimmt er damit auch eine große Verantwortung. Dabei sei ihm aber schon allein deshalb immer wohl, sagt er, weil bei größeren und wichtigen Sachen immer Teamarbeit im Referat und über die Referatsgrenzen hinaus angesagt sei und ein sehr produktives und angenehmes Arbeitsklima herrsche. Den Eindruck hat man bereits beim Betreten des Referates, das seinen Sitz in der Straße Unter den Linden 60-62 hat. Viele Bürotüren stehen offen, und wer vorbeikommt, wird freundlich lächelnd wahrgenommen. Fragen werden häufig geklärt, indem man einfach beim Kollegen nebenan vorbeischaut und die Angelegenheit mit ihm bespricht. Gute Kommunikation ist überhaupt das A und O, denn das Referat arbeitet mit vielen anderen Referaten des Bundestages eng zusammen, indem es ihnen gute Dienste leistet oder deren Dienste in Anspruch nimmt.
„Als ich beim Bundestag anfing, wurden gerade die Verhandlungen mit Christo zur Verhüllung des Reichstagsgebäudes geführt und in Verträge gegossen.“
Viertes Standbein des Referats, sagt Alfred Falkenberg, ist der Bereich Regress- und Schadensersatzansprüche – etwa wenn ein Besucher beim Besuch der Reichstagskuppel stürzt und den Hausherren dafür verantwortlich macht. Der fünfte große Bereich umfasst sämtliche Verträge mit Kantinen oder Restaurants, die in den Häusern des Bundestages angesiedelt sind.
Alles in allem, sagt Alfred Falkenberg, sei die Arbeit des Referats spannend, abwechslungsreich und trotz aller fachlichen Routine immer wieder eine Herausforderung. „Als ich beim Bundestag anfing, wurden gerade die Verhandlungen mit Christo zur Verhüllung des Reichstagsgebäudes geführt und in Verträge gegossen. Das ist ein riesiges Projekt, ein interessantes dazu, und wenn man dann gesehen hat, was am Ende daraus entstanden ist, auch eines, auf das man richtig stolz sein kann.“ In einem kleinen, aber voll gestellten Raum befindet sich das Hinterland des Referats, die Handbibliothek mit all der notwenigen Rechtsliteratur, den Verordnungen, Bestimmungen und Archivmaterialien. Allein der Kommentar zur Verdingungsordnung, die die Auftragsvergabe regelt, umfasst mehrere dicke Bände, und man ahnt, dass hier nur fündig werden kann, wer sowieso viel weiß.
Alfred Falkenberg hat viele Jahre Berufserfahrung hinter sich, wenn auch ganz unterschiedlicher Natur. Mit vierzehn Jahren fing er an zu arbeiten. Bei der Post und als Briefträger. Da rutscht einem wider Willen sofort die Frage heraus, ob er dabei jemals von einem Hund gebissen worden sei. Nein, sagt Alfred Falkenberg und lacht, aber er habe trotzdem großen Respekt vor Hunden.
Gleich neben der Handbibliothek befindet sich der Besprechungsraum des Referats, hier trifft man sich mindestens einmal in der Woche zur gemeinsamen Arbeitsberatung. Vieles kann langfristig geplant werden oder ist ein langwieriger Vorgang. Oft aber müssen „Feuerwehreinsätze“ gefahren werden, morgens kommt die Anfrage und nachmittags muss die Antwort oder Empfehlung da sein. „Das grüne Kreuz“, erklärt Alfred Falkenberg lächelnd, „sagt uns, diese Anfrage oder Anforderung kommt aus dem Büro des Bundestagspräsidenten und muss schnell bearbeitet werden.“
Kein Problem das alles, auch wenn „The Cure“ ein wenig düster in das Arbeitszimmer blicken. Auf die Musik ist Alfred Falkenberg übrigens durch seine Tochter gekommen. Ein guter Zufall, denn das Plakat korrespondiert ein wenig mit dem Blätter werfenden Ficus Benjamini. Sieht fast gewollt aus.
Text: Kathrin Gerlof
Fotos: studio kohlmeier
Erschienen am 14. Februar 2005