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Bildung und Bundesgesetze – wer schon einmal von der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern gehört hat, wird verwundert sein, dass es im Bundestag nicht nur bildungspolitische Sprecher, sondern auch einen Bildungsausschuss gibt – und dass die Möglichkeit, der Bildung bundesweit einen Rahmen zu geben, hier als eine wichtige Voraussetzung für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands angesehen wird. „Auch wenn Bildung grundsätzlich in die Kultushoheit der Länder fällt, kann sich der Bund in wichtigen strategischen Bildungsfragen der Verantwortung nicht entziehen“, unterstreicht die Vorsitzende des Bildungsausschusses des Bundestages, Cornelia Pieper (FDP). Und so ist jedes Bildungsgesetz im Bundestag eine spannende Angelegenheit.
Spannend für Hans-Josef Fell, den Obmann von Bündnis 90/Die Grünen, ist etwa die Modernisierung des Rahmens, den der Bund den Ländern für die Hochschulen gibt. Der europäische Prozess zur Schaffung eines europäischen Hochschulrahmens, der über die EU hinaus geht, verlangt neue Strukturen und Abschlüsse. Am Anfang stand das Ziel, den Hochschulen mehr Autonomie zu geben und die Chancen der Studierenden zu verbessern. In intensiven Diskussionen innerhalb der Grünen-Fraktion, innerhalb der Grünen-Partei, in den regelmäßigen Kontakten zwischen Bundes- und Landespolitikern und nicht zuletzt in den Koalitionsrunden mit der SPD wurden diese Ziele konkretisiert. Als Eckpunkte des Gewünschten vorlagen, arbeitete das Bundesbildungsministerium einen Entwurf für eine Reform des Hochschulrahmengesetzes aus, in den die beiden Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD ihre Vorstellungen Punkt für Punkt einspeisten. Parallel lief eine öffentliche Debatte mit weiteren Anregungen. Als die Bundesregierung die Gesetzesvorschläge als Entwurf beschlossen und in den Bundestag eingebracht hatte, waren auch die Bundesländer bereits offiziell eingeschaltet worden, konnten rechtzeitig zur Behandlung im Bundestag darauf hinweisen, wie sie die Ideen finden.
Der ersten Lesung des Entwurfes im Bundestag folgte die Überweisung in verschiedene Fachausschüsse, unter denen der Bildungsausschuss die Federführung hatte, von anderen die Ergebnisse ihrer Mitberatung anforderte. Sachverständige wurden um ihre Meinung gebeten, die Ergebnisse in den Arbeitsgruppen innerhalb der Koalition besprochen. „Auch das kommunizierten wir immer wieder mit unseren Länderkollegen“, erinnert sich Fell. Und auf dieser Schiene wurde auch ausgelotet, ob im Bundesrat eine Mehrheit zusammen mit den unionsgeführten Ländern gezimmert werden kann. „Das wird immer sehr intensiv gemacht“, weiß Feld. Schließlich geht es gerade bei Bildungsgesetzen immer wieder darum, ob sie von Bundestag und Ländervertretung gemeinsam getragen werden, damit sie überhaupt gültig werden können.
Wenn der Bundestag auf Vorschlag des Fachausschusses das Bildungsgesetz beschlossen hat, ist der Bundesrat an der Reihe. Hat der Bedenken, kann es zu einem Versuch der Kompromissfindung im Vermittlungsausschuss kommen. Darin sitzen 16 Mitglieder des Bundestages und 16 des Bundesrates, die nicht unbedingt Bildungsexperten sein müssen. Aber die holen sich, wenn es um Bildungsfragen geht, stets „intensiven Rat bei den Fachpolitikern“. Und so halten sich, wie Fell weiter schildert, die Bildungspolitiker des Bundestages während der Sitzungen des Vermittlungsausschusses in Nebenzimmern auf, damit „die Kollegen sich jederzeit mit uns besprechen können“.
Im Fall des Hochschulrahmengesetzes hat inzwischen das Verfassungsgericht entschieden, dass manche der Regelungen von den Ländern hätten getroffen werden müssen. Etwa bei der Frage der Juniorprofessur. Trotz der Niederlage schaut Jörg Tauss, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, aber mit Freude darauf, was nun daraus wird: „Unser Reformvorhaben ist jetzt von den Ländern übernommen worden, und zwar nahezu geräuschlos – da hatten wir also offenbar auch schon eine ganz gute Lösung hingekriegt.“
Was daraus wird – drei Wörter, die Regierungsmehrheit und Opposition traditionell völlig unterschiedlich erleben. Auch Katherina Reiche, die bildungspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, denkt bei spannenden Bundesgesetzen auf dem Feld der Bildung spontan an das Hochschulrahmenrecht. Auch sie wollte eine Reform. Eine ohne Studiengebührenverbot, ohne Kapazitätsverordnung, ohne Zentralstelle für die Studienplatzvergabe (ZVS), ohne verfasste Studierendenschaften: „Wir wussten, wir müssen allgemein weniger regeln und brauchen mehr Freiheiten.“ In einem langen Abstimmungsprozess besprach sie das nicht nur mit der internen Arbeitsgruppe Bildung ihrer Fraktion, sondern bat auch mehrere Bildungsministerien in unionsgeführten Ländern um Formulierungshilfen. „Das hat bestimmt ein halbes Jahr gedauert“, erinnert sich Reiche, „denn wenn wir den anderen vorwerfen, schlechte Gesetze zu machen, dann müssen wir selbst ja etwas Solides vorlegen“. Nachdem der Entwurf innerhalb der Bildungsexperten der CDU/CSU in den Ländern und in der Fraktion derart gereift war, ging er in die Gesamtfraktion, wurde von dieser gutgeheißen und dann als eigene Gesetzesinitiative in den Bundestag eingebracht, in erster Lesung beraten und an die Fachausschüsse überwiesen.
So lag denn die Drucksache der CDU/CSU-Fraktion bald genau dort, wo vorher auch der Entwurf der Bundesregierung angekommen war: in der Expertenanhörung. Die macht jeder Fachausschuss, um sich zu vergewissern, wie ein geplantes Gesetz wohl in der Praxis wirken wird. Reiche schildert, wie solche Anhörungen vorbereitet werden. Zunächst einmal müsse man sich mit den anderen Fraktionen auf die Anzahl der Sachverständigen einigen, die gehört werden sollen. „Wie viele brauche ich unbedingt, was könnte zu viel des Guten sein?“
Meistens kommt der Bildungsausschuss mit zwölf bis 15 Experten aus. Die werden dann vom Ausschusssekretariat nach Berlin eingeladen, und zwar auf Vorschlag der Fraktionen, die entsprechend ihrer Größe mehr oder weniger Fachleute benennen dürfen. Welche das sind? Zum Beispiel, sagt Reiche, fragt sich jede Fraktion, welches politische Ziel verfolgt werden soll, recherchiert, wer sich schon einmal zum Thema geäußert hat, sucht nach Experten aus der Praxis, die konkret einschätzen können, was aus den theoretischen Ansätzen in der Realität entwickelt werden könnte. Auch die Landesebene müsse frühzeitig ebenfalls im Stadium der Anhörungen berücksichtigt werden: „Schließlich müssen die Länder das umsetzen, was der Bund als Rahmenrecht formuliert“, erläutert Reiche.
Das Los der Opposition: Sie hat nicht die Mehrheit. Und sie konnte im Verlauf der Ausschussberatungen die Koalitionskollegen nicht von ihren Ideen überzeugen. So empfahl die Ausschussmehrheit dem Bundestag, den Gesetzentwurf der CDU/CSU nicht Gesetz werden zu lassen. Was die Mehrheit in der zweiten und der abschließenden dritten Lesung denn auch tat. Das Ende intensiver Arbeit vieler Monate. Aber nicht das Ende des Vorhabens: „Klar, wir bleiben dran“, kündigt Reiche an. Nachdem auch die Föderalismuskommission von Bund und Ländern zu keinem Ergebnis gekommen sei, gebe es umso mehr die „Notwendigkeit, am Thema dranzubleiben“.
Obwohl gerade die Bildungspolitik nach der Wahrnehmung der vier Bundestagsfraktionen nach wie vor Anlass für auch ideologisch angehauchte Auseinandersetzungen bietet, bedeutet das nicht, dass sich Opposition und Koalition nicht auch auf gemeinsam getragene Bildungsgesetze einigen könnten. Für Tauss ist hier die gerade beschlossene Novelle des Berufsbildungsgesetzes beispielhaft.
Der Gang zum Gesetz begann in diesem Fall kurz nach der Bundestagswahl, als sich die Bildungspolitiker von SPD und Bündnis 90/Die Grünen darüber verständigten, was unter dem Stichwort „Bildung“ in den Koalitionsvertrag geschrieben werden sollte. Die Novelle zur beruflichen Bildung war dabei, und so luden Tauss und seine Kollegen schon kurz nach der Konstituierung des Bundestages zu einer großen Berufsbildungskonferenz, sammelten Vorschläge und Hinweise, Bedenken und Perspektiven. Über hundert Vertreter aus Berufsschulen, Wirtschaft und Gewerkschaften machten sich Gedanken, wie das 1969 entwickelte Berufsbildungsgesetz den inzwischen gewandelten Herausforderungen gerecht werden könnte.
Auch hier besonders wichtig: der Austausch zwischen Bundes- und Länderebene. Mindestens einmal im Jahr kommen die bildungspolitischen Sprecher der SPD von Bundestag und Landtagen zusammen. „Außerdem habe ich einen E-Mail-Verteiler, mit dem ich regelmäßig die Kolleginnen und Kollegen der Länder mit Informationen versorge“, erläutert Tauss. Die wiederum nutzen seinen Verteiler auch, um sich untereinander zu vernetzen und auf dem Laufenden zu halten. Immer wichtiger werde zudem auch die Kommunikation und Kooperation auf europäischer Ebene. Basierend auf der ersten Veranstaltung mit Experten forderten die Koalitionsfraktionen sodann das Ministerium auf, einen Katalog von Eckpunkten für die Reform zu entwickeln. Mit diesen Eckpunkten ging Tauss in seine eigene Arbeitsgruppe, diskutierte sie auch mit den Bildungsexperten des Koalitionspartners, mit Wirtschaftsexperten und Kollegen aus den Ländern – nicht zuletzt mit den Fachabteilungen des Ministeriums und der Ministerin selbst.
Aus diesen Gesprächen filterte die Fraktion eine Wunschliste, die sie dem Ministerium zusammen mit der Bitte um einen ersten Referentenentwurf an die Hand gab. Mit dem Referentenentwurf wandte sich sodann der für das Berufsbildungsgesetz zuständige Berichterstatter der SPD-Fraktion, Willi Brase, an seinen Kollegen von der CDU/CSU, Uwe Schummer, um schon einmal auszuloten: „Gibt es Möglichkeiten zur Einigung?“ Denn auch die Oppositionsfraktionen arbeiteten längst an Gesetzentwürfen zur Berufsbildungsreform oder hatten sie bereits vorgelegt. So hatte die CDU/CSU als erste Fraktion bereits im Juni 2003 ein Eckpunktepapier zum Berufsbildungsgesetz eingebracht.
Kontinuierlich ging die Arbeit an dem Regierungsentwurf weiter, während das Ministerium die Bundesländer beteiligte – und ihn schließlich im Kabinett als Gesetzentwurf formal beschloss. Was die Öffentlichkeit gemeinhin als Auftakt wahrnimmt, weil das Gesetzesvorhaben danach erstmals den parlamentarischen Bereich erreicht und in erster Lesung beraten wird, ist in Wirklichkeit der Schlusspunkt der ersten intensiven Vorbereitungsphase, an der Abgeordnete vor allem der Koalitionsfraktionen direkt und maßgeblich beteiligt sind.
Nach der Überweisung in die Fachausschüsse lud nun wiederum der Bildungsausschuss zur Anhörung ein – mit wiederum einer ganzen Reihe von Vorschlägen, die anschließend auch tatsächlich Eingang in den Gesetzestext fanden. Die Hinweise der Fachleute erlaubten es den Fraktionen immer wieder, eigene Positionen zu räumen, ohne das Gesicht zu verlieren. „Beispielsweise hatten wir uns vorgestellt, regionale Berufsbildungskonferenzen einzurichten“, erinnert sich Tauss. Das hatten er und seine Kollegen unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität und der immer wieder verlangten Regionalisierung von Problemlösungen für eine vernünftige Idee gehalten. „Aber dann hat sich gezeigt, dass das außer uns keiner wollte.“ Und so verschwand die Bestimmung wieder aus dem Gesetzentwurf. „Man sollte sich ja auch nicht verkämpfen“, meint Tauss.
Weiter ging es mit der Auswertung. Das machten die Bildungspolitiker der Fraktionen in ihren jeweiligen Arbeitsgruppen. Wichtig beim Berufsbildungsgesetz war neben der Arbeitsgruppe Bildung der SPD-Fraktion auch die Arbeitsgruppe Wirtschaft. Schließlich liegt das Gesetz auf der Nahtstelle beider Bereiche. Ähnlich lief es in den Bundesländern; auch hier mussten sich Bildungs- und Wirtschaftsministerien in ihrer Einschätzung einig werden. Die einen sind für die Berufsschulen zuständig, die anderen für die betrieblichen Aspekte. „Da mussten wir uns auf den verschiedenen Ebenen zusammenraufen.“ Und es klappte. Auch über die Parteigrenzen hinweg. Tauss: „Ein gutes Beispiel dafür, dass wir fachbezogen zusammenarbeiten und ideologiefrei zu guten Reformen kommen können.“ Auch Cornelia Pieper, zu dieser Zeit Obfrau der FDP im Bildungsausschuss, wählt spontan das Berufsbildungsgesetz als Beispiel für spannende Gesetzgebung – freilich hat sie das Prozedere wieder anders erlebt. Sie erinnert sich an die seit ihrer Amtsübernahme 1998 laufenden Diskussionen um die Frage, welche Konsequenzen daraus gezogen werden müssen, dass immer mehr Jugendliche ohne Berufsabschluss oder sogar ausbildungsunfähig sind. Dass also denjenigen, die vor allem praktisch veranlagt sind, bessere Chancen eingeräumt werden sollten. Nach breit geführten Diskussionen unter Mithilfe von Bildungs- und Wirtschaftsfachleuten und nach einschlägigen Beschlüssen von Parteitagen entstand das Modell einer gestuften und modularen Ausbildung als FDP-Lösungsvorschlag. Der dazu in den Bundestag eingebrachte Antrag fand seinerzeit keine Mehrheit. In dieser Wahlperiode griff die FDP ihre Vorschläge erneut auf, ergänzte sie um etliche Anregungen zum Abbau von Ausbildungshemmnissen, formte daraus einen Gesetzentwurf – und hatte mehr Erfolg. Zumindest in einigen Details können die Liberalen sich im Berufsbildungsgesetz wieder finden. „Aber es blieb nur ein halber Schritt in die richtige Richtung, der große Wurf ist das nicht“, lautet Piepers Bewertung. Deshalb ließ die FDP das Gesetz bei eigener Stimmenthaltung passieren.
Auch für die FDP steht fest, dass die Reformarbeit weitergehen muss. In der nächsten Legislaturperiode soll es einen neuen Anlauf geben, damit die nun in einigen Berufen begonnene Modularisierung auf möglichst viele ausgeweitet wird. Außerdem will die FDP einen Ausbildungspass einführen, in den alle Ausbildungen eingetragen werden und der auch europaweite Anerkennung bekommen soll. Außerdem müsse die Berufsbildung dringend mit der Weiterbildung kombiniert werden. Stichwort: lebenslanges Lernen.
Eine weitere Aufgabe des Bundestages: Modell- und Förderprogramme für den Bildungsbereich auflegen. Zum Teil werden sie mit den Bundesländern gemeinsam getragen und in der Bund-Länder-Kommission abgestimmt, auf jeden Fall aber (mit-)finanziert durch den Bundeshaushalt. Und den schaut sich der Bundestag natürlich sehr genau an, bis er ihn als Gesetz beschließt. „Da nehmen wir schon inhaltlich Einfluss“, unterstreicht Tauss. „Selbstverständlich greifen wir ein, schließlich geht es um die ureigene Kompetenz des Bundestages“, berichtet auch Fell. Die Opposition bleibt zudem in Form von Anfragen an die Bundesregierung am Ball: „Welche Erfolgsquote ist zu verzeichnen? Wie war der Mittelabfluss? So verfolgen wir, ob die Programme sinnvoll sind und ans Ziel führen“, erläutert Reiche.
Für Pieper sind die erfolgreichen Projekte ein weiterer Beweis für das Funktionieren einer Bundesbeteiligung an der Bildungsplanung. „Ich glaube, dass sich Deutschland keinen Gefallen tut, wenn sich der Bund daraus zurückzieht.“ Gleichwohl haben die einzelnen Fraktionen unterschiedliche Orientierungsmuster, wenn sie Bildungsgesetze schreiben. Die FDP etwa will laut Pieper Vorschriften ausdünnen und den Bildungseinrichtungen selbst den Wettbewerb ermöglichen. Für die CDU/CSU ist es eher wichtig, Teile der Bildungspolitik auf Bundesebene zu diskutieren. Jedoch sagt Reiche: „Ich bin davon überzeugt, dass der Bildungsföderalismus für den notwendigen guten Wettbewerb sorgt.“ Auch die SPD akzeptiert, dass Bildung eine zutiefst föderale Angelegenheit ist. „Bildungspolitik ist aber auch eine nationale Aufgabe“, fügt Tauss dem hinzu. Und auch sein Kollege von Bündnis 90/Die Grünen verweist darauf, dass Bildung immer mehr sogar zu einer europäischen Herausforderung wird. Fell: „Wir brauchen einheitliche Bildungsstandards in Deutschland, vielleicht gelingt es sogar, europaeinheitliche auf den Weg zu bringen.“ Da liege es nahe, dass die Definition nicht nur einzelne Bundesländer unternehmen.Es bleibt also viel zu tun. Auch für den Bundestag als Bildungsgesetzgeber.
Text: Gregor Mayntz
Fotos: Picture-Alliance, Deutscher Bundestag
Grafiken: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 15. März 2005
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