> Dossier > Der Ältestenrat
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Ginge es vordergründig nach dem Namen des Gremiums, müsste Otto Schily Vorsitzender des Ältestenrates sein. Denn der SPD-Bundestagsabgeordnete und Bundesinnenminister ist mit 72 Jahren der Alterspräsident des Bundestages. Doch auch wenn der Ältestenrat Besonnenheit und Weisheit für sich reklamiert, ein formaler „Rat der Alten“ ist er nicht. Im Ältestenrat des Bundestages sitzen nicht die ältesten Parlamentarier zusammen, sondern diejenigen, die für den Bundestag und seine Arbeitsabläufe insgesamt Verantwortung tragen: Der Bundestagspräsident und seine vier Stellvertreter sowie 23 weitere, von den Fraktionen gewählte erfahrene Abgeordnete, unter ihnen alle Parlamentarischen Geschäftsführer. Zur Erleichterung der Koordination mit der Bundesregierung nimmt auch ein Vertreter der Bundesregierung teil – zumeist ist dies der Staatsminister im Bundeskanzleramt.
Wenn der Ältestenrat tagt, stehen Fragen auf dem Programm, die unmittelbar die Arbeitsfähigkeit des Parlaments betreffen: In welchen Wochen des Jahres soll der Bundestag überhaupt tagen? Wie viele Ausschüsse soll es geben und welche Fraktion übernimmt den Vorsitz? Wie werden die unzähligen Räume der Parlamentsbauten gerecht auf die Fraktionen verteilt? Wie soll die jeweils nächste Sitzungswoche strukturiert, wann welches Thema auf die Tagesordnung des Plenums gesetzt werden? Wann sollen Gesetze gelesen, Regierungserklärungen abgegeben, Aktuelle Stunden veranstaltet oder die Debatten über wichtige Sachthemen geführt werden? Wie lange sollen die Debatten dauern? Das sind nur einige der vielfältigen Aufgaben, die dem Ältestenrat obliegen.
Daneben ist der Ältestenrat der Ort, an dem plötzlich aufgetretene Streitigkeiten besprochen und geschlichtet werden. Denn wo Menschen zusammenkommen, zumal im politischen Streit erfahrene und in ihren Zielsetzungen kontroverse Volksvertreter, ist der Konflikt programmiert. Wenn dann etwa im Plenum die Emotionen hochschlagen, können eine kurze Unterbrechung und eine Sondersitzung des Ältestenrats mitunter Wunder wirken. Auch eine nachträgliche Betrachtung des Geschehens dient letztlich der Streitschlichtung und Konfliktlösung: Haben sich Sitzungspräsident, die Bundesregierung beziehungsweise Abgeordnete korrekt verhalten? War die Rednerabfolge richtig festgelegt? Wurden die Redezeiten eingehalten? War ein zurechtweisender Ordnungsruf berechtigt?
In all diesen Fällen agiert der Ältestenrat als Konsensorgan. Mehrheitsbeschlüsse sind nicht möglich. Auch der Bundestagspräsident als Vorsitzender des Gremiums hat keine ausschlaggebende Stimme. So muss sich der Ältestenrat selbst zusammenraufen, Vor- und Nachteile eines Votums abwägen, die Verständigung suchen – parlamentarische Tugenden, an denen sich auch die Abgeordneten orientieren können. Deshalb halten sich Geben und Nehmen meist die Waage. Sture Rechthaberei ist eher die Ausnahme im Ältestenrat.
Bestimmte Angelegenheiten des Bundestages entscheiden der Bundestagspräsident und seine Stellvertreter. So ist der Präsident zum Beispiel oberster Dienstherr der über 2000 Mitarbeiter umfassenden Bundestagsverwaltung, legt deren Arbeitsschwerpunkte fest und übt das Hausrecht aus. Doch auch hier lässt er sich in vielen Fragen vom Ältestenrat beraten. Das schafft mehr Übersicht, Kontinuität und Akzeptanz. In der Paragrafensprache der Geschäftsordnung des Bundestages heißt dies lapidar: „Der Ältestenrat unterstützt den Präsidenten bei der Führung der Geschäfte.“
Der Ältestenrat unterstützt nicht nur den Präsidenten, er ist auch als Beschlussorgan zuständig für wichtige politische und administrative Bereiche des Parlaments. Dazu zählt an erster Stelle die Aufstellung des Haushaltsplanes für den Bundestag. Hinzu kommen Bereiche wie Bauvorhaben, Informationstechnik und Raumverteilung. Dazu hat der Ältestenrat des gegenwärtigen Bundestages folgende fünf Kommissionen eingesetzt:
Eine politisch besonders sensible Aufgabe kommt dem Ältestenrat zwischen den Legislaturperioden zu, wenn ein neuer Bundestag schon gewählt wurde, sich aber noch nicht formal konstituiert hat. Gerade in dieser Phase aber sind wichtige Fragen vorzuklären, etwa über Zeitabläufe und Termine und die Zahl der Vizepräsidenten.
Da der alte Ältestenrat für den neuen Bundestag nicht mehr zuständig sein kann, ein neuer aber noch nicht gewählt wurde, bildet sich in dieser Zwischenphase ein so genannter informeller „Vorältestenrat“ aus einigen wenigen Abgeordneten – zumeist wiedergewählte Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen, die „die Dinge in die Hand nehmen“, bis sich offiziell ein neuer Ältestenrat konstituiert hat.
Text: Sönke Petersen
Fotos: Picture-Alliance
Erschienen am 29. Juni 2005