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Ihre Berufung galt als Sensation. Noch niemals in der Geschichte der Bundesrepublik hat der Bundesregierung eine Frau angehört. Deren Vorsitzender findet sich, wie das bei älteren Herrschaften vorkommt, mit der ungewohnten Situation nur schwer ab. So tut er einfach so, als habe sich gar nichts geändert. Wie an jedem Mittwoch eröffnet er die Sitzung mit der Standardformel: „Ich begrüße die Herren.“
Doch die einzige Frau unter 19 Männern hat in einer langen politischen Laufbahn gelernt, sich mit Geduld und Hartnäckigkeit durchzusetzen. Die promovierte Juristin sorgt dafür, dass sich „der Alte“ im Zenit seines politischen Ansehens noch neuen Umständen anpasst. Alle folgenden Sitzungen beginnt er mit den Worten: „Meine Damen und Herren.“
Nicht nur der Regierungschef, auch die Öffentlichkeit muss den Umgang mit der Neuen erst lernen. So wird in Leserbriefen und Kommentaren das schwerwiegende Problem erörtert, ob man ihrem Wunsch entsprechen könne, sie mit den Worten „Frau Ministerin“ und nicht mit „Frau Minister“ anzusprechen.
Lange Jahre hatten ihre Parteifreundinnen darum gekämpft, dass endlich eine Frau in die erlauchte Runde im Palais Schaumburg aufgenommen wurde. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte die ledige Oberkirchenrätin der Evangelischen Kirche das Familienministerium übernommen. Die Männer in der Fraktion lästerten bereits über das „Fräulein Familienminister“. Doch für dieses Ressort hatte die Protestantin die falsche Konfession.
So also wird für sie aus den Zuständigkeiten anderer Ministerien ein neues Ressort, das „Ministerium für Gesundheitswesen“, zurechtgeschneidert. Mangel an Arbeit herrscht nicht: Nur zehn Tage nach ihrem Amtsantritt wird bekannt, dass das Schlafmittel Contergan für die sich häufenden Missbildungen bei Neugeborenen verantwortlich ist. Die neue Ministerin versucht, mit einem Sonderetat rasche Hilfe zu leisten.
Die in Frankfurt am Main kurz nach der Jahrhundertwende geborene Tochter eines Landtagsabgeordneten der Deutschen Volkspartei war bereits als 18-Jährige in der Partei ihres Vaters aktiv, kämpfte mit ihm gegen die Nationalsozialisten. Ein Artikel in den „Frankfurter Nachrichten“, der sich kritisch mit dem NS-Frauenbild befasste, war einer der Gründe, warum sie nach der Machtübernahme der Hitlerpartei den Staatsdienst verlassen und damit das Ziel aufgeben musste, einmal Jugendrichterin zu werden.
1953 wurde sie in den Bundestag gewählt, wo sie gegen den so genannten Stichentscheid in der Ehe ankämpfte, nach dem der Mann als Oberhaupt der Familie das letzte Wort bei Meinungsverschiedenheiten hatte. In Gleichberechtigungsfragen scheute sie den Konflikt mit ihrer eigenen Fraktion und den Beifall der Opposition nicht. Von 1957 bis 1961 war sie stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Mit Bildung der Großen Koalition 1966 verliert sie ihren Ministerposten an eine Sozialdemokratin. Drei Jahre später scheidet sie aus dem Bundestag aus. Sie wirkt weiter im Deutschen Frauenrat und gehört auch zu den Gründungsmitgliedern der „Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments e. V.“. Im Alter von 85 Jahren stirbt sie in ihrer Heimatstadt.
Foto: Picture-Alliance
Erschienen am 17. August 2005
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Die Lösung unseres Rätsels in Heft 05/05
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