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Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Norbert Kersting

Auf dem Weg zu einem effektiven Dienstleister

Die Reform der kommunalen Verwaltung seit den 90er-Jahren
Die deutsche kommunale Verwaltung galt als besonders leistungsfähig. Max Weber attestierte der "bürokratischen Verwaltung" eine hohe technische Überlegenheit. "Präzision, Schnelligkeit, Einheitlichkeit" wurden vor allem durch eine straffe Unterordnung in den streng hierarchisch gegliederten Verwaltungen hervorgerufen. Viele Jahre war die deutsche Verwaltung Vorbild für andere Länder. So verwunderte es, dass Anfang der 90er-Jahre ein Städtewettbewerb der Bertelsmann Stiftung als Gewinner Phoenix (Arizona, USA) und Christchurch (Neuseeland) sah, während die deutschen Kandidaten unter "ferner liefen" landeten. Dies forcierte die Delegitimierung der deutschen Bürokratie und wirkte wie ein Menetekel.

Die daraufhin einsetzende Verwaltungsreform ist seit den 90er-Jahren in einen breiteren Kontext der kommunalen Reformwege einzuordnen. Hierbei zeigen sich auf der einen Seite weitere Reformmaßnahmen im Bereich der Verwaltungsstrukturen und auf der anderen Seite Modernisierungsbestrebungen im Bereich der lokalen Politik. Dabei sind beide Reformstränge eingebettet in einen globalen Modernisierungsprozess, der sich zum Teil zeitlich versetzt auch in Deutschland niederschlägt.

Neben einer Binnenreform der Verwaltung und der Einführung neuer Managementmethoden wird eine erneute Diskussion um eine Territorialreform, Finanz- und Funktionalreform geführt. Hierunter fallen auch Bestrebungen einer erhöhten Dezentralisierung und einer Verlagerung von Aufgaben nach unten. Insbesondere aufgrund der starken Metropolisierung in einigen deutschen Regionen werden erneut Aspekte der Gebietsreform angedacht, die eine Auflösung beziehungsweise Neu-Implementation von Verwaltungsebenen vorsehen. Diese stoßen vor dem Hintergrund der Gebietsreformen der frühen 70er-Jahre teilweise auf vehementen Widerstand.

Die Notwendigkeit kommunenübergreifender Zusammenarbeit zeigt sich aber auch in der Tendenz einer zunehmenden interkommunalen Kooperation. Diese bleibt oft weit weniger umstritten als die Territorialreform, die insbesondere eine Auflösung der Regierungsbezirke und Landkreise und eine Neuentwicklung von Regionalkreisen vorsieht. Weiterhin ist in diesem Reformfenster eine Funktionalreform und eine Gemeindefinanzreform relevant. Sie wird geprägt durch eine von oben aufgesetzte Aufgabenkritik, etwa im Bereich der Sozialgesetzgebung sowie einer auf nationaler Ebene initiierte Diskussion um den deutschen Föderalismus und die Gemeindesteuern.

Sind diese Reformmaßnahmen noch eher ein deutsches Phänomen, so kann die Verwaltungsmodernisierung als einheitlicher globaler Trend der 90er-Jahre im öffentlichen Sektor beschrieben werden. Seit den 80er-Jahren fordern die OECD, Weltbank und IMF eine flächendeckende Einführung von privatwirtschaftlichen Managementprinzipien im öffentlichen Sektor und definieren im Washington-Konsensus eine moderne Verwaltungsführung, die dem deutschen Hierarchiemodell nicht mehr entspricht. In der verspäteten deutschen Umsetzung waren die Kommunen auch aufgrund der Finanzkrise zunächst Vorreiter in diesem Modernisierungsprozess. Bereits 1991 hat die KGSt als ein Organ eines wichtigen kommunalen Spitzenverbandes nicht mehr die klassische hierarchische Bürokratie im Weberschen Sinne vor Augen, sondern entwickelte in Anlehnung an die New Public Management-Debatte und an die holländische Stadt Tilburg ein Neues Steuerungsmodell, das sich wie ein Buschfeuer in fast allen deutschen Gemeinden als Referenzmodell weiter verbreitete.

Diese neuen Managementmethoden lassen sich unter dem Label New Public Management in folgende Charakteristika unterteilen, die in nahezu allen Mitgliedsländern unter gleich lautenden Programmzielen der Verwaltungsmodernisierung propagiert werden: Das zentrale Instrument liegt in einer Budgetreform, die über eine Kosten- und Leistungsrechnung eine stärkere Output-Orientierung gewährleistet. Das bislang bestehende kameralistische System soll in diese Richtung weiter entwickelt werden. Über die neuen Haushalte erwartet man zudem neue Formen der Steuerung, bei denen die Politik (Gemeinderat) die groben Ziele vorgeben soll und die Verwaltung Detailfragen in der Umsetzung klären soll. Insbesondere dies machte das Modell für die Verwaltungsspitze sehr attraktiv.

Neben der Budgetreform und dem Neuen Steuerungsmodell stehen aber noch Reformmaßnahmen in Bezug auf die Personalentwicklung sowie in Bezug auf ein Total Quality Management (Kundenorientierung) im Vordergrund der Binnenreform. Auch wenn diese beiden im Reformprozess oft stiefmütterlich behandelt wurden, sind sie weiterhin auf der Agenda der Reformmaßnahmen.

Diese Aspekte der Binnenmodernisierung dienen der Verbesserung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit und sollen zum Teil über interkommunale Leistungsvergleiche bewertet werden. Weiterhin sind Kommunen in einem besonderen Maß auch dem Wettbewerb mit privaten Anbietern ausgesetzt. Die kommunale Aufgabenkritik ist allerdings bislang kaum ausgeprägt und eine Binnenmodernisierung wurde der Privatisierung vorgezogen. Mit der Modernisierung und Rationalisierung haben viele Gemeinden leistungsfähige Beteiligungsgesellschaften gegründet, die nun verstärkt auch mit privaten Anbietern konkurrieren. Über die Änderungen des Gemeindewirtschaftsrechts sollen die Beteiligungsgesellschaften eingeschränkt werden.

Die Kritik der privaten Anbieter an Quersubventionierung, mangelnder Transparenz und mangelnder Insolvenzmöglichkeit hat in vielen Bundesländern zur Implementation von Subsidiaritätsklauseln geführt. Die Kritik der Kommunen an einer strikten Subsidiarität sieht diese Regelungen als bloße Instrumente der Marktbereinigung und zum Nutzen neuer privatwirtschaftlicher Monopole. Die Städte werden gleichzeitig zu "Agenturen der schlechten Risiken", die lediglich in wenig profitablen Aufgabenbereichen tätig sein dürfen.

Interessanter sind in diesem Zusammenhang weitere Strategien, die in Richtung von Public Private Partnership gehen. Als weiterer wichtiger Bereich im Rahmen der Aufgabenkritik ist seit Ende der 90er-Jahre die Entwicklung des Dritten Sektors zu nennen. Dort, wo Staat und Markt versagen, besteht prinzipiell die Möglichkeit, über bürgerschaftliches, ehrenamtliches Engagement bislang staatliche Aufgaben zu gewährleisten.

Die lokale Politikreform unterscheidet sich in zwei Modernisierungsstränge, die insbesondere die Legitimation des politischen Systems in den Vordergrund rücken. Sie sind Resultat eines Demokratisierungsprozesses, der bereits seit den 70er-Jahren in Deutschland voranschreitet und eine erhöhte Beteiligung der Bevölkerung vorsieht. Dabei handelt es sich zum einen um Veränderung im Bereich der personenzentrierten Demokratie. Neben Wahlrechtsreformen, wie beispielsweise der Einführung von Kumulieren und Panaschieren, der Senkung des Wahlalters und ähnlichem, ist in den Kommunen seit Beginn der 90er-Jahre flächendeckend das aus der Süddeutschen Bürgermeisterverfassung bekannte Prinzip der Direktwahl der Bürgermeister installiert worden.

Hierüber kam es in allen Gemeindeordnungen zu einer Stärkung der Rolle der Bürgermeister und teilweise direkt oder schrittweise zu einer Herausbildung von "starken exekutiven Bürgermeistern", die die zentrale Rolle an der Verwaltungsspitze spielen. Hierüber entwickeln sich auch Veränderungen in der Aufgabenstruktur der Ratsmitglieder, die in dem Neuen Steuerungsmodell zunehmend auf Abstand lenken sollen. Sie sollen eher Kontrollfunktionen ausüben und vermittelt über die Verwaltungsspitze die grobe Zielrichtung vorgeben, während die Verwaltung für die Detailfragen zuständig sein soll.

Personalisierung der Politik

Die Veränderungen beim Wahlrecht haben die Personalisierung der Politik gefördert. Mit der Einführung von Panaschieren und Kumulieren konnte der negativen Trend bei der Wahlbeteiligung nicht gebremst werden. Auch in Bezug auf die Verständlichkeit und Einfachheit des Verfahrens wirkt Kumulieren und Panaschieren, das bis auf wenige Ausnahmen (NRW) nach bayerischem und baden-württembergischem Vorbild in den 90er-Jahren bundesweit eingeführt wurde, insbesondere in großen politischen Einheiten wie Landkreisen und Großstädten oft negativ. Dennoch ist die Akzeptanz in der Bevölkerung, wie bei allen neuen Beteiligungsinstrumenten hoch. Gemeinsam mit dem Senken beziehungsweise dem Abschaffen der Fünf-Prozent-Klauseln hat es oft zu einer Zersplitterung der kommunalen Parlamente geführt.

Als weitere Reformmaßnahmen sind die Instrumente der themenzentrierten Demokratie zu nennen. Hierbei handelt es sich um eine flächendeckende Einführung lokaler Referenda, die die Beteiligung der Bevölkerung bei Sachfragen stärken soll. Nachdem in Baden-Württemberg langjährige Erfahrungen bestanden, wurden in den 90er-Jahren Bürgergebehren und -entscheide in allen Bundesländern installiert. Dabei sind die Quoren für Begehren und Entscheide von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich, nur selten der Gemeindegröße angepasst und oft unverhältnismäßig hoch. Die "Vorwirkungen" dieses Beteiligungsinstruments sind dennoch oft unübersehbar. So sind zahlreiche Bürgerbegehren und -entscheide oft nicht mehr nötig, da bereits vorab eingelenkt wurde. Die relativ häufig kritisierte Reduzierung der "Referenden" auf eine wenig komplexe Ja/Nein-Frage könnte bei einer zukünftigen Reformierung des Instruments durch gekoppelte vorgelagerte Beteiligungsverfahren umgangen werden.

In der Kommunalpolitik werden zunehmend Partikularinteressen einzelner Interessengruppen über neue Beiräte und Foren in die stärker verhandlungsorientierte lokale Demokratie eingeführt. Bislang oft blockierte Interessengruppen besitzen damit eine erhöhte Möglichkeit der politischen Beteiligung und des Diskurses mit der Verwaltung, die sich zunehmend auch in diesen Gremien direkt einbringt.

Die beiden Modernisierungspfade, die kommunale Verwaltungsreform und die Politikreform, sind zwei Seiten einer Medaille. Demokratie und Effizienz sind dabei kein Widerspruch, sondern betreffen zum Wohle der Bürger beide Bereiche. In der neuen Bürgergesellschaft stehen die Bewohner der Städte und Gemeinden als Kunden und als Bürger zunehmend im Mittelpunkt des Interesses von kommunaler Politik und Verwaltung.

Professor Norbert Kersting lehrt Politikwissenschaft an der Universität Marburg.

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