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Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Jeannette Goddar

Beim "Bündnis für Integration" in Stuttgart sitzen alle in einem Boot

Ortsbesuch

Dem Stuttgarter als solchem geht es gut, denkt man sich im Rest der Republik. Die Hauptstadt Baden-Württembergs ist für vieles bekannt, nur nicht für das, was man mit anderen Großstädten verbindet: Armut zum Beispiel, Ghettoisierung oder Kriminalität. In der Tat findet man die 500.000-Einwohner-Stadt in den Statistiken mit Arbeitslosen- und Sozialhilfequoten ganz unten. Kein anderer Großstädter wird außerdem so selten Opfer einer Straftat wie ein Stuttgarter.

Kaum bekannt ist hingegen die Zusammensetzung derer, die sich diese Privilegien teilen. Stuttgart hat nach Frankfurt den zweithöchsten Ausländeranteil der Republik und zählt in ihrem Register Menschen aus 177 Nationen. Fast jeder vierte Stuttgarter hat keinen deutschen Pass. Vergleicht man Schulabschlüsse, Berufsausbildungen und Arbeitsplätze, geht es zwar auch in Stuttgart dem statistischen Einwanderer schlechter als den Schwaben - aber besser als anderswo.

Dies könnte auch daran liegen, dass man hier enorme Anstrengungen unternimmt, um allen Einwohnern zumindest ähnliche Chancen zu verschaffen. Noch bevor das Zuwanderungsgesetz in die Mühlen zwischen Regierung und Opposition geriet, machte sich Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) daran, Verbündete für ein "Bündnis für Integration" zu suchen. Weil, wie Schuster sagt, "wir eine Einwanderungsstadt waren und sind und es uns überhaupt nicht leisten können, nicht jeden, der zu uns kommt, zu qualifizieren". Heute, fügt Schuster hinzu, aber erst recht in Zukunft: Im Jahr 2030 werden 40 Prozent der Einwohner und jeder zweite unter 20 nichtdeutscher Herkunft sein.

Man will kein Debattierclub sein

Um zu erreichen, dass das Bündnis kein Debattierclub, sondern ein effektives Gremium wird, leistete Schuster ohne Ansicht von Partei, Herkunft oder Liebsamkeit Überzeugungsarbeit. 2001 wurde das bundesweit einzigartige Integrationsbündnis mit den Stimmen aller im Gemeinderat vertretenen Fraktionen ins Leben gerufen. Mitglieder sind außer der Kommune auch die Landesregierung, Gewerkschaften, Kirchen, Bildungs-, Migranten- und Wohlfahrtsorganisationen. Koordiniert wird die Arbeit im Rathaus von der Stabsabteilung Integrationspolitik.

Im Büro des Integrationsbeauftragten Gari Pavcovic wurde zuallererst alles vernetzt, was irgendwie mit Sprachförderung zu tun hatte. Der Wust von Kursen, Zuständigkeiten und Finanzierungsmodellen konnte dabei zwar nicht abgeschafft, aber wenigstens so entwirrt werden, dass nun jedem ein für ihn durchschaubares Angebot gemacht werden kann. Heute bauen die Sprachangebote vom Kindergarten bis zur Berufsschule aufeinander auf. Parallel zum Unterricht für Kinder werden den Erwachsenen, vor allem den Müttern, 150-stündige Integrationskurse nach niederländischem Vorbild angeboten. Aufgenommen werden nicht nur Neuankömmlinge, sondern auch Aussiedler und ehemalige Gastarbeiter, die zwar 30 Jahre hier leben, aber immer noch keinen Überweisungsauftrag ausfüllen können.

Integration als Querschnittsaufgabe

Die Stabsstelle will aber noch viel mehr: Integration soll eine "Querschnittsaufgabe" werden. Das heißt: Auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung, Bibliotheksmitarbeiter, Lehrer, Polizisten, Sozialarbeiter und Sozialamtsmitarbeiter werden interkulturell geschult - egal, ob in ihrer Jobbeschreibung "Zielgruppe Migranten" geschrieben steht oder nicht. Und es wird offensiv für den Einzug von Migranten in die oft als sehr deutsch empfundene Verwaltung geworben. Wenn Integration Partizipation heißt, sagt Gari Pavcovic, "dann ist es nur logisch, wenn auch jeder vierte Stuttgarter Lehrer und jeder vierte Polizist aus einer Migrantenfamilie stammt". Wenn man ihn fragt, ob die Überzeugungsarbeit unter Deutschen immer ohne Reibungen vonstatten geht, antwortet der Integrationsbeauftragte höchst ehrlich mit "Nein". Warum nicht? "Beidseitige Integration", sagt er, sei ein "Prozess in vielen kleinen Schritten".

Die kompakte Förderung der Zugewanderten ist nicht zuletzt eines: teuer. Allein in die Sprachförderung investierte die Stadt im vergangenen Jahr eine halbe Million Euro. 280.000 weitere Euro warb man für 2003 bei der Landesstiftung ein. Über 100.000 Euro im Jahr schießen verschiedene Vereine zu. Oberbürgermeister Wolfgang Schuster hält die Investition dennoch für unverzichtbar. Es sei Aufgabe jeder Stadt, auch den Zugezogenen zur gleichberechtigten Teilhabe zu verhelfen, erklärt der CDU-Politiker: "Integrationspolitik ist doch vor allem eines: Politik zur Herstellung von Chancengerechtigkeit."

Das sieht auch die UN-Organisation für Bildung und Kultur so. Am 20. Oktober vergangenen Jahres wurde Stuttgart für das "Bündnis für Integration" als erste deutsche Stadt mit dem Preis Cities for Peace ausgezeichnet. Damit würdigt die UNESCO Städte, die sich um den sozialen Frieden verdient machen. Zur Begründung hieß es, Stuttgart habe wie kaum eine andere mit einem Gesamtkonzept für Integration auf die Herausforderungen einer multikulturellen Gesellschaft reagiert. Auch die interkulturelle Ausrichtung und Besetzung der Verwaltung wurde explizit gewürdigt: Damit sei die Stadt "in besonderer Weise bürgernah", lobte UNESCO-Generalsekretär Traugott Schöfthaler bei der Verleihung des Preises.

Die Autorin ist freie Journalistin in Berlin.

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