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Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Ulrike Schuler

"Die Bürger sollten mit uns Geduld haben"

Auf Bürgerämtern gibt sich der Staat als moderner Dienstleister
Erst einmal ist da diese Menschentraube. So groß und dicht, dass sich für den Hinzukommenden schwer feststellen lässt, ob er überhaupt vor der richtigen Tür ansteht. Im Bürgeramt des Rathauses Berlin-Neukölln haben sich etliche Besucher lange vor Öffnung in der Warteschleife zwischen Haupteingang und der noch verschlossenen, zu den Amtszimmern führenden Glastür eingefunden. "Nur so kann es klappen, statt drei bis vier nur ein bis zwei Stunden warten zu müssen", erklärt eine junge Frau. Nicht nur im Erdgeschoss des grauen Sieben-Stock-Gebäudes hoffen Wartende auf einen schnellen Aufruf. Sie verteilen sich bis auf die Straße hinaus - rauchend, Kinder beruhigend oder noch einen Bissen Frühstück kauend.

Als besonders unbürokratisch und nutzerfreundlich werden die Bürgerämter angepriesen. Ob Meldeangelegenheit, Passerneuerung, Antrag auf Lohnsteuerkarte oder allgemeine Fragen: Alles soll vom Bürger an einer Stelle erledigt werden können. Mit der Zentralisierung solle sich auch der Charakter der Ämter ändern und der Besucher nicht als Bittsteller, sondern Kunde gesehen werden. Ein "Höchstmaß an Bürgerfreundlichkeit" fordert das Berliner Abgeordnetenhaus in einem Beschluss vom Oktober 2003. In der Hauptstadt wurde Ende der 90er-Jahre begonnen, einzelne Bürgerberatungsstellen zu Bürgerämtern umzustrukturieren. Inzwischen gibt es über die Stadt verteilt 56 Bürgerämter, 61 sollen es einmal sein.

Im Bezirk Neukölln ist die Bürgerfreundlichkeit inmitten der Besuchermasse zunächst nicht zu spüren: Je näher die Zeiger der Amtsuhr auf die Elf-Uhr-Marke zuticken, desto mehr nimmt die Unruhe der Menschenansammlung zu. Dann öffnet sich die Glastür, und zwei Amtsmitarbeiter bilden eine Schleuse, die nur einzeln zu durchlaufen ist. "Was wollen Sie?", ist die barsch gehaltene Frage. Nach einer Antwort bekommen die ersten Hereingelassenen die begehrten niedrigen Nummern in die Hand gedrückt. Später ist dann die Reaktion auf alle Anliegen immer gleich: "Marke im Warteraum ziehen, auf Aufruf warten!" Ob die Schleuse immer da ist? "Nur zu Beginn, sonst kloppen die sich um die Wartemarken", erklärt die rechte Seite der Schleuse, eine blonde Dame.

Obwohl es erst zwei Minuten vor elf Uhr ist, sind Warteraum und Flur bereits überfüllt: Schreiende Babys, unruhig hin und her laufende junge Männer, Stimmengewirr in unterschiedlichsten Sprachen. Yeliz und Gülhan haben keinen Sitzplatz mehr gefunden. Sie rutschen mit dem Rücken die längst nicht mehr weißen Wände herunter und setzen sich auf den gelben PVC-Boden mit den vielen abgenutzten Stellen. Einen neuen Ausweis möchte Yeliz. Sie hat die Nummer 355 gezogen. 54 Besucher sind vor ihr an der Reihe. "Wir rechnen damit, dass es lange dauert", sagt die 16-Jährige. Ihre Freundin Gülhan ist mitgekommen. So vergeht die Zeit schneller. Der Warteraum gegenüber besteht aus acht Reihen mit je sechs Stühlen, strikt in Richtung der Anzeigetafel angeordnet. Wird eine Nummer aufgerufen, blinkt es grün an der Tafel. Eher unauffällig klebt ein schon zerrissenes Plakat mit dem Titel "Was erledige ich wo" an der Eingangstür zum Warteraum. Trotz des hohen Ausländeranteils im Bezirk liegen keine Broschüren oder Anträge in verschiedenen Sprachen aus.

Von Meldestellenplatz 7 kommen zwei junge Frauen zurück und fragen aufgeregt nach einem Kugelschreiber. Sie sind aus dem Kosovo, die Schwägerin will sich anmelden, es gibt Verständigungsprobleme. "Ich habe nicht alle Fragen verstanden, und man hat sie mir auch nicht erklärt", sagt eine der jungen Frauen und bittet um Hilfe. Eine Mitarbeiterin kommt vorbei und fordert sie auf, nicht an der Wand, sondern an den Stehtischen im Warteraum zu schreiben. Die sind längst und ständig mit über Formularen angestrengt brütenden Menschen besetzt. "Außerdem wollte man mir keinen Kugelschreiber leihen", erzählt die Kosovarin. Weil die Leute klauen würden, hätte die Mitarbeiterin gesagt. Yeliz und Gülhan warten inzwischen in Sichtweite der Anzeigetafel. Sie sind gleich dran. Als alles erledigt ist, rechnen sie aus, dass es anderthalb Stunden gedauert hat. Das sei okay, finden beide.

Für den Neuköllner Abteilungsleiter für Bürgerdienste und Wohnen, Torsten Vogel, besteht die besondere Bürgerfreundlichkeit der Ämter darin, dass die Mitarbeiter von sich aus zusätzliche Tipps und Hilfestellungen gäben. "Eine junge Mutter, die sich im Bezirk anmelden will, wird auch darüber informiert, dass sie Kindergeld beantragen kann", sagt Vogel. Allerdings seien die Mitarbeiter des Bezirks mit den meisten Sozialhilfeempfängern und hohem Ausländeranteil besonderen Belastungen ausgesetzt. "Wir haben sechs Prozent zu wenig Personal", sagt Vogel. Ungefähr 20 Mitarbeiter müssten sich an manchen Tagen in dem seit 2001 bestehenden Amt um einen Ansturm von bis zu 800 Besuchern kümmern. Dass sich das Rathaus durch Dolmetscher oder mehrsprachige Anträge und Broschüren mehr Mühe mit seinen ausländischen Besuchern geben müsste, ist für Vogel nicht unbedingt ersichtlich. Mehr Service würde die Leistungen verteuern. "Das würde bei der nächsten Jahreszumessung der Gelder bestraft", ist Vogel überzeugt. "Wir erwarten, dass sich die Antragsteller selber helfen und jemanden mitbringen, der besser Deutsch kann." Bürgeramtsleiterin Brigitte Maier denkt da schon weiter: "Natürlich überlegen wir, wie die Kommunikation mit den ausländischen Bürgern verbessert werden kann." Seit September existiere ein Arbeitskreis mit Bürgeramtsvertretern verschiedener Bezirke, der berate, wie beispielsweise mit mehrsprachigen Informationsblättern und Anträgen gearbeitet werden könne.

Das Fehlen von Informationen in verschiedenen Sprachen hat eine Studie der Berliner Landtagsfraktion der PDS - die im Land Berlin mitregiert - als besonders großes Manko ausgemacht. Was den Umgang mit Ausländern angeht, konstatiert auch Heinrich Bücker-Gärtner von der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege in Berlin "einen Riesenmangel". "Es müsste in den Behörden, die viel mit Ausländern zu tun haben, immer Leute geben, die in der Lage sind, in drei bis fünf Sprachen auf Alltagsniveau zu kommunizieren", fordert der Professor. Zudem sollte den Mitarbeitern interkulturelle Kompetenz vermittelt werden, damit sie mit unterschiedlichen Mentalitäten umzugehen lernten.

Standortwechsel: Morgens 7.30 Uhr in Berlin-Zehlendorf, einem Stadtteil mit tendenziell gut situierter Bevölkerung. Vor dem Altbau des Bürgeramtes steht eine einsame Kastanie. Niemand, der wartet. Das Amt ist schon geöffnet, der Warteraum mit Spielecke, Kaffeeautomat und im Rund angeordneten Stühlen leer. Im Flur sitzt eine Zeitung lesende Frau. Elke Kallenbach ist schon um 7 Uhr - eine Stunde vor Öffnung - ins Bürgeramt gekommen, um einen neuen Pass zu beantragen. Nun ist sie angenehm überrascht, dass nichts auf lange Schlangen hindeutet. Um 7.50 Uhr öffnet die Anmeldung, Frau Kallenbach bekommt Wartenummer eins und wird kurze Zeit später aufgerufen. Inzwischen sind ein paar Besucher dazugekommen, die im Flur die recht gepflegten Wände und den marmorierten Fußboden betrachten. Der gebürtige Engländer Joseph Carson wundert sich über die "altmodische" Sache mit den Nummerzetteln. Und überhaupt: "In England faxt man zur Anmeldung eine Kopie des Mietvertrages, und das war's."

Ungefähr 15 Minuten wartet er, bis er die Formalitäten für seinen Protokollausweis als Botschaftsangestellter erledigen kann. Elke Kallenbach wird noch zu einem Gang zum S-Bahn-Fotoautomaten verdonnert. Die mitgebrachten Passfotos der Referentin im Bundesfinanzministerium sind nicht im erforderlichen Halbprofil gemacht. Als die Frau mit den neuen Bildern zurück ins Bürozimmer eilt, hört man ein "wunderbar" von der Mitarbeiterin. Um 8.30 Uhr kann sie das Bürgeramt wieder verlassen.

Beim zweiten Besuch in Zehlendorf zum Gespräch mit der stellvertretenden Amtsleiterin ist es, eine halbe Stunde vor Öffnung um 10.30 Uhr, etwas voller. Die Atmosphäre bleibt jedoch entspannt, bis zum Mittag füllt sich der Warteraum, aber es bleiben immer Plätze frei. Dennoch ist der Bezirk Steglitz-Zehlendorf im Bürgeramtstest der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege nur auf einem der "Ausreichend"-Plätze gelandet. Getestet wurden Auskunftsqualität, kundenorientiertes Verhalten und die Erreichbarkeit per Telefon und E-Mail.

"Der besondere Schwerpunkt des Tests war die Frage, wie es um die fachliche Qualität der Auskünfte steht", erläutert Heinrich Bücker-Gärtner. Insgesamt bekamen fünf der zwölf Berliner Bezirke für ihre Bürgerämter die Note "ausreichend", viermal gab es "befriedigend", einmal "gut" und zweimal "sehr gut". "Insbesondere ist uns aufgefallen, dass es Bezirke gibt, in denen die sachliche Richtigkeit der Auskünfte flächendeckend in Ordnung war, Bezirke, in denen sie variiert, und solche, in denen flächendeckend Verbesserungsbedarf besteht", sagt der Professor. "Ein besonders niederschmetternder Befund war, dass das computergestützte Info-System faktisch nicht genutzt wurde."

Der Bezirk Neukölln bekam bei der Beurteilung für seine Auskünfte die Note "sehr gut". Die Schwerpunktsetzung auf der Qualität der Auskünfte habe allerdings dazu geführt, dass nicht alle relevanten Punkte im Umgang mit Bürgerämtern behandelt worden seien, räumt Bücker-Gärtner ein. So sei die Wartezeit nicht erfasst worden und in Bezug auf Ausländer seien die Ergebnisse "absolut aussagelos". Die testenden Studierenden seien Deutsche gewesen, die ihre Anliegen konkret hätten formulieren können. Die PDS-Studie stellt "gravierende Defizite" hinsichtlich der Bürgerfreundlichkeit fest. Es fehle in einigen Ämtern an Informationstresen, Sitzgelegenheiten und Spielmöglichkeiten für Kinder. Auch sei das Leistungsgefälle unter den Bürgerämtern zu groß.

Für die festgestellten fachlich nicht korrekten Auskünfte hat die stellvertretende Amtsleiterin des seit Mai 2003 bestehenden Zehlendorfer Standortes, Renate Ziegler, eine Erklärung: "Das liegt daran, dass wir über einen langen Zeitraum kurzfristig angelernte Kräfte in der Information hatten." Auch seien die Mitarbeiter des Meldewesens noch nicht hundertprozentig in die anderen Sachgebiete eingearbeitet. "Wir befinden uns noch im Aufbau", konstatiert Ziegler. Schulungen für das computergestützte Info-System habe es nicht gegeben. Aber so hundertprozentig überzeugt mag die 58-Jährige nicht für mehr Ausbildung plädieren. "Dann würden noch mehr Akten liegen bleiben." Das große Problem sei der Personalmangel. Das gehe auf Kosten der Bürgernähe, da viele Nachfragen dann doch als lästig empfunden würden. "Die Bürger sollten mit uns Geduld haben, wenn wir nicht alle Auskünfte geben können und umgekehrt genauso", empfiehlt die Amtsleiterin.

Die PDS scheint mit ihrer Geduld hingegen am Ende. Sie möchte Bonuspunkte an besonders bürgerfreundliche Behörden vergeben und die Bürgerämter, die bestimmte Qualitätskriterien nicht erfüllen, finanziell sanktionieren. Für mehr Kontrolle, um den Wandel der Amtsstuben zu Dienstleistern perfekt zu machen, spricht sich auch Heinrich Bücker-Gärtner aus: "Man sollte in den Ämtern regelmäßig den Service testen - nicht nur um zufriedene Kunden zu haben, sondern auch damit fachlich richtige Auskünfte gegeben werden."

Ulrike Schuler arbeitet als freie Journalistin in Berlin.

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