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Das Parlament
Nr. 01-02 / 03.01.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Josef-Thomas Göller

In den USA zählt allein das persönliche Engagement

In der Gemeinde wird der "American Spirit" am deutlichsten sichtbar
"Ich hätte Sie gerne als Elternvertreter auf dem School-Board", sagte die afro-amerikanische Direktorin, nachdem ich meinen zweijährigen Sohn bei der städtischen Play School angemeldet hatte. "Aber ich bin doch gerade erst zugezogen und außerdem Ausländer", entgegnete ich. "Das spielt keine Rolle", sagte die Dame lächelnd. "Was zählt, ist, dass Sie am Programm teilnehmen und Engagement für die Sache zeigen."

Demokratie und Integration von Ausländern beginnt in den USA auf unterster kommunaler Ebene: im Kindergarten und in der Schule, mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen. So bestimmten zum Beispiel 2002 und 2003 drei Deutsche unter den zwölf Elternvertretern für die Play Schools in der Hauptstadt Washington mit, wofür die städtischen Mittel für die Betreuung der Zwei- bis Vierjährigen ausgegeben werden. Auch bei einer Anhörung durch den Stadtrat, bei der es um die Erhöhung der Schulbeiträge ging, stellte es kein Problem dar, dass Ausländer als Vertreter der Schulen über den Bedarf aussagten. Denn jeder, der in den USA am Schulunterricht teilnimmt, ob öffentlich oder privat, geht weitere Verpflichtungen ein, die von der Kommunalverwaltung entsprechend gewürdigt werden.

Dies ist der große Unterschied etwa zu Deutschland. Allen Eltern wird Engagement, sei es als Dienstleistung oder als finanzielle Spende, abverlangt. Im Falle der vorkindergärtlichen Spielschulen für die unter Vierjährigen sind die Eltern zum Beispiel verpflichtet, einen Vormittag pro Woche als Mitbetreuer zu verbringen. Auf diese Weise entstehen oft die ersten kommunalpolitischen Bindungen zu den Stadtteilvertretern beziehungsweise Stadträten. Und oftmals rekrutieren sich aus diesen Elternvertretern dann im Laufe der Zeit Kandidaten für die Kommunalpolitik im größeren Stil.

Selbstverwaltung der Schulen

In der Schulverwaltung kann man bereits alle Erfahrungen sammeln, die für die Kommunalpolitik notwendig sind. Anders als in Deutschland verwalten sich nämlich die meisten öffentlichen amerikanischen Schulen selbst und stellen damit eine Sonderverwaltung innerhalb der Gemeindeverwaltung dar. Gewisse Grundkosten, wie Lehrergehälter und Gebäudeunterhalt werden meist - aber nicht immer - von den Gemeinden bereitgestellt; alles andere bestimmt ein aus Eltern und Lehren gewählter Schulrat. Aufgrund dieser hohen Eigenständigkeit legt der Schulrat auch die Einzugsgrenzen der Schule fest, die keineswegs mit den Gemeindegrenzen übereinstimmen müssen. Dies führt in vielen Fällen zu gravierenden Ungleichheiten. Reiche Einkommenschichten können auf diese Weise ärmere und sozial benachteiligte Gemeindeteile ausgrenzen, aber auch öffentliche Schulen durch hohe Eigenbeteiligung so fördern, dass sie wie Eliteschulen funktionieren.

Eigenverantwortung und finanzielle Selbstbeteiligung stehen in amerikanischen Kommunen generell oben an. Da alle amerikanischen Städte wie ein Schachbrett aufgebaut sind und dadurch "Blocks" entstehen, haben sich in den vergangenen Jahrzehnten so genannte Block-Initiativen gegründet. Kaum eine Gemeinde, in der es nicht eine Nachbarschaftsvereinigung gibt, meist "Friends" des jeweiligen Blocks genannt, die sich um "Neighbourhood Watch" kümmert, also innerhalb mehrerer Blöcke in Eigeninitiative darauf achtet, dass die öffentlichen Grünflächen gepflegt werden, Spielplätze angelegt oder sauber gehalten werden und notleidenden Nachbarn geholfen wird.

Wenn Flugplätze in der Nähe sind, verhandeln diese Privatinitiativen sogar mit den Flugplatzbetreibern um Fluglärmreduzierung und Verlegung von Einflugschneisen. Die "Friends" pflegen in der Regel auch engen Kontakt zur örtlichen Feuerwehrstation und dem zuständigen Polizeirevier und spendieren der Polizei schon mal für viele tausend Dollar Blitzgeräte, um Rasern Herr zu werden. In vielen Fällen haben diese Privatinitiativen dazu geführt, dass weniger Einbrüche oder Straftaten vorkommen, dass Vandalismus und Graffiti-Schmierereien in amerikanischen Städten eher Ausnahmeerscheinungen geworden sind.

In all diesen Fällen zeigt sich, dass Amerikaner im Allgemeinen bei kommunalen Problemen nicht zuerst nach der städtischen Autorität rufen, sondern selbst zum Handeln bereit sind. Diese von Europa so unterschiedliche Haltung lässt sich nicht alleine durch die historische Grenzermentalität des 19. Jahrhunderts begründen. Es ist vielmehr die hohe Integrationsbereitschaft der amerikanischen Gesellschaft, die zu solchem Privatengagement führt sowie der Wunsch, urbane Verdichtungsräume menschlich und lebenswert zu erhalten.

Die Statistik zeigt: Rund 80 Prozent der Amerikaner wohnt in Städten. Überraschend für Europäer mag dabei sein, dass die meisten Gemeinden in den USA nicht größer sind als 2.500 Einwohner. Kleine, überschaubare Städtchen (Towns) sind das Ideal der Amerikaner. Dazu zählen außerdem noch jene Städte (City), die zwischen 10.000 und 25.000 Einwohnern haben: Dort lebt die Mehrzahl der 300 Millionen US-Bürger. Obwohl die Millionen-Städte dank der Hollywood-Filme das Klischee amerikanischen Wohnens verkörpern, sind sie auch in den USA nach wie vor die Ausnahme. Die amerikanische Gesellschaft ist nicht wirklich großstädtisch geprägt. Selbst Megastädte wie Los Angeles und New York City sind in hunderte von Kleingemeinden fragmentiert, die sich zumeist aus klar umrissenen Vorstädten zusammensetzen. Diese verdichten sich um einen großen Stadtkern, wodurch den amerikanischen Metropolen eine scheinbar unüberschaubare Größe verliehen wird. In Wirklichkeit leben aber auch die Menschen in den Schlafstädten rund um LA und New York provinziell-kleinstädtisch.

Über die kommunale Struktur der USA - historisch extrem unterschiedlich entwickelt und ausgeprägt in den 50 einzelnen Bundesstaaten - sind nur wenige generelle Aussagen möglich: Grundsätzlich sind die Kommunen in ihren politischen Handlungen unabhängig vom jeweiligen Bundesstaat beziehungsweise der amerikanischen Bundesregierung. In den meisten Fällen gehen sie aber individuelle Kooperationen sowohl mit Länder- als auch Bundesebenen ein, vor allem was Müllabfuhr, Gesundheitswesen, Wasser- und Stromversorgung angeht.

Lässt man einmal die hochindividualisierte Kommunalstruktur außer acht, lassen sich in den USA im Allgemeinen drei Grundtypen ausmachen, wie Gemeinden verwaltet werden: Mittels des wie in Europa klassisch gewählten Bürgermeisters und seines Stadt-rates, mittels einer Kommission oder durch einen Rats-Manager (Council-Manager). Dabei ist der herkömmliche Bürgermeister, bis vor vier Jahrzehnten in allen amerikanischen Gemeinden die Regel, im Aussterben begriffen. Die Gemeinden wollen keine Machthäufung in der Hand einer Person mehr dulden, denn zu oft haben Bürgermeister, am auffälligsten in Chicago, mit der Unterwelt gekungelt oder wie Aristokraten regiert.

Die klassischen Bürgermeister werden zunehmend abgelöst durch eine so genannte Kommission, also eine Art Stadtrat, in dem jedes Ratsmitglied gleich wichtig ist. Die Kommission verbindet sowohl die gesetzgebenden als auch die exekutiven Funktionen. Für bestimmte Zuständigkeiten - Schule, Polizei, Gesund- heitswesen - werden die Commissioners jeweils direkt gewählt. In ihren Zuständigkeitsbereichen handeln sie autonom und sind den Bürgern somit auch unmittelbar verantwortlich. In manchen Fällen wird einer der Commissioner zum Vorsitzenden oder zum "Bürgermeister" ernannt, was aber nur eine repräsentative Funktion beinhaltet. Alle Commissioners sind grundsätzlich gleichberechtigt.

In immer mehr Fällen entscheiden sich größere Gemeinden jedoch dazu, einen professionellen Verwaltungschef (Council-Manager) einzustellen, der von einem gewählten Stadtrat beauftragt und überwacht wird. Der Bürgermeister wird in diesen Fällen dann nur zu Repräsentationszwecken hinzugewählt; das Amt ist buchstäblich ehrenamtlich, sprich ohne jede Aufwandsentschädigung und verlangt ein entsprechendes Eigenvermögen. Für den Council-Manager gibt es keine Amtszeitbegrenzung. Er dient der Stadt solange, wie die Bürger respektive der Stadtrat mit seiner Tätigkeit zufrieden sind.

Eine historische Besonderheit stellt das Township dar, ein Relikt aus der Gründung der USA in den Neu-Englandstaaten und in einigen Staaten des Mittleren Westens. Townships kombinieren Gemeinde- und Kreisverwaltungsfunktionen und sind deshalb hauptsächlich in ländlichen Gebieten anzutreffen. Insgesamt gibt es rund 2.500 Township-Gemeinden, die in der Regel weniger als 1.000 Einwohner aufweisen.

Eine weitere Besonderheit der Kommunalverwaltung in den USA ist das Beziehungsgeflecht zwischen der Bundesregierung und den Kommunen: direkter Föderalismus genannt. Dieser Bereich spielt für die großen und problembelasteten Ballungszentren eine wichtige Rolle. Seitens der Bundesregierung sind damit das Ministerium für Stadtentwicklung sowie das Verkehrsministerium beauftragt. Von ihnen werden Mittel für den Wohnungsbau, für Stadtsanierung und für Straßenbauprojekte zur Verfügung gestellt. Daneben wird Planungshilfe geleistet. Manchmal kommt es dort jedoch zu beträchtlichen Konflikten, dann nämlich, wenn durch neue Verkehrsanbindungen der Stadtflucht in die Vororte auf Kosten der Kernstädte Vorschub geleistet wird. Als Schnittstellen zwischen Bund und Kommunen wurden neue Institutionen geschaffen, die councils of government. Sie dienen gezielten Projekten der Stadtentwicklung mit einem festen Auftrag und werden nach Erfüllung aufgelöst.

Josef-Thomas Göller war mehrere Jahre USA-Korrespondent für "Das Parlament".

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