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Wege aus der Krise

Bild: Der erleuchtete Hamburger Hafen am Abend.
Hamburger Hafen.

Bild: Schlussverkauf bei Karstadt.
Geringe Nachfrage auch im Einzelhandel.

Debatte: Export und Binnennachfrage

Der Außenhandel boomt, aber die Binnennachfrage lässt zu wünschen übrig. Was ist los mit der Konjunktur in Deutschland? Gibt es Wege aus dem Konjunkturtief? Blickpunkt Bundestag hat die Fraktionen um eine Stellungnahme gebeten.

Ginge es nach der globalen Wirtschaftslage, dann müsste sich Deutschland keine Sorgen um die Konjunktur machen. Mit rund fünf Prozent wird die Weltwirtschaft in diesem Jahr wohl wachsen – so stark wie zuletzt vor dreißig Jahren. Die Wirtschaft in China explodiert, auch die übrigen Ökonomien in Asien und in den USA wachsen stark. Selbst die Europäische Union könnte mit diesem Trend mithalten, wäre da nicht Deutschland. Um magere 1,8 Prozent dürfte, so der Internationale Währungsfonds, die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr wachsen. Unter den sieben großen Industriestaaten hätte damit nur Italien eine geringere Wachstumsrate.

Dabei müsste eigentlich auch in Deutschland die Konjunktur langsam wieder anspringen. Denn das Zugpferd der deutschen Wirtschaft, der Export, läuft seit einiger Zeit wieder. So stieg der Außenhandel in diesem Jahr im Vergleich zu 2003 um neun Prozent. Doch von der guten Stimmung im Export bleibt die deutsche Binnenwirtschaft weitgehend unberührt. Anders als in den Aufschwungphasen der vergangenen Jahre führen die vollen Auftragsbücher der deutschen Anlagen- oder Autobauer nur sehr eingeschränkt zu einer verstärkten Binnennachfrage. Doch genau auf diesem Mechanismus hat das Wachstum in Deutschland bisher beruht. Denn steigende Exporte führten bislang immer zu mehr Investitionen der Unternehmen in Deutschland, das wiederum führte zu mehr Beschäftigung. Die Leute hatten mehr Geld in der Tasche und nach dem Export kam dann auch die Binnennachfrage wieder in Schwung.

Grafik: Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland von 1991 bis 2003.

Der Funken aus dem Export ist noch nicht auf die Binnenwirtschaft übergesprungen. Die Bereitschaft deutscher Unternehmen, inländische Produkte und Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, sinkt beständig. Zwar verzeichnete die Maschinen- und Ausrüstungsbranche in diesem Jahr auch in Deutschland einige Impulse. Insgesamt bleiben die Zuwächse aber hinter dem zurück, was man in Deutschland bisher in Aufschwungphasen gewöhnt war. Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in München (Ifo), Hans-Werner Sinn, ist davon überzeugt, dass der Grund für diese Misere ein tief greifender Strukturwandel in Deutschland ist und dass das Land mittlerweile zu einer „Basarökonomie“ verkommen ist. Deutsche Unternehmen produzieren einen Großteil ihrer Waren im Ausland. In Deutschland bleiben lediglich das Management und einige zentrale Dienste wie Forschung oder Marketing zurück. So haben die meisten deutschen Autobauer längst auf das einst renommierte Signet „Made in Germany“ verzichtet. Statt dessen heißt es nun „Made by Volkswagen“ oder „Made by BMW“. Der Trend zur Basarökonomie führt nach Ansicht von Hans-Werner Sinn dazu, dass immer weniger im Inland investiert und produziert wird. Stattdessen sei Deutschland nur noch Marktplatz für ausländische Güter.

Nach Ansicht von Sinn geht es bei diesen Investitionen längst nicht mehr darum, neue Märkte zu erschließen, sondern vor allem um eine deutliche Einsparung bei den Produktionskosten. Deutschland leidet also unter einer Standortschwäche, die mittlerweile auch den Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Industrie berührt. So rechnet das Ifo damit, dass sich nach der EU-Erweiterung dieser Trend zur Abwanderung noch verstärkt. Auch Unternehmen, die bisher wegen noch verbliebener Rechtsunsicherheit Investitionen gescheut haben, würden sich nun nach dem EU-Beitritt in den neuen Mitgliedsländern engagieren. Sinn fordert deshalb, Arbeit in Deutschland durch Senkung der Lohnkosten oder längere Arbeitszeiten wieder konkurrenzfähig zu machen.

Grafik: Gegenüberstellung großer Außenhandelspartner 2003.

Allerdings, unumstritten ist diese These nicht. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ist der Ansicht, dass die hiesige Wirtschaft sehr wohl vom Exportboom profitiere. Wenn auch in anderer Form als bisher. So habe das Wachstum im Außenhandel einen maßgeblichen Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts mit sich gebracht, auch wenn die Kernbereiche der Industrie davon nicht mehr im gleichen Ausmaß profitieren. Dafür hätten sich Dienstleistungsunternehmen etabliert, in denen die meiste Wertschöpfung erzielt werde.

Grafik: Gegenüberstellung von Ein- und Ausfuhrprodukten.

In der Tat lassen sich auch andere Erklärungen für die schleppende Binnenkonjunktur anführen. So leidet die Binnenkonjunktur unter einer ungewöhnlich schlechten Stimmung unter den Verbrauchern und unter neuen Konsumgewohnheiten, auf die sich Handel und Industrie bislang nur unzureichend eingestellt haben. Es ist natürlich, dass in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit auch die Ausgaben der privaten Haushalte sinken. Auch bei denen, die einen Arbeitsplatz haben, sitzt das Geld nicht mehr so locker. Dabei spielen die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt eine große Rolle. Denn bereits ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten arbeitet im Niedriglohnsektor. Und der Realwert des Einkommens ist seit dem letzten Jahr um nur ein Prozent gestiegen.

Doch aus Angst vor noch schlechteren Zeiten bringen auch Menschen, die es eigentlich nicht nötig hätten, das Geld lieber zur Bank, als damit ein neues Auto oder einen neuen Kühlschrank zu kaufen. Ein Drittel der Deutschen fürchtet, dass sie ihren derzeitigen Lebensstandard in Zukunft nicht halten können. So ist in den letzten zwei Jahren zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte der private Konsum gesunken. Aus Sicht der Ökonomen werden sie zu „Angstsparern“, was sich auf die Konjunktur niederschlägt. Die ängstlichen Verbraucher erfüllten so ihre Befürchtungen quasi selbst.

Auch das Kaufverhalten der Deutschen hat sich verändert. Den Deutschen reicht nicht mehr nur ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis. Sie wollen zugleich das Beste und das Günstigste für ihr Geld. Der viel zitierte Slogan „Geiz ist geil“ gilt immer noch. Der Einkauf im Billigsupermarkt und die Schnäppchenjagd im Internet sind gesellschaftsfähig geworden. Auf der anderen Seite „gönnt man sich“ dann mal ganz gern etwas Feines aus der Boutique. Unternehmen, die durchschnittliche Qualität zu durchschnittlichen Preisen anbieten, haben da das Nachsehen. Zum Teil zumindest ist der Zusammenbruch des Kaufhauskonzerns KarstadtQuelle darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen auf diesen Trend nicht ausreichend reagierte. Wie sehr Strukturwandel und schlechte Konjunktur die deutschen Unternehmen belasten, zeigt auch die nach wie vor hohe Zahl von Unternehmenspleiten. Zwar sind die Insolvenzen in diesem Jahr leicht rückläufig, sie bleiben aber immer noch auf sehr hohem Niveau. So mussten im ersten Halbjahr 2004 rund 19.300 Unternehmen Insolvenz anmelden. Das waren über 50 Prozent mehr als im Jahr 1999. Mehr als eine halbe Million Arbeitsplätze sind dadurch gefährdet. Unternehmensgründungen werden nach Schätzungen von Creditreform in diesem Jahr nur etwa 300.000 neue Stellen schaffen.

Grafik: Gesamtentwicklung des deutschen Außenhandels 1993 bis 2003.

Für den privaten Konsum gibt es auch in diesem Jahr wenig Grund zu Optimismus. Denn die Reformen im Sozialsystem scheinen die Verbraucher weiter zu verunsichern. Hinzu kommt der sehr hohe Ölpreis, der die Leute zwingt, mehr für Heizung oder Benzin auszugeben, Ausgaben die dann zur Ankurbelung der Binnenkonjunktur fehlen. Selbst die Exporte könnten unter dem hohen Ölpreis leiden, wenn dadurch die Konjunktur auch im Rest der Welt zu schwächeln beginnt.

Wenn weder Unternehmen noch Verbraucher in Deutschland Geld ausgeben, dann könnte zumindest theoretisch der Staat diese Lücke schließen. In der Tat fordern einige Ökonomen eine Abkehr vom Sparkurs der Regierung und mehr Investitionen durch Schulden zu finanzieren. Sie verweisen auf die USA, die mit einem Ausgabenprogramm ihre Konjunktur leidlich in Schwung gebracht haben. Allerdings hatten die USA es geschafft, in den 90er Jahren einen Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften und sich Spielraum für eine solche Politik zu schaffen.

Text: Karoline Kühnelt, Matthias Rumpf
Fotos: Deutscher Bundestag, picture-alliance
Grafiken: Karl-Heinz Döring
Erschienen am 08. November 2004

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