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Patientenverfügungen
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Dr. Wolfgang Wodarg,
MdB, Sprecher der SPD-Fraktion in der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin"

Die Angst, am Lebensende der berüchtigten "Apparatemedizin" ausgeliefert zu sein, bringt viele Menschen heute dazu, so genannte Patientenverfügungen zu verfassen. In solchen Verfügungen wird Ärzten oder Pflegepersonal untersagt, bestimmte Behandlungen oder Maßnahmen durchzuführen, wenn man als Patient nicht mehr bei Bewusstsein oder nicht mehr einsichtsfähig ist.

Dabei wird heute oft übersehen, dass die Bilder von Übertherapie und leidensverlängernder Intensivmedizin, die jene Angst begründen, längst nicht mehr der Praxis entsprechen. In der Ärzteschaft hat sich in den letzten Jahren immer mehr die Haltung durchgesetzt, dass das Ziel einer Behandlung in der letzten Lebensphase eines Menschen nicht in der Lebensverlängerung um jeden Preis bestehen sollte, sondern darin, Leid zu lindern und ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen. Ein ganzer neuer Zweig der Heilkunde, die Palliativmedizin, hat sich aus dieser Einsicht entwickelt.

Dennoch steigt auch die Zahl von Menschen, die eine Patientenverfügung verfassen, stetig an. Und mit ihr wächst auf Seiten der Patienten wie auf der Seite von Ärzten und Pflegepersonal das Bedürfnis nach Rechtssicherheit bei der Anwendung solcher Verfügungen. Bei deren Schaffung muss aber vielen Problemen und Gefahren Rechnung getragen werden. So wissen viele von uns, wie schnell sich in einer Ausnahmesituation wie einer schweren Erkrankung die Einstellung zum eigenen Leben ändern kann. Was man sich vor Jahren als einen "lebensunwerten Zustand" vorgestellt hat, wird, wenn es soweit ist, plötzlich als durchaus lebenswert erfahren. Ärzte und Pflegepersonal sind dadurch immer wieder mit Fällen konfrontiert, in denen Körpersprache und Gesten eines nicht mehr einsichtsfähigen Patienten ihnen etwas ganz anderes sagen, als die Verfügung, die er Jahre oder Jahrzehnte zuvor geschrieben hat. Außerdem werden Patientenverfügungen nicht selten ohne ausreichende medizinische Aufklärung verfasst.

Der zentrale Punkt in den Empfehlungen der Enquete-Kommission besteht nun darin, die Reichweite von Patientenverfügungen auf Fälle zu beschränken, in denen eine Krankheit oder ein Leiden nicht mehr heilbar ist und nach ärztlichem Ermessen tödlich verlaufen wird. Damit hat die Kommission auch einer unkontrollierten Ausweitung der Patientenverfügung auf Demenz- und Wachkoma-Patienten eine klare Absage erteilt. Diese Ausweitung wird von Befürwortern einer liberalisierten Sterbehilfepraxis entgegen der geltenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs angestrebt. Ginge es nach ihnen, so könnte man in Zukunft in einer Patientenverfügung festlegen, dass Ärzte und Pflegpersonal einen im Falle einer geistigen Verwirrung verhungern oder verdursten lassen müssen. Hier würde dann nicht mehr dem Sterben sein Lauf gelassen, sondern die Grenze zur Euthanasie überschritten. Gerade wenn man die Patientenverfügung als Instrument der Selbstbestimmung am Lebensende ernst nimmt, darf man nicht zulassen, dass sie zum Türöffner für die aktive Sterbehilfe wird.

Das ist umso wichtiger, wenn man sich die Situation in den Pflege- und Altenheimen vor Augen führt, in denen Demenzkranke in der Regel leben. Missstände und Mängel in Pflegeheimen, die gelegentlich aufgedeckt werden, sind da leider nur die Spitze des Eisbergs. Gerade die Schwächsten und Bedürftigsten, zu denen Demenzkranke oft gehören, rechnen sich für Heime und Krankenhäuser nicht. In einer Zeit immer knapperer Kassen wäre es daher geradezu unverantwortlich, Patientenverfügungen auf Fälle von Demenz und Pflegebedürftigkeit auszuweiten. Druck durch das Umfeld, mittels einer Patientenverfügung das eigene "sozialverträgliche Ableben" vorzubereiten, wäre vor diesem Hintergrund fast unvermeidlich. Gerade das zeigt, dass der richtige Weg, alten und kranken Menschen auch in der letzten Lebensphase noch ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu ermöglichen, nicht in der Zulassung aktiver Sterbehilfe oder überdehnter Patientenverfügungen besteht, sondern im Ausbau der Palliativmedizin und in einer grundlegenden Reform der Pflege in Deutschland.

Quelle: http://www.bundestag.de/dialog/Konferenzen/2004/patient/wodarg
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