3.8.1.2 Interregnum und
Protektionismus
Die folgenden
rund 70 Jahre (von 1879 bis zum GATT 1948) gehörten wieder
ganz überwiegend dem Protektionismus, und wenn man bis zur
Eingliederung der Entwicklungsländer oder der
staatssozialistischen Länder in den Weltmarkt rechnet, waren
es sogar über 100 Jahre. Was war der Grund für diesen
Rückfall?
Nach dem, was wir
zuletzt bemerkt haben, scheint er im Imperialismus der
europäischen Staaten zu liegen, die sich jeweils große
Teile des offenen Weltmarktes reservieren wollten und ihn damit
zerstörten. Eine Hauptrolle spielte dabei das neu
hinzugekommene Deutsche Reich, das sich mit der britischen
Hegemonie nicht abfinden mochte. Wie aber, wenn diese Hegemonie gar
keine imperialistische, sondern eine für die Menschheit
wohltätige war? Gewiss wurde sie im eigenen Interesse
ausgeübt, diente aber doch zugleich dem übergeordneten
Zweck der Schaffung und Regelung des Weltmarkts! Und die anderen
europäischen Mächte schnitten sich ins eigene Fleisch,
indem sie England des Imperialismus verdächtigten, damit von
seiner großen Aufgabe tatsächlich abbrachten und ihre
bornierte Konkurrenz an die Stelle des freien Handels setzten. So
kam es zum „Bruderkrieg der zivilisierten
Nationen“.
Was hier kurz
referiert wird, war die Auffassung von Woodrow Wilson, dem
amerikanischen Präsidenten (1913 bis 1920), der das
Sendungsbewusstsein der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert wohl
am überzeugendsten zum Ausdruck gebracht hat. Wilson verstand
sich als entschiedener Gegner des Imperialismus, war zugleich
jedoch ein großer Bewunderer des britischen Empire und beides
stand für ihn nicht im Widerspruch zueinander. Denn wie anders
hätte denn die Welt zusammengeführt und -gehalten werden
können als durch eine solche konkrete Macht? Angesichts
dessen, dass England durch den Weltkrieg nun geschwächt und
nicht mehr wirklich fähig war, diese Ordnungsfunktion zu
erfüllen, war der Vorschlag Wilsons bekanntlich die
Einrichtung eines Völkerbundes. Aber auch hier war der Idealist
durchaus realistisch. Schon seit Beginn des Weltkrieges hatten
nämlich Vertreter der expandierenden amerikanischen
Exportwirtschaft für eine solche „League of Great
Nations“ geworben. Und sie waren der Überzeugung, dass
nun allein die USA dazu in der Lage seien, die globale Rolle der
Engländer fortzuführen. „Wilsons Vision war die
Wiederherstellung der ,Pax Britannica’ unter neuer
Leitung“ (Unger 1997: 8).
Wie wir wissen, ist er mit dieser Vision
zunächst insofern gescheitert, als Amerika selber gar nicht
dem Völkerbund beitrat, sondern zum Isolationismus
zurückkehrte. Man berief sich bei der Ablehnung im Kongress
auf Washingtons und Jeffersons Warnungen vor „verstrickenden
Bündnissen“. Was man eigentlich fürchtete war
jedoch, dass der überlegenen amerikanischen Wirtschaft in
einem solchen Bündnis Fesseln angelegt werden könnten
– ein Motiv, das uns auch heute noch wohlbekannt ist. Wilson
starb bald nach seiner Niederlage und blieb Jahre vergessen. Aber
nach der Weltwirtschaftskrise und angesichts des 2. Weltkrieges
besann man sich in den USA wieder auf ihn: Die Zeit zur Beerbung
des britischen Empire schien jetzt endgültig gekommen. Noch
Charter und Clinton haben sich auf Wilson berufen.
Was besagt das aber für unsere Frage
nach dem Grund des langanhaltenden Protektionismus im 20.
Jahrhundert? Der Hauptgrund war offenbar die unentschiedene
Situation im langen Hegemonialkampf zwischen England und den USA,
der durch ihre politischen Bündnisse nur verdeckt wurde.
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