Staatssekretär Overhaus: Die Alarmlampe ist angegangen
Berlin: (hib/KHB) Das Bundesfinanzministerium hat im Juli 2002 nach der öffentlichen Steuerschätzung von Ende Juni 2002, die erhebliche Steuermindereinnahmen von fünf Milliarden Euro vorhersagte, keinen Grund zum Eingreifen oder zur weiteren Information der Öffentlichkeit gesehen. Das erklärte der Staatssekretär im Ministerium, Manfred Overhaus, am Donnerstag im Untersuchungsausschuss "Wahlbetrug". Der Ausschuss soll untersuchen, ob die Bundesregierung die Wähler vor der Bundestagswahl über die Lage der öffentlichen Kassen getäuscht hat. "Die Alarmlampe ist angegangen", sagte Overhaus wörtlich. Er selbst habe diesen Zahlen, "eigentlich eine Bombe", jedoch skeptisch gegenübergestanden, sie als nicht gesichert angesehen und an den Wirtschaftsaufschwung und an bessere Steuereinnahmen in der zweiten Jahreshälfte geglaubt. Dem Minister Hans Eichel habe er geraten, die Steuerschätzung Ende September abzuwarten: "Es gibt immer Pessimisten und Optimisten."
Der 63-jährige Overhaus gehört dem Ministerium seit 1968 an, er leitete über Jahre die Haushaltsabteilung und war bereits Staatssekretär unter Bundesfinanzminister Theo Waigel (CDU/CSU). Overhaus räumte ein, dass die beiden Haushaltsabteilungen schon im Juli auf die besonderen Risiken hingewiesen hatten und der Meinung waren, die Sollzahl von 21,1 Milliarden Euro Kreditaufnahme könne man womöglich "nicht mehr hinkriegen". Diese Vorlagen seien aber nicht dem Minister vorgelegt worden, sondern auf der Ebene des Abteilungsleiters geblieben.
Anfang August habe man in einer Runde mit dem Minister festgelegt, weitere Daten, besonders die Steuerschätzung Ende September, abzuwarten. Mit dieser Festlegung sei die Entscheidung verbunden gewesen, keine Haushaltssperre zu verkünden, eine Entscheidung, die manche Bundesländer bekanntlich anders getroffen hätten. Man sei im Ministerium aber überzeugt gewesen, eine Haushaltssperre könne die konjunkturelle Entwicklung erheblich dämpfen; dabei habe man ja auf eine Erholung der Konjunktur gesetzt. Im Übrigen hätten sich die Schätzungen in den Monaten Juli und August leicht gebessert. Erst im Oktober sei er überzeugt gewesen, dass das von den Ländern der Eurozone erwartete Kriterium von 3,0 Prozent nicht zu halten sei. Im Juli und August sei er noch davon ausgegangen, dass es knapp werden, aber knapp reichen könne.
Nach Overhaus Worten war es im Jahr 2002 zu keiner Zeit nötig, einen Nachtragshaushalt dem Parlament vorzulegen. Die zusätzlichen Risiken hätte man ebenso durch einen so genannten "Haushaltsfehlbetrag", der in den nächsten zwei Jahren auszugleichen ist, durch bereits vom Bundestag gewährte Kreditermächtigungen über rund sieben Milliarden Euro und über das Parken von Telekom-Aktien bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau mindern können. Overhaus sprach davon, man habe sich den Luxus, abzuwarten, "leisten können". Aus eigener Erfahrung als Leiter der Haushaltsabteilung habe er gewusst, wie unsicher Schätzungen und Vorhersagen seien. Damals hätten die Abteilungen einen Wettbewerb veranstaltet, wessen Prognose das tatsächliche Ergebnis am besten trifft. Der Sieger sei am Jahresende mit Wein belohnt worden.
Pressemeldungen, wonach es im Bundesfinanzministerium ein so genanntes Non-Paper gegeben habe, nach denen die Maastricht-Kriterien für 2002 nicht einzuhalten seien, kenne er nicht. Er minderte die mögliche Bedeutung eines solchen Papiers mit der Bemerkung: "Im Ministerium gibt es Hunderte von Non-Papers." Das seien Papiere ohne Aktenvermerk, die nicht einmal in die Akten kämen. Die Bedeutung eines solchen Papiers sei durch die Existenz der Vorlagen aus den Haushaltsabteilungen, die die Bundesregierung auf Antrag des Ausschusses vorgelegt hat, ohnehin überholt.