Ausweitung der Straftatbestände bei Graffiti bleibt umstritten
Berlin: (hib/KOS) Unterschiedliche Positionen über die Notwendigkeit neuer Straftatbestände bei der Bekämpfung von Graffiti kennzeichneten die Stellungnahmen der Sachverständigen bei einer Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwochnachmittag. Generalstaatsanwalt Norbert Weise (Koblenz), Detlef Manger vom Zentralverband der Hauseigentümer, der Tübinger Rechtsprofessor Kristian Kühl und Regierungsdirektor Markus Jäger vom sächsischen Justizministerium unterstützten die Forderung von CDU/CSU und FDP, neben tatsächlichen Sachbeschädigungen und Substanzverletzungen durch Graffiti auch das bloße "Verunstalten" oder die Veränderung des äußeren Erscheinungsbilds von Eigentum unter Strafe zu stellen. Vertreter der Polizei und der Staatsanwaltschaft des Landes Berlin bezeichneten hingegen die derzeit geltenden gesetzlichen Bestimmungen als ausreichend, die Probleme lägen vielmehr bei der Ermittlung der Täter und bei der Beweisführung. Auf deutlichen Widerspruch stießen die Gesetzentwürfe der Liberalen ( 15/63), der Union ( 15/302) und des Bundesrats ( 15/404) bei Stefan Braum, Kriminologe an der Universität Frankfurt.
Unter Verweis auf detaillierte Auswertungen der Kriminalstatistiken im Blick auf Tatverdächtige bestritt Braum die Thesen anderer Experten, dass sich in den Städten Graffiti während der vergangenen Jahre massiv ausgeweitet habe und dass diese Verfehlungen bei Jugendlichen den Beginn einer "kriminellen Karriere" markierten. Zwar habe Graffiti zugenommen, doch solle man diese Verletzung fremden Eigentums nicht dramatisieren. Das Sprayen sei, so Braum, meist eine "episodenhafte jugendspezifische Erscheinung". Erst die Anwendung des Strafrechts degradiere in solchen Fällen junge Leute und könne so den Beginn einer kriminellen Karriere vorzeichnen. Braum plädierte dafür, die Möglichkeiten zivilrechtlicher Regelungen zu erweitern, um Täter verstärkt persönlich zur Beseitigung der angerichteten Schäden heranzuziehen.
Oberstaatsanwalt Karl-Georg Ernst (Berlin), Kriminaloberrat Mario Hein (Berlin) sowie Markus Moritz als Leiter der inzwischen 33-köpfigen Graffiti-Ermittlungsgruppe in der Hauptstadt betonten übereinstimmend, dass das Sprayen ein massives Problem darstelle. Besorgniserregend sei vor allem, dass einzelne organisierte Gruppen mittlerweile den Großteil der Schäden verursachten. Diese effizient organisierten Gruppen vermarkteten sogar ihre Gemälde über Bildbände und Videofilme. In dieser Szene würden Claims abgesteckt, wobei man die Kämpfe teilweise auch gewalttätig austrage. Jedes Jahr, so Moritz, gebe es in Berlin 7000 Ermittlungsvorgänge, die Schadenssumme in diesem Bundesland belaufe sich jährlich auf rund 25 Millionen Euro. Ernst erwähnte, dass praktisch jede Graffiti-Aktion auch zu einer Sachbeschädigung am betroffenen Eigentum führe, was bei Gericht anerkannte Gutachten bestätigten. Insofern biete die gegenwärtige Gesetzeslage eine ausreichende Handhabe für Polizei und Justiz. Moritz erklärte, der vor allem nachts anfallende Ermittlungsaufwand wäre sehr groß, wenn alles durchgeprüft werden müsste, was in den Gesetzentwürfen stehe.
Manger befürwortete die Forderungen des Bundesrats, der Union und der FDP nach einer Bestrafung auch einer bloßen Veränderung des Erscheinungsbilds durch Graffiti mit dem Hinweis, dass sich das Sprayen drastisch ausgeweitet habe. Viele Hauseigentümer hätten kein Vertrauen mehr in staatlichen Schutz. Aufgrund solcher Schäden sei mancherorts ein Wohnungsleerstand zu beklagen. Das Grundgesetz, so Manger, schütze das Eigentum umfassend. Jäger meinte, der gegenwärtige strafrechtliche Schutz vor Graffiti sei lückenhaft. Das Ausmaß des Sprayens sei inzwischen so groß, dass eine zusätzliche Strafandrohung zur "Normverdeutlichung" nötig sei. Die "Verschandelung des Stadtbilds" werde von der Bevölkerung als "Vandalismus" empfunden. Weise sagte, Graffiti sei ein "Kriminalitätsschwerpunkt" geworden, dies werde vielfach als "sichtbarer Zerfall der öffentlichen Ordnung" wahrgenommen. Es gebe, so der Generalstaatsanwalt, ein "gravierendes Vollzugsdefizit" bei den meist jugendlichen Tätern. Auch wegen der "Signalwirkung" sei bei Graffiti eine Ausweitung des Straftatbestands erforderlich. Kühl stufte einen "erweiterten Eigentumsschutz" ebenfalls als legitim ein. Das Zivilrecht nutze in diesem Fall nicht viel, weil die betroffenen Eigentümer die Sprayer nur selten ermitteln könnten.
Aus Sicht der Sachverständigen, welche die vorliegenden Gesetzentwürfe unterstützen, ist allerdings noch eine Verständigung über die genaue und präzise Bezeichnung des neuen Straftatbestands nötig. Der Gesetzeswortlaut müsse, so Weise, an objektivierbare Merkmale anknüpfen, Bagatelldelikte ausklammern und einen unnötigen Ermittlungsaufwand vermeiden.
In einer schriftlichen Stellungnahme plädierte auch der Deutsche Städtetag dafür, die Beeinträchtigung der äußeren Gestaltung eines Eigentums unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Die "angemessene Formulierung" des Straftatbestands sei Sache der Strafrechtsexperten.