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"Ein Zeitzeugnis für den Umgang mit Geschichte"
Blickpunkt Bundestag-Gespräch mit Markus Meckel, Mitglied in der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit"1992 setzte der Deutsche Bundestag eine Enquete-Kommission mit
dem Titel "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur
in Deutschland" ein. Ihre Arbeit war vor allem historisch
orientiert. Zwischen 1992 und 1994 untersuchte sie die Strukturen
des SED-Machtapparates, erforschte die Funktion von Recht, Justiz
und Polizei im DDR-Staat, beleuchtete die Rolle der Kirchen sowie
der Opposition und des Widerstandes.
In der 13. Legislaturperiode beschäftigte sich der Bundestag
in einer neuen Enquete-Kommission ebenfalls mit diesem
Themenkomplex. Diese zweite Kommission wird Mitte Juni 1998 ihren
Abschlußbericht vorlegen. Sie hatte vor allem den Auftrag,
Parlament und Regierung Handlungsempfehlungen für den Umgang
mit den Folgen und der Hinterlassenschaft der SED-Diktatur zu
geben, war also gegenwarts- und zukunftsorientiert, was sich auch
in ihrem Titel "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im
Prozeß der deutschen Einheit" widerspiegelt. Über die
Arbeit des Gremiums sprachen wir mit Markus Meckel, dem
früheren DDR-Oppositionellen und SPD-Obmann in der
Kommission.
Eines der erklärten Ziele der
Enquete-Kommission war es, die Menschen in Ost und West im Verlauf
des Einigungsprozesses einander näherzubringen. Aber viele
Ost- und Westdeutsche stehen sich, mit den Klischees vom jeweils
anderen beladen, oftmals noch fremd gegenüber ...
Nein, die Haltung hat sich schon verändert. Was die Klischees
betrifft, so sind sie " vor allem im Westen " durchaus einem
differenzierteren Bild gewichen. Daran hat auch unsere Kommission
ihren Anteil. Mit fundierten Anhörungen zu so
vielfältigen Themen wie Bildungs- und Umweltpolitik in der
DDR, Situation der Frauen im geteilten und vereinten Deutschland,
Wertorientierungen in Ost und West ist es uns gelungen, eine
breite, interessierte Öffentlichkeit zu erreichen. 1990/91 war
der Blick des Westens auf den Osten fast ausschließlich auf
das Thema Stasi fixiert. Heute ist das Bild viel
differenzierter.
Aber viele Ostdeutsche fühlen sich, das wurde auf
Anhörungen deutlich, durch die Erkenntnisse der Kommission
diskreditiert. Sie sehen ihr Leben in der DDR als entwertet an,
wenn der Staat, in dem sie lebten, als Unrechtsstaat
vorgeführt wird.
Wenn wir die SED-Diktatur und ihre Führung politisch und
moralisch verurteilen, heißt das doch nicht, daß wir die
ihr unterworfenen Menschen verurteilen oder deren Lebensleistung
abwerten. Im Gegenteil. Aber vielen Menschen im Osten fällt es
schwer, das auseinanderzuhalten, zu differenzieren. Und die PDS,
die ein objektives Interesse daran hat, die Aufarbeitung zu
verhindern, nimmt diese Stimmung der Menschen geschickt auf und
gibt sich obendrein als Anwalt der Ostdeutschen.
Welches waren die wichtigsten Themen in
dieser Legislaturperiode?
Eines der wichtigsten Anliegen war es, mit einem Gesetzentwurf die
Gründung einer Stiftung vorzubereiten, die die Arbeit der
zahlreichen, oft in der Existenz bedrohten Aufarbeitungsinitiativen
sichert. Der Bundestag hat dieser Stiftung zugestimmt und damit ein
eigenständiges Instrument im pluralen Aufarbeitungsprozeß
auf den Weg gebracht. Das war ein parteiübergreifender Erfolg
der Kommission. In unserem Abschlußbericht werden wir auch
Vorschläge über die Förderung von
Gedenkstätten, die an die Opfer von SED-Unrecht erinnern,
vorlegen. Wir sind der Ansicht, daß sich der Bund nicht, wie
bisher geplant, zehn Jahre nach der Einheit aus der Förderung
zurückziehen darf.
Ein anderer Schwerpunkt unserer Arbeit war die Rehabilitation der
Opfer der SED-Diktatur. So wurde zwar das
Unrechtsbereinigungsgesetz novelliert. Aber nach Auffassung meiner
Partei gibt es dabei noch zahlreiche Defizite " besonders, was die
Anerkennung gesundheitlicher Schäden oder den Ausgleich
beruflicher Nachteile betrifft.
Gibt es noch weiße Flecken in der
Aufarbeitung der DDR-Geschichte?
Ja, die gesamtdeutsche Perspektive bei der Aufarbeitung der
SED-Diktatur ist von Anfang an zu kurz gekommen: zum Beispiel das
Verhältnis des Westens zur DDR. Zudem schätzen die in der
Kommission vertretenen Parteien diese Frage verschieden ein. Da
geht es etwa um die Ostverträge, Kontakte zur SED oder die
Wirtschaftskredite des Westens an die DDR.
Die Kommission wollte vor allem
Empfehlungen im Prozeß der Einigung geben...
Die Zeit hat gefehlt, um im Bereich der Bildung Vorschläge zu
unterbreiten, die dringend notwendig wären. Wie zum Beispiel
die DDR-Vergangenheit im Schulunterricht behandelt wird, ist mehr
als dürftig. Besonders in den neuen Bundesländern wird
sie als Anhang der Nachkriegsgeschichte nur gestreift.
Die Arbeit der Kommission geht mit dieser
Legislaturperiode zu Ende. Ihr Fazit?
Die Aufgabe der Enquete-Kommission war es nicht, am Ende
Geschichtsbücher abzuliefern. Jedoch ist es uns gelungen,
durch die Vielfalt der Themen in der relativ kurzen Zeit unserer
Arbeit eine sehr große Fülle an Aufarbeitungsmaterial
beizubringen. Das wäre ohne die Kommission so vielleicht nicht
möglich gewesen. Hier hat sich unsere Arbeitsweise,
Zeitzeugen-Anhörungen mit den Gutachten von Wissenschaftlern
zu verknüpfen, bewährt und hat überdies den Dialog
gefördert.
Im übrigen bin ich fest davon überzeugt, daß die
Kommission vor allen Dingen ein Zeitzeugnis sein wird, ein
Zeitzeugnis für den Umgang mit der deutschen Geschichte in den
ersten Jahren nach der Wiedervereinigung.