menschen im bundestag
Vom Text wieder zu den Leuten
Herta Parchent arbeitet beim Besucherdienst der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Sie sorgt dafür, dass Erwartungen eingelöst, Neugier befriedigt und Fragen beantwortet werden.
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Kurz vor drei kommen die ersten der Besuchergruppe. Sie bleiben etwas unschlüssig vor dem Raum B2 im Reichstagsgebäude stehen. Um drei ist der Tag schon lang gewesen, einige aus der Gruppe sehen etwas müde aus. Ganz vorsichtig öffnet jemand die Tür, um zu schauen, ob B2 schon leer ist. Aber noch sitzt eine andere Besuchergruppe drin und diskutiert mit einem Abgeordneten. "Ich muss mich setzen, mir tun die Füße weh", sagt eine ältere Dame und lehnt sich ans Fensterbrett.
Eine Frau in dunkelgrünem Kostüm und einem weich fallenden, dunkelblauen Mantel kommt. Sie läuft schnell, trotz der zwei recht schwer aussehenden schwarzen Taschen, die sie trägt, und der lange Mantel erzeugt beim Vorbeigehen einen ganz leichten Luftzug. "Hallo", sagt sie zu denen, die vor B2 warten. "Ich bin Herta Parchent vom bündnisgrünen Besucherdienst. Es kann sicher gleich losgehen." Sie lächelt und stellt die Taschen auf den Boden. Dann geht sie ans Fenster und beginnt, mit zwei Frauen aus der Gruppe zu reden. Sie möchte wissen, wie der Tag war bis zu dieser Stunde, ob man zufrieden ist mit dem Programm, was abends noch geplant ist, wo genau man herkommt. Ein paar Minuten später ist der Raum frei, die Besuchergruppe vollzählig und bereit für den nächsten Programmpunkt. Der heißt Albert Schmidt, ist Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und wird ihnen Rede und Antwort stehen.
Alles ist gut organisiert. Herta Parchent begrüßt die Gäste noch einmal offiziell und sagt: "Wir möchten Ihnen zuerst einen kleinen Film zeigen, um Ihnen unsere Fraktion vorzustellen." Noch ist der Techniker nicht da. Herta Parchent überbrückt die kleine Pause, stellt neues Informationsmaterial der Fraktion vor, beantwortet Fragen.
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Arbeitsplatz Reichstagsgebäude: Hier trifft sich Herta Parchent mit den Besuchern. |
Jemand möchte ein Wasser trinken, aber zur Cafeteria ist es zu weit und gleich fängt der Film an. Während der Vorführung wird Herta Parchent losgehen und Getränke organisieren. Den Film hat sie schon oft gesehen. Er ist auf ihre Anregung hin entstanden - ein schnell geschnittenes Stück, kurzweilig, informativ, modern. Nur die Musik erinnert manchmal ein wenig an die Zeit, als die Grünen ins Parlament einzogen.
Später dann - nach der Vorstellung - kommt der Abgeordnete Schmidt aus Hitzhofen, und Herta Parchent kann das Zepter abgeben. Sie muss auch, denn um vier wartet die nächste Besuchergruppe auf sie, eine Schulklasse. Sie muss heute auch nicht nochmal ins Büro. Danach kann Herta Parchent die Sachen ins Büro in der Luisenstraße bringen und nach Hause fahren.
Ihr Büro liegt im ersten Stock eines alten Gebäudes, dem ehemaligen Sitz der Generalstaatsanwaltschaft der DDR. An das Fenster, von dem aus man auf die Luisenstraße und deren Plattenbauten aus DDR-Zeiten sehen kann, sind vor Urzeiten schwere Gitter angebracht worden. Davor steht eine Laterne, und wenn es dunkel ist, scheint ihr Licht direkt in das Arbeitszimmer von Herta Parchent. Das hat dann wieder was. Trotz Gitter.
Das Erste, was beim Gespräch mit der Mitarbeiterin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auffällt, ist dieses angenehm rollende "R". Herta Parchent kommt aus Franken, ist groß geworden in einem kleinen Ort in der Nähe von Bayreuth, auf dem Bauernhof ihrer Eltern, den jetzt ihr Bruder bewirtschaftet. Dieses unnachahmliche R hat zur Folge, dass die Frau sehr gelassen wirkt im Gespräch. Vor allem aber auch wegen der Pausen. Herta Parchent kann einen Satz sagen, und wenn ihr der nächste Satz dann vielleicht besonders wichtig ist, schweigt sie einige Sekunden. Keine Füllsätze, keine Ersatzhandlungen - sie schweigt, überlegt und redet dann weiter, wenn fertig gedacht ist. Daran muss man sich gewöhnen, und wenn man sich dran gewöhnt hat, ist es gut so. Ein Gesprächsrhythmus ohne Hektik.
Damit vertraut, ist es nur noch ein bisschen verwunderlich, dass Herta Parchent ihren Werdegang rückwärts erzählt. Sie beginnt im "Jetzt" und ist irgendwann bei den Kinderjahren auf dem Land. Mitten in dieser Erzählung sagt sie den Satz: "Ich wollte vom Text wieder zu den Leuten kommen." Ein schöner Satz. Kurz und wichtig. Was hat er zu bedeuten?
Herta Parchent arbeitet seit 1983 für die Grünen. In der ersten grünen Bundestagsfraktion war sie drei Jahre lang Mitarbeiterin bei Otto Schily, nach dessen Rotation dann Mitarbeiterin in der Öffentlichkeitsarbeit der grünen Stuttgarter Landtagsfraktion. Herta Parchent ist ausgebildete Werbefachwirtin. Sie war bei den baden-württembergischen Landtagsgrünen verantwortlich für die Texte und Gestaltung der Informationsmaterialien.
Dass sie zu den Grünen ging, war kein Zufall. Sie hat sehr zeitig begonnen, sich für Politik zu interessieren, kam über die Friedens- und Ökologiebewegung zur Partei. "Ich wollte professionelle Öffentlichkeitsarbeit machen für die Grünen", beschreibt sie ihr damaliges Anliegen. Und sie setzte es um.
Aber irgendwann entstand eben der Wunsch, vom Text zu den Menschen zu kommen. Der Wunsch korrespondierte später mit einer Stellenbeschreibung, in der jemand für den Besucherdienst der Bundestagsfraktion gesucht wurde. Herta Parchent ging nach Bonn und dann - vor einem Jahr - nach Berlin. Das mit Berlin, gibt sie zu, war keine einfache Entscheidung und ein ziemlicher Neuanfang. Für sie und für ihren Sohn. Dafür aber hat sie eine Aufgabe, die ihr wirklich Spaß macht. "Und im Nachhinein war der Wechsel in diese Stadt auch viel weniger dramatisch, als wir uns vorgestellt hatten."
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Durch die Arbeit beim Besucherdienst, die sie seit nun schon sechs Jahren macht, lernt Herta Parchent Jahr für Jahr eine Menge Menschen aus allen Bundesländern kennen. Jedes Mitglied des Bundestages kann im Jahr rund 300 Menschen in die Bundeshauptstadt einladen. Das sind bei 47 Abgeordneten also an die 14.000 Menschen. "Ich bin sozusagen die Mittlerin zwischen den Besucherinnen und Besuchern und den Abgeordneten und die Koordinatorin. Ich kümmere mich um das Rahmenprogramm, das heißt, ich überlege mir, was für die ganz unterschiedlichen Gruppen, die über den Bundestag eingeladen werden, wichtig und gut währe, wo vielleicht ihre Interressen liegen könnten und von allem, welch Gesprächspartner die richtigen sind."
Die Erwartungshaltung ist meist groß, wenn die Menschen nach Berlin kommen. Immer ist die Zeit zu kurz, und immer möchte man so viel wie möglich sehen, erleben, erfahren, lernen. Und die meisten wollen Politikerinnen oder Politiker zum Anfassen. Wenn man schon mal in Berlin ist, vielleicht von weit her angereist, dann doch vielleicht sogar den Außenminister kennen lernen oder den Umweltminister. Dann möglicherweise die Chance nutzen und über die Ökosteuer diskutieren oder über die Rentenreform. Dann, wenn es klappt, abends ein Bier mit seinem Abgeordneten trinken und selbstverständlich das Reichstagsgebäude von innen sehen und den Potsdamer Platz, wenn die Zeit reicht.
Herta Parchent kennt all diese Erwartungen und Wünsche. Und sie versucht, ihnen gerecht zu werden. "Für mich ist das Allerwichtigste, den Besucherinnen und Besuchern zu zeigen, dass man sie ernst nimmt. Dazu braucht es meine Präsenz, die meiner Fachkolleginnen und -kollegen und natürlich vor allem die Präsenz der Abgeordneten. Es sind ja für beide Seiten wichtige Stunden oder Tage. Die Fraktion hat die Möglichkeit, sich darzustellen und zugleich zu erfahren, was die Menschen berührt, beschäftigt oder auch ärgert. Die, die kommen, können ihre Erfahrungen im direkten Gespräch abgleichen. Die einen machen sich die Mühe, zu uns zu reisen, und wir machen uns die Mühe, ihnen dafür Zeit zur Verfügung zu stellen."
In gewisser Weise ist Herta Parchent Perfektionistin. Sie will unbedingt, dass immer alles gut und richtig gelingt. Sie nimmt die Gruppen, die kommen, wichtig. Sie will, dass die Tage oder die Stunden in Berlin lange und in bester Erinnerung bleiben. "Ich bin eine Pusherin", sagt sie selbst von sich und nennt diese Eigenschaft zugleich als Stärke, aber manchmal sei es auch eine kleine Schwäche. "Nicht immer kann alles gleich perfekt gelingen. Wenn man Programme organisiert, passiert es, dass auch mal was schief geht." Aber nein, sie will nicht, dass etwas schief geht. Sie will, dass es immer gelingt. "Oft fühle ich mich als Einzelkämpferin", sagt sie. "Aber das hat auch Vorteile: So kann ich das Tempo selbst vorgeben und die Ziele auch."
Manche Kontakte, die sich aus solch einem kurzen Besuch in Berlin ergeben, halten lange. "Besonders Lehrerinnen oder Lehrer", erzählt Herta Parchent und lächelt, "sind natürlich daran interessiert, häufig für ihre Schulklassen einen solchen Besuch im Parlament zu organisieren. Und wenn sie mich dann schon mal kennen gelernt haben, rufen sie natürlich wieder bei mir an und fragen, ob und wann es möglich ist, mit ihren Schülern nach Berlin zu kommen."
So also ist zu verstehen, wenn jemand wie Herta Parchent vom Text zu den Leuten kommen möchte. Dass es so viele Leute werden, hat sie vielleicht damals, als sie den Satz dachte, nicht geahnt. Aber es gefällt ihr so. Das kann man Glück nennen. Für sie und für die, die zu Besuch kommen.
Kathrin Gerlof
Infos
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: beschäftigt ca. 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter ca. 5 beurlaubte Beamte. Die Fraktion ist in 4 Arbeitskreise gegliedert: Arbeitskreis (AK) Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Finanzen, AK Umwelt, Infrastruktur, Ernährung, Bildung, Tourismus und Sport, AK Innen, Recht, Frauen und Jugend, AK Außenpolitik, Menschenrechte, Abrüstung. Ungefähr 20 ReferentInnen leisten themenspezifische Zuarbeit für die Abgeordneten und Arbeitskreise. Referate und Arbeitskreise bilden zusammen mit den Organisationseinheiten Fraktionsgeschäftsführung, Parlamentarische Geschäftsführung, Pressestelle, Öffentlichkeitsarbeit, Justitiariat und der Poststelle das "Rückgrat" der Fraktion.
MitarbeiterInnen arbeiten ebenso für die zwei Vorsitzenden und den geschäftsführenden Vorstand oder für Enquête-Kommissionen und Untersuchungsausschüsse.
Informationen zur Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Internet: www.gruene.de
eMail: info@gruene-fraktion.de