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Wenn Politiker es eilig haben
Damit das Gesetz über das generelle Verbot der Tiermehlfütterung innerhalb kürzester Zeit in Kraft treten konnte, mussten Politiker und Beamte Ende November eine Woche lang unter Hochdruck arbeiten. Denn wenn etwas so sehr eilt wie ein Eilgesetz, werden auch von Staatsbediensteten besondere Anstrengungen verlangt. Trotzdem wurde der Weg für das Tiermehl-Gesetz quasi von jetzt auf gleich freigeräumt – ein Eilverfahren mit Seltenheitswert, nach dem Motto: am Montag noch nicht geschrieben, am Samstag schon im Bundesgesetzblatt. Normalerweise dauert es mindestens drei Monate, bis aus einem fertigen Entwurf ein beschlossenes Gesetz wird. Aber was ist schon "normal" in diesen Zeiten des Rinderwahns?
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Landwirtschaftsminister Funke und Gesundheitsministerin Fischer begrüßen sich vor Beginn der Sitzung des Bundesrats, in der das Eilgesetz behandelt wird. |
Eine Kurzchronik der besagten Woche: Sonntag tagen die Krisenstäbe von Landwirtschafts- und Gesundheitsministerium. Am Montag ist der Gesetzentwurf fertig, der gleich am Dienstag in erster Lesung in den Bundestag kommt. Von hier wandert der Entwurf am Mittwoch durch die zuständigen Ausschüsse für Gesundheit und Ernährung. Die tagen gleich zweimal an diesem Tag, ihre Korrekturwünsche werden ebenfalls in Windeseile beraten. Am Donnerstagabend schließlich wird das Gesetz im Bundestag beschlossen – Überstunden für die Parlamentarier, aber auch für Bundeskanzler Gerhard Schröder und Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke. Denn beide müssen sich bereithalten, um noch am selben Abend die Originalurkunde zu unterschreiben.
Am Freitag sind dann der Bundesrat und Bundespräsident Johannes Rau gefragt. Während die Ländervertreter am Vormittag über das Tiermehl-Fütterungsverbot beraten, steigt ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums in den Flieger von Berlin nach Bonn. Im Gepäck: die Originalurkunde des Gesetzes. Ein Edelkurier quasi, der in Bonn die Unterschrift des Bundespräsidenten einholen soll. Rau hat an diesem Freitag Termine in Nordrhein-Westfalen, erst in Hagen, später in Bonn, wo er sich mit Korrespondenten aus dem Ausland unterhält. Zwischen den Treffen bekommt der Präsident in der Villa Hammerschmidt Besuch. Der Kurier aus Berlin bittet ihn, die Urkunde zu unterschreiben, muss sich aber noch gedulden. Denn unterschreiben darf Rau erst, wenn der noch in Berlin tagende Bundesrat dem Tiermehl-Gesetz ebenfalls zugestimmt und seine Sitzung offiziell beendet hat. Dies geschieht am frühen Nachmittag – der Präsident unterschreibt. Jetzt endlich kann Raus Referent in Bonn-Troisdorf bei der Bundesdruckerei anrufen und den Druck des Gesetzes anordnen. Bis Freitag 18 Uhr müssen die Gesetzestexte bei der Post sein. Die Frist wird eingehalten. Am nächsten Tag, dem Samstag, tritt das Fütterungsverbot wie geplant in einer Sondernummer des Bundesgesetzblattes in Kraft. Schnelligkeitstest bestanden! Es war der erste für die rot-grüne Bundesregierung und Präsident Rau.
Die Geschichte des bundesdeutschen Parlamentarismus kennt hingegen bereits etliche Eilverfahren. Fast immer, wenn Tempo gefragt war, gaben die Politiker auch wirklich Gas. So etwa bereits 1951 unter Konrad Adenauer, als der Getreidepreis noch gesetzlich geregelt wurde. Damals nahm man sich insgesamt neun Tage Zeit zwischen der Einbringung im Bundestag und der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt, um einen gesetzlosen Zustand für die Regelung des Getreidepreises zu verhindern. Die Rekordverfahren (jeweils 3 Tage) stammen unterdessen aus den Jahren 1972 und 1977. Anfang der Siebziger erließ die Bundesregierung angesichts der weltweiten Ölkrise ein Gesetz, das ihr besondere Maßnahmen zur Sicherung der Energieversorgung erlaubte. Auf der Grundlage dieser Regelung wurde dann etwa das Sonntagsfahrverbot für alle Bundesbürger erlassen. Auch das Kontaktsperrengesetz, das den inhaftierten RAF-Terroristen den Kontakt untereinander und zur Außenwelt verbot, trat 1977 nur drei Tage nach Einbringung in den Bundestag in Kraft.
Das wichtigste Gesetz jedoch, das jemals im Eilverfahren durchgesetzt wurde, war die Ratifizierung des Zwei-plus-vier-Vertrages im Oktober 1990. Die Vier Mächte und die damals noch zwei deutschen Staaten hatten am 12. September 1990 in Moskau jenen Vertrag unterzeichnet, der das Außenverhältnis des vereinten Deutschlands regelte. Darin wurde der Bundesrepublik 41 Jahre nach ihrer Gründung die volle Souveränität zugesichert. Kein Wunder also, dass es die Parlamentarier mit der Ratifizierung eilig hatten.
Markus Feldenkirchen