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Aschot Manutscharjan
Warum die Russen Putin wählen werden
Ziemlich klare Verhältnisse vor den
Präsidentenwahlen
Am kommenden Sonntag finden in Russland
Präsidentschaftswahlen statt. Der Name des Siegers steht schon
heute fest: Präsident Wladimir Putin wird auch künftig
die Geschicke seines Landes lenken. Selbst wenn Wahlbeobachter
Unregelmäßigkeiten oder gar Wahlfälschungen
feststellen sollten, den Ausgang des Urnengangs würden sie
nicht beeinflussen. Sogar die Mitbewerber des Präsidenten
geben auf Nachfrage unumwunden zu, dass die russischen Bürger
Wladimir Putin für eine zweite Amtszeit im Kreml sehen
wollen.
US-Außenminister Colin Powell mag noch
so viele kritische Artikel über die Politik Russlands in der
"Izvestia" veröffentlichen und die Sicherheitsberaterin des
US-Präsidenten, Condoleezza Rice, noch so viele "gute
Gründe" aufzählen, warum man sich über die Zukunft
Russlands Sorgen machen muss. Egal. Die Russen werden Putin
wählen. Mit Blick auf die politische Kultur im Lande ist dabei
kritisch anzumerken, dass der Präsident keinen starken
Gegenkandidaten hat. Allein der Demokratin Irina Chakamada bleibt
die Ehre, eine überzeugende Mitbewerberin um das höchste
Amt im Staat zu sein. Eine echte Chance hat allerdings auch sie
nicht, zumal die politischen Kräfte, die sie stützen,
zerstritten und schwach sind. Alle anderen sind in den Augen der
Wähler unglaubwürdig.
Die Frage "Wer ist Putin?" stellt niemand
mehr. Sie ist seit langem beantwortet. Allein in Deutschland liegen
inzwischen sechs Biographien über ihn vor, in Russland stolze
18! Die Menschen kennen seinen Lebenslauf und seine Taten. Dessen
ungeachtet bleibt der Kreml-Herr ein Rätsel. Auch politisch,
denn für eine Überraschung ist Putin immer gut. Für
viele ist seine Politik schlicht unberechenbar. Das trifft vor
allem für die Innenpolitik zu. Erinnert sei an dieser Stelle
an die Entlassung der Regierung genau zwei Wochen vor der
Wahl.
Diese Einschätzung mag der Tatsache
geschuldet sein, dass über die innenpolitische Entwicklung
Russlands unter Präsident Putin weit weniger stark informiert
wird als über seine Außen- und Sicherheitspolitik.
Natürlich gibt es gute Gründe, die Atommacht Russland
nicht aus den Augen zu verlieren. Auch legte Putin selbst von
Anfang an einen Schwerpunkt seines Regierungshandelns auf die
Außen- und Sicherheitspolitik. Dazu passt, dass er sich
öfter im Ausland aufhielt als in der russischen Provinz.
Nahezu vier Jahre hat der Präsident gebraucht, um zu
verstehen, dass die Sanierung der russischen Wirtschaft wichtiger
ist als ein weiterer Staatsbesuch in Nord-Korea. Oberste
Priorität hat jetzt, so ein zentrales Ziel des
Präsidenten, die Verdoppelung des russischen
Bruttoinlandprodukts.
Warum wird die überwiegende Mehrheit der
Russen den Präsidenten im Amt bestätigen? Putin ist einer
von ihnen und ungeachtet seiner Position volksnah geblieben. Das
signalisiert seine Art zu sprechen und sich zu bewegen. Hinzu
kommt, dass es dem Kreml-Herrn durch eine geschickte Medienarbeit
gelungen ist, in jeder russischen Familie präsent zu sein. In
seinen Kindheitserinnerungen erkennen sich Millionen Russen
wieder.
Aufgewachsen ist der Präsident in einer
kleinen Einraumwohnung, der so genannten Kommunalka
(Gemeinschaftswohnung). Sein Vater war einfacher Fabrikarbeiter,
seine Mutter Putzfrau. Dass es Putin, der selbst für die
Sowjetunion aus kleinen Verhältnissen stammt, bis nach ganz
oben geschafft hat und dabei "sauber" geblieben ist, macht ihn
für viele zum Helden. Selbst in den bewegten Jahren nach dem
Zerfall der UdSSR tauchte sein Name nie im Zusammenhang mit
Neu-Reichen oder Jelzins "Demokraten" im Dunstkreis des Kreml auf.
Von der Party-Szene hielt sich Putin ebenso fern wie von den
Titelseiten der russischen Yellow-Press mit ihren mondänen,
diamantengeschmückten Schönen. Konsequent mied er diese
Minderheit, die in dem neuen "demokratisch-kapitalistischen"
Russland ihr Leben genießen durfte. Die pauperisierte Mehrheit
interessierte damals nicht, außer vielleicht die Kommunisten,
die Faschisten und andere politische Rattenfänger.
Die Sympathien des Volkes
Zudem hatte Putin keine freundschaftlichen
Kontakte zu denjenigen unterhalten, die das Staatseigentum
privatisierten und das korrupte Oligarchen-Netz zu erschaffen
halfen. Somit kann die Kreml-Clique, die die Staatsform der
Demokratie in den Augen von Millionen Russen nachhaltig
diskreditierte, vordergründig nicht in Verbindung mit Putin
gebracht werden. Das alles erklärt die Sympathie, mit der die
Menschen dem Präsidenten begegnen. Übersehen wird in
diesem Zusammenhang gerne, dass Putin nur durch seine
bedingungslose Loyalität zu dieser vormaligen Kreml-Mannschaft
überhaupt an die Spitze des Staates gelangen konnte. Nur der
Legende nach war er nicht mehr als ein treuer
Staatsdiener.
Wladimir Putin hat in den Augen seiner
Wähler aber auch noch andere Qualitäten: Er ist weder
Alkoholiker noch Quartalssäufer, außerdem muss man sich
als russischer Patriot nicht für sein Benehmen im In- und
Ausland schämen. Vielmehr vertritt er Russland würdig,
selbstbewusst und stolz. Dabei spricht der Präsident Klartext
und bedient sich einer für jeden Russen verständlichen
Sprache. Sogar seine via TV übertragenen Wutausbrüche und
verbalen Entgleisungen, die den Zuschauern in die Wohnzimmer
flimmern, mehren sein Ansehen, da sie Putin menschlich erscheinen
lassen. Aussprüche des Präsidenten haben inzwischen
Kultstatus. Bereits früh eroberte sich Putin einen festen
Platz in den Herzen der Menschen, als er in seiner ersten
Erklärung als Ministerpräsident nach den
Terroranschlägen in Moskau und dem Angriff einer
tschetschenischen Bande auf Dagestan im Sommer 1999 sagte: "Wir
machen die Tschetschenen platt, auch wenn sie auf dem Klo sitzen".
Damit traf er den Nerv der Russen, die von den
Tschetschenien-Kriegen und den Terroristen schlicht die Nase voll
hatten und eine schnelle Lösung der Probleme erwarteten. Nach
dem Terroranschlag am 6. Februar 2004 in der Moskauer U-Bahn fasste
sich Putin kürzer: "Wir werden die Terroristen
vernichten".
Seit vergangenem Jahr hat sich der Kreml-Herr
dem Kampf gegen die Korruption im Land verschrieben. Dabei hat er
sich in den Augen der Bürger höchste Meriten erworben: So
schreckte der Präsident nicht davor zurück, die
Crème de la Crème der russischen High Society, die
berühmt berüchtigten Dollar-Milliardäre, an den
Pranger zu stellen. Dem Beobachter gelang dabei ein Blick hinter
die Kulissen des Putin-Systems: Wohl kalkuliert ließ der
Präsident nur die "Oligarchen" unter Druck setzen, die sich
dem neuen Kreml-Herrscher nicht unterordneten, indem sie
beispielsweise seine sicherheitspolitischen Ziele weiterhin in
Frage stellten. Bis dahin war es den "Oligarchen" immer wieder
gelungen, sich aufgrund ihrer engen Kontakte in den Kreml
freizukaufen. Die rechtsstaatliche Offensive Putins hat diesen
Ausweg jetzt versperrt. Das Volk musste von dieser Politik der
"harten Faust" nicht überzeugt werden. Schließlich
bezweifelt in Russland niemand, dass die riesigen Vermögen der
Oligarchen nur durch dunkle Machenschaften während der
Privatisierungsphase des Staatseigentums erworben werden
konnten.
Die zuletzt erfolgte Verhaftung einer der
Superreichen zeigte den Menschen, dass es sich bei Putins Kampf
gegen die Korruption nicht um eine PR-Aktion handelt. Im Gegensatz
übrigens zu Boris Jelzin, der Organisierte Kriminalität
und Korruption in regelmäßigen Abständen rhetorisch
bekämpfte. Tatsächlich krümmte die "Familie" Jelzins
keinem der Milliardäre auch nur ein Haar. Die Entlassung von
Ministerpräsident Michail Kasjanow und die Ernennung des
"Saubermanns" Michail Fradkow zum neuen Regierungschef ist ein
weiteres Signal an die Wähler. Offen ist allerdings, ob der
Präsident auf diese Weise nicht eine neue Verteilung des
Eigentums in Russland einleitet. "Das Zar-Väterchen ist gut,
nur die Bojaren sind schlecht!" Damit trösten sich die Russen
Jahrhunderte lang. Heute sind an die Stelle des Hochadels die
Beamten getreten. So wie früher die Bojaren knebeln nunmehr
die "Staatsdiener" die kleinen und mittelständischen
Unternehmer: Sie kassieren "Schutzgelder" darin der Organisierten
Kriminalität durchaus verwandt. Zusätzlich zu der von
Putin eingeführten Einkommensteuer in Höhe von 13 Prozent
und der Gewinnbesteuerung in Höhe von 24 Prozent werden sie
von den Beamten regelrecht ausgenommen.
Auf einem anderen Gebiet ist der
Präsident erfolgreicher: Gegen den Widerstand der Kommunisten
setzte er die für Russland revolutionäre Entscheidung
durch, den Bauern das Land zu übereignen, das sie bearbeiten.
Diese Privatisierung von Grund und Boden ist ein wichtiger Baustein
auf dem Weg zu einer marktwirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
Dass übrigens die Staatsduma ganz nebenbei auf
persönlichen Wunsch des Präsidenten die Hymne der
Sowjetunion zur neuen Nationalhymne Russlands machte, ist eine
Reminiszenz an die Vergangenheit.
Devisenreserven aufgestockt
Während seiner ersten Amtszeit half die
Weltkonjunktur Putin bei der Durchsetzung seiner Reformen. Die
enormen Preissteigerungen für die russischen Öl- und
Gasexporte halfen dem Präsidenten, sich aus politischen
Abhängigkeiten zu befreien, die zusätzliche
Auslandskredite mit sich gebracht hätten. Zugleich lehnte er
kategorisch alle Versuche internationaler Finanzorganisationen ab,
ihn zur Aufnahme neuer Schulden zu bewegen. Inzwischen zahlt
Russland in regelmäßigen Raten seine Verbindlichkeiten in
Höhe von 129 Milliarden US-Dollar zurück. Außerdem
gelang es, die russischen Devisenreserven auf nahezu 90 Milliarden
US-Dollar aufzustocken. Dennoch konnte Putin keine neuen
Industriearbeitsplätze schaffen. Dem Chaos in Russland
versucht Putin mit einer gelenkten Demokratie Herr zu werden. Dazu
ernannte er sieben "General-Gouverneure", die als seine
persönlichen Vertreter insgesamt 89 Föderationssubjekte
kontrollieren sollen. Nicht zufällig entsprechen ihre Grenzen
denen der russischen Militärbezirke. Außerdem
verschärfte der Präsident das Parteiengesetz und
torpedierte so die Demokratisierung auf der kommunalen Ebene.
Natürlich wird die Beamtenschar nicht ohne Kalkül
vergrößert. Ein Volk, das satt ist, bestätigt seine
politische Führung nur umso lieber im Amt. Hinzu kommt, dass
es Putin gelungen ist, den Anschein zu erwecken, als habe er Ruhe
und Ordnung im Staat wiederhergestellt, fast so wie zur
Sowjetzeit.
Ob diese patriotische Front der
Vaterlandsverteidiger dereinst den riesigen Staat demokratisieren
kann, wird nicht mehr in Putins Händen liegen. Denn die
Geister, die er an die Macht gebracht hat, werden jeden Politiker
und jede Partei beseitigen, die versuchen, sie von den erlangten
Machtstellungen zu vertreiben. Aber so weit wird es in absehbarer
Zeit gar nicht erst kommen. Immerhin bleibt die Hoffnung, dass sich
Präsident Putin in seiner zweiten Amtszeit verstärkt
dafür engagiert, die anti-demokratischen und autoritären
Strukturen von oben zu reformieren. "Unhaltbar ist die Position",
meint Professor Gerhard Simon aus Köln, "die große Teile
der politischen Öffentlichkeit in Westeuropa und Nordamerika
und noch mehr die politischen Führer im Westen eingenommen
haben: Russland sei 'im Wesentlichen' ein demokratischer Staat, das
Land werde immer kompatibler mit westlichen liberalen Demokratien.
Zu rasch hat der offizielle Westen demokratische Gütesiegel
verteilt, die sich jetzt als ungedeckte Wechsel auf die Zukunft
erweisen."
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