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Kristin Kupfer
Nordkorea - ein nie endender Konflikt?
Das abgeschottete Land will mit seinem nuklearen
Drohpotenzial überleben
Um sechs Tischecken herum haben die USA,
Südkorea, Nordkorea, Russland, Japan und China die Zukunft der
koreanischen Halbinsel vor einigen Tagen in Peking verhandelt. Auch
auf der zweiten Runde der "Sechser-Gespräche" ist kein
entscheidender Durchbruch erzielt werden. Der Weg zu einer
Lösung der nordkoreanischen Nuklearfrage bleibt dehalb nach
wie vor steinig.
Eine halbseitige "Erklärung des
Vorsitzenden der 2. Runde der Sechser-Gespräche" konnte der
chinesische Vize-Außenminister Wang Yi schließlich
verlesen: gute Wünsche und Hoffnungen werden auf eine weitere
Verhandlungsrunde etwa Ende Juni 2004 in Peking vertagt. Denn
Pjöngjang will offensichtlich mehr als nur wirtschaftliche
Hilfe. Diese hat Südkorea gegen ein Einfrieren des
Atomwaffenprogramms angeboten. Das nordkoreanische Regime stimmt
einem solchen Einfrieren seines nuklearen Plutonium-Potentials
jedoch nur zu, wenn die USA ihre "feindliche Politik"
gegenüber Pjöngjang beende. Washington dagegen
knüpft mögliche Vereinbarungen an eine
"vollständige, überprüfbare und unwiderrufliche
Abrüstung", welche auch ein Programm zur Anreichung von
Uranium umfasst. Nukleare Drohgebärden sind seit über
zehn Jahren Teil der nordkoreanischen Überlebensstrategie. Am
Rande des wirtschaftlichen Kollapses hat der totalitäre
Überwachungsstaat bereits Anfang der 90er-Jahre versucht,
wirtschaftliche und politische Zugeständnisse von der
internationalen Gemeinschaft zu erpressen: Nordkorea drohte im
Frühjahr 1993, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten Nach
langwierigen Verhandlungen, an denen auch Südkorea und China
beteiligt waren, einigten sich Washington und Pjöngjang im
Oktober 1994 auf ein "Rahmenabkommen": für die Offenlegung und
den Abbau der nordkoreanischen nuklearen Kapazitäten sicherte
die USA dem Regime politische Normalisierung und wirtschaftliche
Hilfe, unter anderem Öllieferungen und den Bau von zwei
Leichtwasserreaktoren bis 2003 zu. Die atomare Gefahr schien
vorerst gebannt.
Nordkorea kam der Offenlegungspflicht nur
schleppend nach. Mangelnde Konkretisierungen innerhalb des
Abkommens kamen ihm dabei zugute. "Vielleicht haben wir zu
große Zugeständnisse an Nordkorea gemacht", sagte der
ehemalige südkoreanischen Sicherheitsberater Chung Chung-wook
auf einem Panel des Nautilus-Instituts im März 2003. Der Bau
der Reaktoren verzögerte sich. Im Juni 2001 drohte die
Nordkorea deshalb, die Vereinbarung platzen zu lassen.
Im Oktober 2002 kam es zum Eklat.
Während Verhandlungen mit einer US-amerikanischen Delegation
gab Pjöngjang zu, ein Programm zur Anreicherung von Uranium zu
besitzen, was de Führung jedoch später wieder
relativierte. Es ginge nur um das potentielle und
grundsätzliche "Recht auf Besitz", so Pjöngjang.
Nordkorea bezeichnete sein Vorgehen als Antwort auf die Bemerkung
des US-amerikanischen Präsidenten Georg Bush, Nordkorea sei
als Teil der "Achse des Bösen" ein potentielles Ziel für
Nuklearangriffe. Im Dezember 2002 warf Nordkorea die Beobachter der
Internationalen Atombehörde aus dem Land, begann sich an
Plutonium-Brennstäben seines Fünf-Megawatt-Reaktors in
Yongbyon zu schaffen zu machen und trat am 10. Januar 2003 aus dem
Atomwaffensperrvertrag aus. Seitdem hat sich Pjöngjang als
Meister der Diplomatie präsentiert: Bedrohung aufbauen,
Widersprüche einflechten, Forderungen stellen,
Verhandlungsbereitschaft signalisierten. Und alles wieder von
vorne.
Das Erfolgsgeheimnis der nordkoreanischen
Strategie ist ihr hoher Risikofaktor. Auch wenn es keine
gesicherten Beweise gibt, ob und wie viele Atomwaffen
Pjöngjang hat, so zwingt doch die Angst vor einer
tödlichen Fehleinschätzung die Verhandlungspartner immer
wieder zu Zugeständnissen. Dass Nordkorea das Potential
besitzt, Plutonium zu produzieren und atomwaffengerecht
aufzubereiten, ist unumstritten. Der größte bekannte
Reaktor in der Stadt Yongbyon kann nach Schätzungen des
Carnegie Endownment für International Peace genug Plutonium
für eine Atombombe pro Jahr produzieren. Pjöngjang
besitzt zudem 8.000 Brennstäbe, aus denen Plutonium für
rund sechs Bomben entstehen könnten. Darüber hinaus
befürchten insbesondere die Vereinigten Staaten, dass
Nordkorea seine Nukleartechnik nicht nur als Erpressungsmittel,
sondern auch als Exportgut einsetzt.
Pjöngjang gilt als "schwarzes Loch" der
Informationen. Der Eindruck vieler westlicher Analysten von einem
schnellen Zusammenbruchs des Regimes hat sich nicht bestätigt.
Zwar haben der Wegfall der sowjetischen Hilfsleistungen Anfang der
90er-Jahre, die Kriegswirtschaft sowie Folgen der zentralen
Planwirtschaft dazu geführt, dass das Regime ohne
ausländische Unterstützung nicht
überlebensfähig ist. Zudem wird die bröckelnde
Zentralmacht durch zaghafte Privatisierungsmaßnahmen in der
Landwirtschaft und eine sich ausweitende Schattenwirtschaft weiter
angekratzt. Jedoch ist es der Führung unter dem "lieben
Führer" Kim Jong-Il, der sich wesentlich auf einige enge
Vertraute und Generäle stützt, gelungen, das Land durch
eine totalitäre Machtausübung und ein lückenloses
Informationsmonopol zusammenzuhalten. Die desolate wirtschaftliche
Lage wird dabei als Ergebnis des US-amerikanischen Embargos
verkauft. Zwar ist der 62-jährige Kim Jong-Il nicht so
populär und visionär wie sein 1994 verstorbener Vater,
der "große Führer" Kim Il-Sung. Aber er versteht sich auf
eine geschickte und aus der Sicht eines überlebenswilligen
totalitären Regimes rationale Politik. Auf einen baldigen
Kollaps als Lösung der Nuklearfrage ist kein
Verlass.
Auf Reform und Öffnung des Regimes zu
hoffen ist ebenfalls unrealistisch. Zumal der Erfolg einer
wirtschaftlichen Transformation, wie sie die Volksrepublik China
nach 1978 durchlaufen hat, nach Analyse von Hanns Günther
Hilpert, Mitarbeiter bei der Stiftung für Wissenschaft und
Politik in Berlin, eher unwahrscheinlich ist. Nordkorea fehlen
für solch eine Entwicklung die finanziellen Mittel und eine
intakte zentralstaatliche Autorität. Nicht zufällig haben
die Sechsergespräche in Peking stattgefunden. Bereits von drei
Atommächten umringt, misst die chinesische Führung der
Nordkorea-Frage eine große Bedeutung zu und engagiert sich
zunehmend als Vermittler. China signalisierte Pjöngjang schon
im vergangenen Jahr, dass man bei aller Unterstützung keine
nuklearen Experimente wünscht. Angesichts der wachsenden
Flüchtlingsproblematik fürchtet nicht nur Peking
darüber hinaus auch den Kollaps des zudem geostrategisch
bedeutsamen Pufferstaates. Schließlich sieht die chinesische
Führung außerdem die Gefahr, dass die
Nordkoreaproblematik ein atomares Aufrüsten in der Region
initiieren könnte. Bereits jetzt denkt Japan, über das
Nordkorea 1998 eine Rakete hinweg schoss, laut über den Ausbau
seiner Verteidigungsfähigkeit nach. Südkorea verfolgt
prinzipiell eine Annäherung mit seinem Nachbarn durch
wirtschaftliche Kooperation: nicht nur Atomwaffen, sondern auch
Artilleriewaffen und Raketen bedrohen das Land. Die
Wiedervereinigungsfrage steht zudem weiterhin im Raum. Russland ist
ein nukleares Nordkorea ebenfalls ein Dorn im Auge, allerdings
sieht es in der Nuklearfrage auch eine Möglichkeit, seinen
Einfluss in Nordostasien wieder auszuweiten. Die USA setzt in der
Nordkoreafrage verstärkt auf die Zusammenarbeit mit den
regionalen Verbündeten und auch insbesondere mit China. Keine
militärischen Aktionen, "komplette, überprüfbare und
unabänderliche" Abrüstung des Atomprogramms und eine
Stabilisierung Nordkoreas sind aktuelle Prioritäten. Stimmen
der "Falken" in Washington lassen allerdings auch immer wieder den
Kollaps Pjöngjangs als Ziel verlauten.
Das Ende des jetzigen nordkoreanischen
Regimes scheint langfristig das wahrscheinlichste Szenario zu sein.
Bis dahin bleibt es zweifelhaft, ob es seine atomare Trumpfkarte
jemals ganz aufgibt. Selbst wenn eine neue Vereinbarung zustande
kommen sollte, ist nicht auszuschließen, dass Pjöngjang
durch die Schaffung von Sicherheitsrisiken weiterhin versuchen
wird, Zugeständnisse zu erpressen. Zumindest solange bis
Nordkorea sein Ziel gleichberechtigter politischer Beziehungen zu
den USA erreicht hat. Pjöngjang leidet unter der Isolierung,
zumal der Nachbar Südkorea auf dem internationalen Parkett
willkommen ist. Deshalb muss die internationale Gemeinschaft auch
in Zukunft den Verhandlungseinsatz immer wieder neu abwägen:
die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearkrieges versus Kosten und
Nutzen weiterer Zugeständnisse sowie die Folgen eines
Zusammenbruchs des Regimes.
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