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Florian Kain
Die Hansestadt im Ole-Fieber
Hamburg nach der Bürgerschaftswahl: Freud
und Leid der Parteien
Selten ist bei Landtagswahlen in Deutschland ein
Wahlsieger so frenetisch gefeiert worden wie der Hamburger
Bürgermeister von seinen Anhängern. Zu Tausenden hatten
sie sich aufgemacht in die alte Fischauktionshalle am Hafen, um
dort am Abend des 29. Februar ihrem Frontmann Ole von Beust live
und in Farbe zuzujubeln. Ihm, der gerade die absolute Mehrheit
für die CDU geholt hatte. Ihm, von dem trotz dieses einmaligen
Triumphes nur sehr zurückhaltende Töne zu hören
waren. Ihm, der - ganz zurückhaltender Hanseat - nur recht
verhalten formulierte Worte des Dankes an seine Wähler richten
wollte.
Denn der junge Rathausregent, der die Herzen
der Hamburger ganz ohne Allüren, mit lockeren Umgangsformen
und einer besonnenen, völlig unaufgeregten, aber doch
entschiedenen Art im Sturm erobert hat, blieb seiner Natur auch
jetzt treu: Die 47,2 Prozent der Stimmen würden nichts daran
ändern, dass "ich so bleibe, wie ich bin". Ole von Beust
lehnte es rundweg ab, sich in übertriebenen Siegerposen auch
nur fotografieren zu lassen.
Immerhin frohlockte er vor seinen jubelnden
Anhängern später, dies sei ein großer Tag für
Hamburg: "Wir können alle gemeinsam zeigen, was wir
können, und wir können viel." Danach kannte die
Ausgelassenheit der CDU-Fans keine Grenzen mehr. Manche von ihnen
sind selbst Tage danach noch immer nicht ganz in der Lage, es
wirklich zu begreifen, dass ihre Partei, die noch bis 2001 ein
festes Abonnement auf die Oppositionsbänke im Rathaus hatte,
nun tatsächlich die nächsten vier Jahre lang vollkommen
auf sich allein gestellt die Geschicke der Stadt lenken
soll.
Dem Ausgang des hanseatischen Urnengangs
haftet jedenfalls schon jetzt das Etikett einer "historischen
Begebenheit" an. Zu Recht. Die Bürgerschaftswahl bedeutet in
der SPD-Hochburg einen Erdrutsch von gigantischen Ausmaßen,
der in dieser Dimension nur einem Sieg der Sozialdemokraten im
ewigen CSU-Land Bayern vergleichbar wäre. Denn obwohl Beust
seit 2001 bereits als Bürgermeister amtiert, trauten ihm
dennoch nur wenige zu, das CDU-Ergebnis mal eben, quasi im
Handstreich, fast verdoppeln zu können.
Noch bei der Wahl 2001 hatte er nur 26,2
Prozent der Stimmen geholt und war lediglich durch das dann
frühzeitig gescheiterte, skandalumwitterte Bündnis mit
PRO (Partei Rechtsstaatlicher Offensive) und FDP an die Macht
gekommen. Ein weiteres CDU-Fiasko folgte mit dem Ausgang der
Bundestagswahl: Matte 28,1 Prozent aller Zweitstimmen waren 2002
bei der Elb-Union gelandet.
Wahlforscher sind sich in Anbetracht dieser
Zahlen einig: Es ist das hohe Ansehen, die so besonders stark
ausgeprägte Popularität Ole von Beusts, die ihm das
überragende Plus von 165.500 hinzugekommenen Stimmen beschert
hat. Für 74 Prozent aller Wähler war die Politik in der
Hansestadt beim Kreuz in der Kabine ausschlaggebend, nicht aber die
Situation in Berlin, ermittelte die Forschungsgruppe Wahlen. Die
bundespolitische Aussagekraft der Rathauswahl darf deshalb nicht
überschätzt werden, obwohl die schlechte
Großwetterlage für die SPD natürlich zusätzlich
ungünstig wirkte.
Für Hamburgs Sozialdemokraten mit ihrem
gescheiterten Spitzenkandidaten, dem früheren
Wirtschaftssenator und von der Wählerschaft überwiegend
als spröde empfundene Unternehmensberater Thomas Mirow,
bedeutet das zweierlei. Erstens: Sie können ihr schlechtestes
Nachkriegsergebnis von 30,4 Prozent nicht allein auf die
Unzufriedenheit mit dem Bundeskurs der Partei abschieben, sondern
müssen im eigenen Lager auf Ursachenforschung gehen und
Konsequenzen ziehen. Zweitens: Sie dürfen zumindest vage
darauf hoffen, in ein paar Jahren mit einem als attraktiver
wahrgenommenen Personalangebot künftig auch gegen Beust wieder
besser zu bestehen.
Dies aber ändert für die Genossen
nichts daran, dass nun harte Jahre auf den Oppositionsbänken
bevorstehen, - ein emotional nur schwer zu akzeptierendes Schicksal
für die Partei, in der man bis zuletzt die Niederlage von 2001
als einmaligen "Betriebsunfall" betrachtet und in der man sich nach
dem Auseinanderbrechen des Bürgerblocks im November 2003 schon
voreilig auf eine Rückkehr an die Macht gefreut hatte und
für die Thomas Mirow mit der selbstbewussten Vorstellung
"Guten Tag, ich bin Ihr neuer Bürgermeister" auf
Marktplätzen und Straßen der Stadt für Irritationen
und Erstaunen gesorgt hatte.
Denn einen neuen Bürgermeister wollten
die Hamburger mehrheitlich auf gar keinen Fall. Der CDU-Wahlkampf,
der inhaltsarm wie nie zuvor allein mit Beusts Konterfei geworben
hatte, entsprach dieser Grundstimmung und verstärkte sie noch.
Die Sozialdemokraten hatten den Hype um "Ole", wie er selbst von
der auflagenstarken Boulevardpresse liebevoll tituliert wird, bis
zuletzt unterschätzt. Und außerdem darauf gehofft, dass
es gegen den großen Sympathieträger mit der in Hamburg
traditionell starken GAL (Grün-Alternative Liste) vielleicht
dennoch reichen könnte.
Doch auch das gute Ergebnis der Grünen,
die bei 12,3 Prozent der Stimmen landeten und damit im Gegensatz
zur FDP (2,8 Prozent) wieder in der Bürgerschaft vertreten
sind, konnte den Machtwechsel zurück zu Rot-Grün nicht
herbeiführen. Die Grünen sehen das Ergebnis deshalb mit
einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn immerhin darf sich
das Team um die Spitzenkandidatin und Fraktionsvorsitzende der
Partei, Christa Goetsch, über einen beachtlichen Zuwachs von
2,9 Prozent im Vergleich zur Wahl von 2001 freuen. Das bedeutet
eines ihrer besten Landtagswahlergebnisse überhaupt. Wir legen
sofort los, kündigte Goetsch kampfeslustig an, während im
Kurt-Schumacher-Haus, der Parteizentrale der Hamburger SPD, noch
allgemeines Wundenlecken auf dem Programm stand.
Die "Teflon-Zeit" für Ole von Beust sei
jetzt endgültig vorbei, bekräftigte die Politikerin: "Er
kann Missstände jetzt nicht mehr auf kleinere Partner
abwälzen, und das weiß er auch."
Noch schlimmer als für die SPD kam es
beim Wahltag für die PRO (Partei Rechtsstaatlicher Offensive),
die ohne ihre Gründungsfigur Ronald Schill vom Blockbuster-
auf einen Splitterstatus abrutschte: Hatten 2001 noch 19,4 Prozent
aller Hamburger PRO gewählt, so waren es jetzt nur noch 0,4
Prozent. Damit erreichte die Partei, die sich als konservative
Kraft neben der CDU langfristig etablieren wollte und massiv mit
Werbeplakaten Präsenz gezeigt hatte, sogar weniger Zuspruch
als der Transvestit Olivia Jones (0,5 Prozent) und Miniparteien wie
die Grauen (1,1 Prozent) oder der weit links positionierte
GAL-Ableger Regenbogen (ebenfalls 1,1 Prozent).
Mehr als 82.500 ehemalige PRO-Wähler
sind, so hat das Psephos-Institut ermittelt, auf direktem Weg zur
CDU übergelaufen, während die SPD im Gegenzug nur 9.500
Wählerstimmen von der ehemaligen Schill-Partei ergattern
konnte. Zu seiner neuen Formation ("Pro DM/Schill") wollten dem
Ex-Amtsrichter und geschassten Innensenator nach all den Querelen
der zurückliegenden Zeit nur noch wenig Hamburger folgen.
Schill landete unsanft bei 3,1 Prozent, ein Niedergang, wie er
deutlicher kaum ausfallen konnte.
Allerdings kam der Populist in mehreren
sozial schwachen Stadtteilen mit hohen Ausländeranteilen und
überdurchschnittlich ausgeprägten Kriminalitätsraten
auf über fünf Prozent, so in Wilhelmsburg (8,2), Harburg
(5,9) und Neuenfelde (6,1). Das ändert aber nichts daran, dass
er in der neuen Bürgerschaft nicht vertreten sein wird und
deshalb jetzt sein Versprechen wahr machen will, der Nordmetropole
endgültig den Rücken zu kehren und ein neues Leben in
Uruguay zu beginnen. Seine Wahlschlappe begründet er vor
laufenden Kameras mit einer vermeintlich "beispiellosen
Diffamierungskampagne", die gegen ihn inszeniert worden sei.
Selbstkritik? Fehlanzeige.
Bitter für die Elb-Liberalen: Sie
schnitten noch schlechter ab als "Richter Gnadenlos". Ihr Werben um
Leihstimmen aus dem Lager der CDU-Wählerschaft misslang nach
einer als schwach empfunden Vorstellung im Bürgersenat auf
ganzer Linie; die FDP sprang nur noch in den noblen Elbvororten
Blankenese und Othmarschen (wo sie früher sogar für 15
Prozent gut war) knapp über die fünf Prozent-Hürde
und musste insgesamt deutlich Federn lassen, die sich die Union
noch zusätzlich an den Hut stecken konnte.
Ein genauerer Blick in die Einzelergebnisse
birgt noch andere Überraschungen. Besonders bemerkenswert ist
vor allem der hohe CDU-Anteil in der einstigen roten Bastion der
Stadt, dem von Arbeiterhaushalten geprägten Barmbek: Wo noch
bei der Bundestagswahl Resultate von gerade mal rund 20 Prozent
erzielt wurden, verbuchten die Christdemokraten jetzt mehr als 40
Zähler (Barmbek-Süd) und ließen alle Konkurrenten
hinter sich. Auch die bisher ebenso wenig als CDU-Schwerpunkte
geltenden Stadtteile Wandsbek (47,1) und Harburg (40,4) sind
nunmehr felsenfest in deren Hand. Dem entsprechen auch die bei den
Arbeitern erzielten Durchschnittswerte (CDU: 47, SPD: 32 Prozent).
Klar, dass die Stimmenanteile in klassischen Hochburgen der
konservativ-liberalen Großstadtpartei noch höher
ausfielen; im Zentrum des feinen Elbvororts Blankenese holte sie
gar 73,6 Prozent.
Exorbitant gute Einzelergebnisse erzielte
allerdings auch die grüne Konkurrenz: Im alternativ
geprägten Altona-Nord landeten sie mit 31,1 Prozent weit vor
der CDU (22,8); in St. Pauli (Bezirk Hamburg-Mitte) votierten 39,4
Prozent für die GAL und machten sie damit zur stärksten
Partei des Stadtteils. Doch auch in den gutbürgerlichen, von
sozialen Problemen weitestgehend abgeschirmten Gegenden wie
Eimsbüttel (28,4) und Rotherbaum (22,4) räumte die Partei
ab. Als "Sprachrohr der Jugend" darf die GAL sich indes nur bedingt
sehen, denn auch bei den unter 30-jährigen landete sie
hamburgweit lediglich auf Platz Drei, wie die Forschungsgruppe
Wahlen herausgefunden hat: Selbst hier dominiert die CDU mit 42
Prozent das Feld (SPD: 27) .
Eine sozialdemokratische Enklave im nun
plötzlich so schwarz eingefärbten Hamburg stellt mithin
fast nur noch die Elbinsel Veddel dar, ein alter Arbeiterbezirk, in
dem noch aus Familientradition rot gewählt wird: Hier schaffte
die SPD in bestimmten Wahllokalen bis zu 51,7 Prozent.
Als zusätzlicher Trost mag der Partei
der Ausgang der gleichzeitig stattgefundenen Bezirkswahlen gelten.
Zwar stellt die konservative Konkurrenz künftig in allen
Bezirksfraktionen die meisten Abgeordneten, doch sieht sie sich
aufgrund des Schwächelns der FDP in den vier Bezirken Mitte,
Altona, Eimsbüttel und Nord dennoch klaren rot-grünen
Mehrheiten gegenüber.
Bleibt die Frage nach der Zukunft der
Wahlverlierer. Für Thomas Mirow ist klar, dass er sich aus der
Hamburger Politik ohne Wenn und Aber zurückziehen wird. An der
Wahlschlappe sei nichts schön zu reden, auch wenn er es nicht
bedauere, angetreten zu sein. Über seine persönliche
Lebensplanung will er sich in den nächsten Wochen Gedanken
machen. Wahrscheinlich sei aber, dass er weiter als
Unternehmensberater wirke.
Sogleich ins Kraut geschossene Spekulationen,
Bundeskanzler Gerhard Schröder wolle den erfahrenen
Wirtschaftspolitiker trotz der Niederlage nach Berlin holen, wies
der einstige Bürochef von Willy Brandt inzwischen als "aus der
Luft gegriffen" zurück. Die Suche nach einer neuen
Führungsfigur für die Partei hält an, zumal auch der
Landesvorsitzende Olaf Scholz sein Amt abgibt.
In Auflösung befindet sich bereits die
"Partei Rechtsstaatlicher Offensive": Zwei Tage nach dem Desaster
erklärte ihr Spitzenkandidat Dirk Nockemann den Austritt aus
der Partei. Das Projekt sei gescheitert. Das Konkurrenzprodukt "PRO
DM / Schill" wird sich mit einem in Südamerika lebenden
Spitzenmann ebenfalls auf weniger Publicity einzustellen haben. In
der Harburger Bezirksversammlung ist die Formation mit zwei
Rentnern als Abgeordneten vertreten. Und die FDP? Sie will sich
nach der Niederlage mit dem zweitschlechtesten Ergebnis ihrer
Geschichte komplett neu aufstellen und sich ein klares Image nach
außen zulegen. Vor ihr liegt, da sind sich Rathausbeobachter
sicher, ein steiniger Weg.
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