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Dirk Klose
Polierte Feindbilder
Altkanzler Helmut Kohl präsentierte in
Berlin seine "Erinnerungen"
Ein Presseandrang wie zu alten Zeiten: Als Alt-Bundeskanzler
Helmut Kohl am 4. März den Konferenzsaal des Berliner
Hilton-Hotels betritt, um den ersten Band seiner "Erinnerungen"
vorzustellen, muss er sich den Weg durch eine Phalanx von
Fernsehteams und dichtbesetzten Stuhlreihen bahnen.
Es ist der erste Teil seiner auf zwei Bände angelegten
Memoiren, der den Zeitraum von 1930 bis zum Beginn der
Kanzlerschaft im Oktober 1982 umfasst. Helmut Kohl nickt
zustimmend, als der Verleger erklärt, alle Großen seiner
Zeit seien dabei, von Adenauer über Kiesinger und Strauß
bis zu Brandt und Helmut Schmidt, "aber auch von Beuys bis
Böll, von Papst Johannes XXIII. bis zu Sepp Herberger".
Kohl wirkt kämpferisch wie immer. Er sitzt herrisch am
Tisch, schaut etwas grimmig in die Runde und geht gleich in die
Offensive, obwohl noch gar keine spitzen Fragen gestellt worden
sind. Im Buch schreibt er, es seien so viele politische Klischees
über seinen Werdegang und seine Regierungszeit in die Welt
gesetzt worden, "dass die Legenden über die historischen
Zusammenhänge bereits zu verdrängen drohen, wie es
wirklich gewesen sei. Deshalb habe ich nun selbst zur Feder
gegriffen."
Jetzt, bei der Präsentation, legt er nach: Viele Ereignisse
seiner Zeit und seiner Politik seien "so unglaublich unverfroren"
dargestellt worden, dass er sich manchmal frage: "Habe ich
eigentlich damals gelebt?" Er habe es deshalb für notwendig
erachtet, der "Erfahrung mit verfälschender Geschichte" seine
Sicht der Dinge gegenüberzustellen. "Das war auch der
Herzenswunsch meiner Frau". Ihr ist das Buch gewidmet.
Kohl hat seine Darstellung chronologisch geordnet. Sein erster
politischer Auftritt sei eine Versammlung gewesen, die er als
Oberprimaner im Sommer 1949 zur ersten Bundestagswahl abgehalten
habe ("damals waren 20 Zuhörer dabei"). Den zweiten Band will
er stärker nach Sachgebieten ordnen und um die Hauptfelder
seiner Kanzlerschaft - Europapolitik, Nachrüstung,
Wiedervereinigung, innenpolitische Vorgänge ("ja, auch die
Parteispendenaffäre") - konzentrieren.
Helmut Kohl, so hat man den Eindruck, steht nach wie vor enorm
unter Dampf. So kannte man ihn in Bonn, wo jede Pressekonferenz zum
Erlebnis wurde, wenn er in patzig-direkter Art missliebigen
Fragestellern über den Mund fuhr. Und so ist es auch jetzt in
Berlin. Die Antworten auf mehrere Fragen beginnen mit der
vertrauten Wendung "Ach, wissen Sie...", womit die
Einschätzung von Frage und Fragesteller schon klar ist. Mitten
in eine etwas langatmige Frage, ob er auch eine Einschätzung
von Journalisten gebe oder im nächsten Band geben wolle,
platzt er hinein "ja, natürlich". In Sachen
Parteispendenaffäre glaubt ein Journalist herauszuhören,
dass der frühere Kanzler jetzt Ross und Reiter nennen werde.
Kohl erwidert gewohnt schlagfertig: "Ich weiß nicht, wie sie
zu dieser Meinung kommen. Haben sie das Buch denn schon gelesen?
Ja, wenn sie es noch nicht gelesen haben, können sie das doch
noch gar nicht wissen!" Die Zuhörer sind amüsiert.
Ob er aus Beschreibungen anderer über sich und seine
Kanzlerschaft Gewinn für seine eigene Darstellung gezogen
habe? Auch hier ein "Ach wissen Sie", um dann dem ungeliebten Klaus
Dreher, langjähriger Bonner Ressortchef der "Süddeutschen
Zeitung", der vor fünf Jahren eine Kohl-Biographie geschrieben
hat, eins auszuwischen: "Der Dreher hat immer falsch über mich
geschrieben. Warum soll er es jetzt besser machen?" Solange der
"Gegenstand Kohl herumläuft", werde es immer unsachliche
Darstellungen geben. "Das ist mir auch völlig wurscht; da
liegt oft schon der Staub der Geschichte drauf." Im übrigen
gelte für Journalisten, was für alle Berufsgruppen gelte:
"Es gibt ausgesprochene Respektspersonen und ausgesprochene
Schurken."
Kohl beteuert, sein Werk sei kein Buch der Rache: "Ich habe
nicht die Absicht, das Berliner Telefonbuch mit mir herumzutragen.
Das fällt mir auch leicht, weil ich die mir nachgesagte
Voreingenommenheit gar nicht habe." Auch die Darstellung über
Franz Josef Strauß und den Trennungsbeschluss von Kreuth wolle
er nicht persönlich nachkarten. Im Gegenteil, für Kohl
ist Strauß eine der "großen, prägenden Gestalten" im
Nachkriegsdeutschland, dem Bayern und die Bundesrepublik insgesamt
viel zu verdanken haben. Aber: Wäre die Trennung von CDU und
CSU nach Kreuth umgesetzt worden, wäre die Geschichte der
Bundesrepublik "mit Sicherheit" anders verlaufen.
Kohl wollte eigentlich nicht über die Zeit nach 1982 reden,
lässt sich dann aber doch aufs Eis führen, erzählt
über die Notwendigkeit, den Nachrüstungsbeschluss zu
verwirklichen ("sonst wäre Europa heute ein anderes"),
erinnert an das schwierige Verhältnis zu Maggie Thatcher und
an Michail Gorbatschows Leichtgläubigkeit angesichts des
drohenden Putsches im Sommer 1991. Über alles möchte er
ausführlich im zweiten Band berichten. Der soll im
Frühjahr 2005 vorliegen, rechtzeitig zu seinem 75.
Geburtstag.
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