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Das Parlament
Nr. 31-32 / 26.07.2004

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Dirk KLose

"Ein großartiges Vermächtnis"

Die Gedenkfeiern zum 60. Jahrestag des 20. Juli 1944

Der 20. Juli 1944 ist einer "der wichtigsten Tage der neueren deutschen Geschichte". Dies erklärte Bundeskanzler Gerhard Schröder auf einer Gedenkfeier im Bendlerblock in Berlin anlässlich des 60. Jahrestages des gescheiterten Attentates auf Hitler. Schröder wertete das Attentat als ein "großartiges Vermächtnis"; es sei eine Gewissensentscheidung und ein Ausdruck des Willens gewesen, an die Stelle einer Willkürherrschaft wieder die "vollkommene Majestät des Rechts" zu setzen.

An der Feierstunde im Bendlerblock nahmen neben Bundespräsident Horst Köhler auch mehrere Angehörige damaliger Widerstandskämpfer teil, unter anderem Freya von Moltke, die Witwe des Initiators des Kreisauer Kreises, Helmuth James Graf von Moltke. Er hatte seinerzeit mit Gleichgesinnten über eine neue, auf Recht und Gesetz basierende Ordnung in Deutschland nach einem Sturz des NS-Regimes beraten und war nach einem Verfahren vor dem so genannten Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Plötzensee hingerichtet worden.

Der Bundeskanzler erinnerte in seiner Gedenkrede daran, dass mehrere Widerstandskämpfer zu Beginn des NS-Regimes diesem durchaus nahestanden. Sie hätten sich erst unter dem Eindruck entsetzlicher Verbrechen zu Gegnern der Willkürherrschaft Hitlers gewandelt. Schröder: "Die Tradition der Widerständler hat oberhalb des Staates und des Mannes an der Spitze einen Befehlshaber gekannt - das eigene Gewissen." Die Widerständler seien Patrioten gewesen, und es habe nichts von Landesverrat an sich, wenn man versuche, das eigene Land und seine Menschen von einer barbarischen Diktatur zu befreien.

Kampf für Freiheit und Recht

Gerhard Schröder schlug einen Bogen zum Warschauer Aufstand, der ebenfalls vor 60 Jahren, am 1. August 1944, begonnen hatte und nach zweimonatigen Kämpfen von der deutschen Besatzung blutig niedergeschlagen worden war. Wie am 20. Juli in Deutschland sei es auch in Polen darum gegangen, "den entscheidenden Wurf" zu wagen. Europa, so Schröder, habe guten Grund, beide Daten als "flammendes Zeichen" auf dem Weg zu einer wahren europäischen Wertegemeinschaft zu verstehen und in Ehren zu halten. "Erst heute, 60 Jahre später, können wir dieses europäische Vermächtnis des Widerstands vollenden. Denn der Kampf für Freiheit und Recht ist die wichtigste Grundlage dessen, was uns in Europa eint - seit der Erweiterung der Europäischen Union am 1. Mai dieses Jahres stärker denn je."

Am Vorabend hatte Bundespräsident Köhler einen Empfang für Angehörige und Überlebende des

20. Juli 1944 gegeben und dabei den Tag als "Ehrendatum der deutschen Geschichte" gewürdigt. Gegen das NS-Regime hätten viele Menschen Widerstand geleistet, beispielsweise indem Zwangsarbeiter menschlich behandelt wurden oder Juden zur Flucht verholfen worden sei. Das habe eine moralische und geistige Basis für ein neues Deutschland und ein neues Europa gelegt.

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse würdigte die "Männer um Graf Stauffenberg und Julius Leber" als "Helden des Widerstandes gegen die menschenverachtende Diktatur". Ihr Beispiel stehe für viele, die danach strebten, der Diktatur, dem Rassismus und dem Krieg ein Ende zu machen. Thierse nannte in diesem Zusammenhang auch die Weiße Rose um die Geschwister Scholl, die Kölner Edelweißpiraten, den Kreisauer Kreis, das Nationalkomitee Freies Deutschland, den Bund der deutschen Offiziere, die Rote Kapelle und Personen wie Dietrich Bonhoeffer, Kardinal von Galen und Georg Elser (der auf eigene Faust ein Attentat auf Hitler unternommen hatte).

Thierse weiter: "Die Männer des 20. Juli haben das Schlimmste verhüten wollen, als die meisten NS-Verbrechen schon geschehen und viele Opfer des Krieges schon zu beklagen waren. Diese Tragik ihrer Gewissensentscheidung führt zur wohl wichtigsten Lehre, die sie allen folgenden Generationen hinterlassen haben: Wehret den Anfängen! Diktatoren müssen auf Widerstand stoßen, bevor sie die Macht ergreifen können; die Demokratie muss verteidigt werden, bevor ihre Feinde sie zerstören."

Im bayerischen Landtag, dem "Maximilianeum" in München, gedachten die Abgeordneten der Widerstandskämpfer mit einer Schweigeminute. Ministerpräsident Edmund Stoiber sagte, der deutsche Widerstand vom 20. Juli 1944 stehe für "wahren Patriotismus". Er fügte hinzu: "Auch heute braucht eine offene und demokratische Gesellschaft Menschen mit Zivilcourage, um den Feinden der Freiheit entschlossen entgegenzutreten."

Der Bendlerblock im Berliner Bezirk Tiergarten ist wie kein anderer Ort in Berlin mit dem deutschen Widerstand verbunden. Es ist ein traditionsreicher Komplex, dessen Hauptgebäude am Landwehrkanal in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg errichtet wurde und wo der Staatssekretärs des Reichsmarineamtes, Admiral von Tirpitz, seinen Dienstsitz hatte. In der Weimarer Republik waren hier das Reichswehrministerium und die Leitung des 100.000-Mann-Heeres zu Hause.

In den 30er-Jahren wurden im rückwärts gelegenen Bendlerblock das Oberkommando des Heeres und der Chef des Ersatzheeres untergebracht. Von hier aus sollte nach einem geglückten Attentat im Rahmen der Aktion Walküre das NS-Regime entmachtet werden. Nach dem gescheiterten Attentat waren noch in derselben Nacht Graf Stauffenberg, General Olbricht und die Offiziere Ritter Merz von Quirnheim und Werner von Haeften im Innenhof standrechtlich erschossen worden. Heute ist hier die "Gedenkstätte Deutscher Widerstand" zu Hause, die - anfangs heftig kritisiert - die ganze Bandbreite des Widerstandes von 20. Juli 1944 bis zur Roten Kapelle zeigt.

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