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Das Parlament
Nr. 20 / 17.05.2005

 
Bundeszentrale für politische Bildung
 

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Sandra Kaufmann

"Ich glaube an das Gute"

Marc Ludwig setzt sich bei amnesty international für Menschenrechte ein

Wenn ihre Freunde auf Partys gehen, sitzen sie noch in irgendeinem Gremium oder im Ortsverein. Jede freie Minute widmen sie ihrer Organisation, ihrer Partei, setzen sich für ihre Überzeugungen ein. Der Weg ist lang. Ehrgeizige Talente gibt es in allen Parteien und Nichtregierungsorganisationen - trotz aller Nachwuchssorgen. "Das Parlament" stellt einige Jungpolitiker und Aktivisten vor.

Weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund: "Wütend. Wir auch." So soll es aussehen, das Schlussbild des neuen Werbespots für die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai). Drehbuch, Produktion und Aufnahmeleitung: Marc Ludwig. Jetzt im Mai beginnt der 20-jährige Abiturient aus Berlin mit den Dreharbeiten seines No-Budget-Films, im August soll er in die Kinos kommen. Die Materialkosten übernimmt unter anderem ai. Der Menschenrechtler und Filmfan kann bei diesem Projekt sein Hobby und sein ehrenamtliches Engagement verbinden. "Ich will mit dem Film vor allem Jugendliche motivieren, sich für Menschenrechte einzusetzen und Möglichkeiten aufzeigen, wie jeder Einzelne aktiv werden kann", erklärt Ludwig.

Er selbst ist schon seit fünf Jahren aktiv. Auslöser waren der Sozialkundeunterricht und eine Exkursion in das Berliner Büro von ai. "Wir haben damals das Thema Menschenrechte durchgenommen und Unterschriften gesammelt für drei Jugendliche in Myanmar, die wegen kritischer Äußerungen in der Schule inhaftiert worden waren." Zusammen mit fünf Mitschülern gründete Ludwig in seiner Schule eine ai-Jugendgruppe. "Ich war schockiert, dass es Menschrechtsverletzungen überall auf der Welt gibt - auch hier in Deutschland. Also haben wir Plakate aufgehängt, Zettel verteilt, Unterschriften gesammelt und Kuchenbasare organisiert." Dafür erhielten sie von ihrer Pankower Schule und der PDS-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Preis.

Später wurde Marc Ludwig Jugendreferent bei ai. Er war zuständig für die Zusammenarbeit von acht Gruppen in Berlin und Brandenburg. Seit ein paar Monaten ist er Werbereferent und sorgt dafür, dass ai-Plakate zum Straßenbild Berlins gehören. Zuletzt hat er 20 Infostände auf dem Filmfest Berlinale betreut.

"Die Arbeit in den ai-Gruppen ist meist fallbezogen", erklärt der Schüler. Monatlich erscheinen im ai-Journal die "Briefe gegen das Vergessen". Darin werden drei Einzelschicksale politisch Verfolgter geschildert, verbunden mit dem Appell zu helfen. "Mit Briefen an die jeweiligen Regierungsbehörden wollen wir erreichen, dass Folter gestoppt oder ein Mensch aus politischer Haft freigelassen wird - dabei kommt es vor allem auf die Masse der Zusendungen an." Deshalb erscheinen die Briefe weltweit. Amnesty-Gruppen aus allen Ländern setzen sich für die Inhaftierten ein, egal, woher sie stammen. Ein System, das sich bewährt hat. Die Organisation hat 1,8 Millionen Mitglieder in mehr als 150 Ländern. "In jedem dritten Fall bewirken wir etwas. Das ist natürlich noch nicht genug - aber ich glaube an das Gute", sagt Marc Ludwig. Und manchmal erreicht diese Bestätigung die ai-Leute auch ganz konkret. Im vergangenen Jahr kam beim Berliner Festival "Karneval der Kulturen" ein Kubaner auf ihn zu, um sich zu bedanken. Durch die Unterstützung von ai war der Mann aus dem Gefängnis entlassen worden. "Das war der schönste Moment. Ich fühlte mich dadurch bestätigt und war sicher, dass die Arbeit Sinn macht."

Aber auch negative Erfahrungen haben den Schüler in seinem Engagement bestärkt. "Ich habe Menschenrechtsverletzungen am eigenen Leib erfahren, als ich mit der russischen Mafia Bekanntschaft gemacht habe", erzählt Ludwig. Im Urlaub mit seiner Mutter in St. Petersburg wurden beide auf einem öffentlichen Platz zusammengeschlagen und ausgeraubt. Der Versuch, telefonisch die Polizei zu alarmieren, schlug fehl, weil sie in der Warteschleife der Notrufnummer hängen blieben. In der Polizeibehörde nahm man die beiden Touristen erst ernst, als sie drohten, zur deutschen Botschaft zu gehen. Nach endlosem Warten und einem Telefonat des Polizisten, in dem er seinen Gesprächpartner dafür beschimpfte, dass er "Ausländer nicht von Russen unterscheiden" könne, bekamen sie das gestohlene Geld und ihre Papiere zurück.

Ludwigs Mutter ist Russin, er ist zweisprachig aufgewachsen. Seine Eltern haben sich während des Studiums in St. Petersburg kennen gelernt. Vor seiner Geburt sind sie nach Berlin gezogen. Dass nach seinem Eindruck im heutigen Russland die Polizei bisweilen beste Kontakte zu organisierten Kriminellen unterhält, und nur reagiert, wenn ausländische Staatsbürger involviert sind, hat Marc Ludwig schockiert - und erneut in der Überzeugung bestärkt, dass staatliche Behörden von NGOs kontrolliert werden müssen.

Obwohl der große, ruhige, junge Mann gerne zur Schule geht und seine Noten gut sind, sagt er: "Leider ist das nicht das reale Leben." Das reale Leben beginnt für den Filmemacher - wie er sich auf seiner Visitenkarte nennt - im Sommer nach dem Abitur. Vom Wehrdienst ist er freigestellt, weil seine Großmutter Jüdin ist.

Aber auch wenn er ins Arbeitsleben startet, will er weiterhin für ai tätig sein. Denn er hat durch die Organisation viel gelernt, sagt er nachdenklich. "Die Arbeit hat mich offener und kontaktfreudiger gemacht. Ich war immer ein sehr zurückhaltender Mensch." Er habe gelernt zu organisieren, frei zu reden und seine eigenen Schwächen zu akzeptieren. "Ich weiß zu schätzen, wie gut es uns hier in Deutschland geht."

In dem Werbespot, den Ludwig drehen möchte, sind verschiedene Menschen zu sehen. Sie reagieren auf Fernsehbilder, fluchen, weinen. Der Zuschauer sieht diese Fernsehbilder nicht. Ihm wird aber die Botschaft klar: Emotionen reichen nicht, man muss vom Sofa aufstehen. Marc Ludwig hat es gemacht. Sein Film heißt "Ketten sprengen".

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