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Ansprache des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, beim Richtfest des Paul-Löbe-Hauses am 3. November 1999 in Berlin

Es gilt das gesprochene Wort

Wieder einmal feiern wir ein Richtfest in Berlin - wie denn Richtfeste und Neubezüge in den vergangenen Wochen und Monaten ohnehin zu den Hauptereignissen hier in der Bundeshauptstadt gehören. Was den Bundestag angeht, wird sich daran in der näheren Zukunft nicht viel ändern.

Im Frühjahr 1997 wurde mit dem Aushub, im Herbst 1997 mit dem Rohbau des Paul-Löbe-Hauses begonnen. Unser heutiges Richtfest kündigt das absehbare Ende der Provisorien für viele Abgeordnete und ihre Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter an. Ende nächsten Jahres soll dieses Gebäude als zweites Herzstück des Parlamentsbetriebs nach dem Reichstagsgebäude seinen Dienst aufnehmen. Dann werden in 900 Büros 275 Abgeordnete sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dauerhaft gute Arbeits- und Wirkungsmöglichkeiten finden. Hier werden dann für die Arbeit der Ausschüsse und der Fraktionen 20 Sitzungssäle zur Verfügung stehen - hinzu kommt der "Europasaal" für besondere Veranstaltungen. Ein Besucherbereich mit acht Seminarräumen und zwei Restaurants, die auch den Abgeordneten und Mitarbeitern zur Verfügung stehen, bedeuten ebenfalls wichtige Verbesserungen der Arbeitsbedingungen des Parlaments.

Auch das Paul-Löbe-Haus soll ein Ort der Begegnung zwischen Bürgern und Abgeordneten werden. Hier können Zusammentreffen, Gespräche und Diskussionen aller Art stattfinden. Besucherinnen und Besucher können authentische Einblicke in die Arbeit unseres Parlaments gewinnen. Die Parlamentarier werden bei den Begegnungen mit den Bürgerinnen und Bürgern zweifellos auch immer wieder Kritik zu hören bekommen. Aber die persönlichen Einblicke in die Parlamentsarbeit - so will ich hoffen - werden auch verdiente Anerkennung für die harte Arbeit hervorrufen, die im Parlament geleistet wird.

Dieses Gebäude ist nach einem Mann benannt, dessen Lebenswerk für unsere parlamentarische Demokratie von besonderer Bedeutung ist. Paul Löbe war als Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung von 1919 und dann als langjähriger Reichstagspräsident der Weimarer Republik ein vorbildlicher Parlamentarier. Von 1920 bis 1932 stand er - mit einer kurzen Unterbrechung - an der Spitze des demokratisch gewählten Parlaments der ersten deutschen Republik. Es sagt alles über den Bruch mit dieser demokratisch-parlamentarischen Tradition, dass sein Nachfolger 1932 kein anderer als Hermann Göring wurde.

Der Sozialdemokrat Paul Löbe erkannte sehr genau, was die Machtübernahme der Nationalsozialisten für Deutschland und die Deutschen bedeutete. Er stimmte deshalb mit den übrigen Reichstagsabgeordneten der SPD - als einzige Partei - gegen das Ermächtigungsgesetz Hitlers. Von den Nationalsozialisten wurde er unter einem Vorwand für sechs Monate in sogenannte 'Schutzhaft' genommen und später wegen seiner Kontakte zum Widerstand nochmals verhaftet.

Nach 1945 setzte sich Paul Löbe sogleich wieder für den Aufbau der parlamentarischen Demokratie in Deutschland ein. 1948/49 war er Mitglied des parlamentarischen Rates und hat wesentliche Beiträge zu den konstitutiven Artikeln unseres Grundgesetzes geleistet. 1949 wurde der letzte demokratische Präsident des Reichstages dann erster Alterspräsident des Deutschen Bundestages, dem er bis 1953 angehörte. Neben seinem lebenslangen Einsatz für die parlamentarische Demokratie bildeten das Eintreten für die Einheit Deutschlands und die Einigung Europas weitere Konstanten seines politischen Wirkens. Und auch daran gilt es beim heutigen Richtfest des Paul-Löbe-Hauses zu erinnern: anläßlich seines achtzigsten Geburtstags wurde der Namenspatron dieses Gebäudes 1955 zum Ehrenbürger Berlins ernannt.

Ich halte es für eine sehr glückliche Entscheidung, dieses früher als 'Alsenblock' bezeichnete Gebäude nach dem Reichstagspräsidenten und ersten Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages zu benennen. Damit unterstreicht der Deutsche Bundestag, dass er in Berlin an jene guten und bewahrenswerten Traditionen der parlamentarischen Demokratie in Deutschland anknüpft, die von der NS-Herrschaft brutal unterbrochen wurden. Die in dieses Gebäude einziehenden Bundesabgeordneten mitsamt ihrer Mitarbeiter können mit Stolz auf diesen vorbildlichen Parlamentarier und Ehrenbürger Berlins ihre Arbeit im Paul-Löbe-Haus aufnehmen.

Dem Gebäude kommt jedoch auch in städtebaulicher Hinsicht ein besonderer Stellenwert zu. Zusammen mit dem Jakob-Kaiser-Haus und dem Maria-Elisabeth-Lüders-Haus gehört es in das Gesamtkonzept des sogenannten "Band des Bundes", das als Brückenschlag über die Spree zugleich die Vereinigung der einst geteilten Stadt Berlin symbolisiert. Eindrucksvoll ist an diesem Gesamtkonzept vor allem die architektonische Symbolik, die durchgängige Transparenz der Gebäude. Sie ist auch als Bemühen um Bürgernähe und bürgerbezogene parlamentarische Arbeit zu ver-stehen. Zusammen mit dem Jakob-Kaiser- und dem Maria-Elisabeth-Lüders-Haus steht das Paul-Löbe-Haus für kurze Wege, für das Problembewußtsein und die Effektivität der parlamentarischen Arbeit.

Heute feiern wir - sozusagen auf halbem Weg - das Richtfest des Paul-Löbe-Hauses. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben; na-mentlich den Bauarbeitern, die mit Sorgfalt, Präzision und immer noch viel Muskelkraft den Bau errichten, dem Architekten, Herrn Stephan Braunfels und natürlich auch der Bundesbaugesellschaft hier vertreten durch Herrn Michael Kretschmer. Gemeinsam wol-len wir alles daran setzen, auch die restliche Wegstrecke so schnell und so kostengünstig wie möglich zu bewältigen. Ich wünsche den weiteren Arbeiten hier am Paul-Löbe-Haus auch in diesem Sinne einen guten und erfolgreichen Verlauf.
Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/1999/024
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