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Anlässlich der 1. Baumpflanzung in der Paul-Löbe-Allee am 27.03.2000 in Berlin hielt der Präsident des Deutschen Bundestages Wolfgang Thierse folgende Ansprache:

Es gilt das gesprochene Wort

"Die Pflanzung des 1. Baumes hier in der Paul-Löbe-Allee bildet den Auftakt für zwei vierreihige Baumalleen nördlich und südlich des "Band des Bundes". Das städtebauliche Konzept von Axel Schultes und Charlotte Frank zur Gestaltung des Parlaments- und Regierungsviertels im Spreebogen sieht ausdrücklich die Einbindung der Bauten in Parkanlagen und Grünflächen vor. Im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes werden bis 2005 spreeübergreifend hier in der Paul-Löbe-Allee und der nördlich liegenden Otto-von-Bismarck-Allee 600 Eichen als vierreihige Allee gepflanzt.

Soweit die Fakten, meine Damen und Herren. Natürlich macht man sich als Bundestagspräsident seine Gedanken über die Symbolik des heutigen Aktes. Schließlich haben die Bäume durchaus einen Bezug zur Politik. Diese Beziehungen reichen bis ins antike Griechenland zurück. Dort stand die Politik ganz im Zeichen der Bäume. Die platonische Akademie bevorzugte allerdings die Platane. In den Alleen der Akademie, unter den Platanen sitzend, wurde über die Angelegenheiten des Gemeinwesens, der Polis, beraten und entschieden.

Das ist heute anders. Die Entscheidungen fallen im Parlament. Aber auch unter den Bäumen, die wir hier pflanzen, soll nach meiner Vorstellung künftig intensiv und kritisch über Polis und Parlament diskutiert werden.

Allerdings scheint es sich um eine ganz besondere Eiche zu handeln, praktisch eine Weltneuheit. Lateinisch heißt sie "Quercus Palustris". Zu deutsch bedeutet das: "Sumpfeiche". Es gab, wie zu hören war, seitens der Senatsverwaltung jedoch Bedenken, eine Eichenart mit diesem Namen in die Nähe des Parlaments- und Regierungsviertels zu pflanzen. Deshalb wurde die "Sumpfeiche" kurzerhand zur "Spreeeiche" umbenannt. Nun werden manche fragen, ob das ein Schildbürgerstreich oder ein botanischer Etikettenschwindel ist. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel?

Die Entscheidung der Senatsverwaltung ist im Grunde weise. Denn tatsächlich wird diese Eiche nicht, wie ihre Vorfahren, im Sumpf gedeihen, sondern in einem Boden, der mit Spreewasser getränkt ist. Die Mitte Berlins und damit das architektonische "Band des Bundes" steht nicht in einem Sumpf, sondern in einem Gebiet mit besonders hohem Grundwasserspiegel und weichem Boden auf festen Fundamenten.

Die Sümpfe Berlins sind trockengelegt. Und wir können in allen Gebietskörperschaften mit dem Trockenlegen der metaphorischen Sümpfe fortfahren, ohne diesen und die folgenden Bäume zu gefährden. Hier sehe ich noch erheblichen Handlungsbedarf für alle politischen Landschaftsgestalter. Aber die "Spreeeiche" gefällt mir nicht nur wegen ihres einzigartigen Namens. Schließlich blüht sie grün, trägt aber im Herbst wunderbar rote Blätter. Eichen können es auf ein nahezu biblisches Alter bringen und das gibt mir die Hoffnung, dieses Farbenspiel könnte noch an heutige Parlamentsmehrheiten erinnern, wenn von diesen längst keine Rede mehr sein wird. Selbst die Gewichte innerhalb dieser Koalition spiegeln sich in dem anderen Namen, den diese Eichenart ebenfalls trägt. Auch dieser übrigens nicht abgestimmt mit dem Land Berlin. Die "Spreeeiche" heißt auch "Roteiche".

600 dieser Spreeeichen werden in den nächsten fünf Jahren hier in der Nähe des Regierungs- und Parlamentsviertels gepflanzt. Da mag mancher befürchten, dass die Politik demnächst vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Aber auch dem ist vorgebeugt: Die Bäume werden so ordentlich in preußischem Reih' und Glied stehen, dass die Unordentlichkeit und Wirrnis eines Waldes gar nicht erst aufkommt. Diese Bäume werden weder gegen das Transparenzgebot verstoßen noch sonstiges mit der freiheitlich -demokratischen Ordnung unvereinbares Durcheinander provozieren. Von Anfang an ist ein offenes Regierungs- und Parlamentsviertel angestrebt worden. Lediglich von der Kuppel des Bundestages aus betrachtet, könnten die in Zukunft mächtigen Kronen der Eichen den Einblick trüben, wer gerade mit wem in diesen Alleen flaniert.

Gerade für eine Großstadt sind Bäume ein Lebenselixier. Ohne Bäume würde jeder Versuch, von Luft und Liebe zu leben, an der schlechten Luft scheitern, bevor Hunger und Durst die Untauglichkeit dieses Versuchs beweisen können.

Neben dem Bahnhof Friedrichstraße und gegenüber dem Handelszentrum wird gerade ein kleiner Park der wirtschaftlichen Flächennutzung geopfert. Die Politik sorgt hier mit 600 Bäumen für mehr als nur einen Ausgleich. Auch das mag symbolisch verstanden werden: die Gestaltung der Gesellschaft, die Erhaltung unserer Umwelt ist ohne Politik, wenn alles nur unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Verwertungsbedingungen entschieden würde, undenkbar. Umgekehrt geht es natürlich auch nicht ohne Wirtschaft und Arbeit. Parkanlagen und Grünflächen machen Arbeit.

Von der Verwirklichung des landschaftsplanerischen Gesamtkonzepts im "Band des Bundes" erhoffe ich mir nicht nur positive Wirkungen auf die vielen Besucher der Bundeshauptstadt aus aller Welt. Ebenso setze ich auf eine intensive Binnenwirkung auf die Berliner Stadtgesellschaft. Die Begegnungen in den Alleen versprechen viele kritische und konstruktive Anstöße. Nichts ist für die Fortentwicklung bürgernaher Politik wichtiger als solche Kontakte, übrigens auch Reibungen zwischen uns Volksvertretern und denen, die wir zu vertreten haben.

Als Parlamentarier fühlt man sich bei den hohen Erwartungen der Bürger einerseits und den oft begrenzten Problemlösungsmöglichkeiten andererseits zwar mitunter wie zwischen Baum und Borke. Aber dafür sind wir gewählt. Das müssen wir aushalten. Und nicht zuletzt wegen ihrer Standfestigkeit ist die Spreeeiche allemal ein gutes Symbol auch dafür.

Die Kritik, die sich die Volksvertreter einzuhandeln pflegen, sollte uns auch nahegebracht werden können. Deshalb möchte ich die Gelegenheit nutzen, darum zu bitten, die Bannmeile, deren einziger Zweck die Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Parlaments ist, nicht länger als Allheilmittel gegen unliebsame Demonstrationen misszuverstehen.

Selbst wenn der befriedete Bezirk, in dem diese 600 Eichen kühlenden Schatten spenden werden, wieder Bannmeile genannt werden würde, könnten rechtsextremistische Provokationen, als Demonstrationen getarnt, nicht mit dem Hinweis auf den Bundestag verhindert werden, wenn der Bundestag gar nicht zusammentritt.

Jetzt, da Bundestag und Senat so einträchtig miteinander diese Bäume pflanzen, ist doch wohl eine Gelegenheit für die Bitte, das Schwarze-Peter-Spiel mit der Bannmeile zu beenden. Bannmeile und befriedeter Bezirk können keine Demonstrationen verhindern, die das Ansehen der Bundesrepublik und der Bundeshauptstadt beschädigen. Das Versammlungsrecht auch nicht.

Ich wünsche dem ersten Baum, den wir heute pflanzen, dass er schnell Wurzeln fasst und hier so heimisch wird, wie es der Name "Spreeeiche" verspricht. Möge er allen künftigen Sumpfbildungen in der Politik schon vorab das Wasser entziehen und viele rotgrüne Blätter treiben. In diesem Sinne wünsche ich dem 1. Baum im "Band des Bundes" ein gutes Wachstum."

Quelle: http://www.bundestag.de/parlament/praesidium/reden/2000/006
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