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Willi Ph. Knecht
Sportstars im Spotlight der
Selbstdarstellung
Autobiografische Rückblicke von Günter
Netzer und Franziska van Almsick
Gemeinhin sind Autobiografien nicht gerade
Bühnen der Selbstverleugnung. Wer von den Großen dieser
Welt oder von denjenigen, die sich im Korso der Reichen und der
Schönen für unentbehrlich halten, zwecks Rückblicks
auf ihren Lebensweg oder Teilen davon selbst zur Feder greift oder
Geisterschreiber bemüht, stellt sein Licht nicht unter den
Scheffel. Im Gegenteil: Wer seine Vita in literarisches Spotlight
rückt, erliegt fast stets der Gefahr des Retuschierens. Belege
dafür sind viele Selbstdarstellungen von Politikern und
Künstlern, Wirtschaftsmagnaten und nicht zuletzt Sportlerinnen
und Sportlern.
Nach Vorläufern wie Max Schmeling und
Franz Beckenbauer, Boris Becker und Katarina Witt und vielen
anderen fühlten sich jetzt auch Günter Netzer und
Franziska van Almsick bemüßigt, der Öffentlichkeit
die Verklärung ihrer Karrieren in Buchform darzubieten. Der
Ex-Fußballer aus Mönchengladbach, Jahrgang 1944, und die
Ex-Schwimmerin aus Berlin, Jahrgang 1978, gehören nicht nur
zwei verschiedenen Generationen, sondern auch unterschiedlichen
Sportarten an. Gleichwohl gibt es zwischen den Beiden auch
Parallelitäten.
Günter Netzer wie Franziska van Almsick
verdienten sich den Superlativ, zu den größten Talenten
der deutschen Sportgeschichte zu zählen. Dennoch erreichten
sie nicht die höchste Sprosse der Ruhmesleiter: Netzer
gehörte zwar zum Kader der deutschen
Weltmeisterschaftsmannschaft 1974, saß aber meist und vor
allem beiden entscheidenden Spielen auf der Ersatzbank; van Almsick
startete bei drei Olympischen Spielen, ohne eine der ersehnten
Goldmedaillen zu erringen. Beide haben mit und in ihrem Sport
immenses Geld verdient und somit lange vor Erreichen des
Rentenalters, für gediegene wirtschaftliche Verhältnisse
gesorgt.
In seiner Autobiografie liefert Günter
Netzer im ansonsten langatmigen Einleitungskapitel über seine
Jugendzeit für dieses Glück eine aus seiner Sicht
griffige Begründung: "Viele Jahre später fiel mir auf,
dass es in meinem Leben immer irgend jemanden gab, der
glücklicherweise glaubte, etwas von mir brauchen zu
können." In den Jahren 1954 bis 1977 war das die Faszination
seines fußballerischen Könnens, das ihn trotz seiner
sprichwörtlichen Trainingsfaulheit und seiner Eskapaden
außerhalb des Spielfeldes zu einem überall begehrten
Ballkünstler machte. Nicht auszudenken, welch strahlender
Stern am Fußballhimmel er geworden wäre, hätte er
seinen Lebensstil ganz auf den Sport konzentriert! Immerhin
schaffte er trotz seines Leichtsinns und seiner Undiszipliniertheit
zwei deutsche Meisterschaften mit Borussia Mönchengladbach,
zwei spanische Meisterschaften mit Real Madrid, die Mitwirkung am
deutschen Gewinn der Europameisterschaft 1972 und 37
Länderspiele.
Die unter Mitarbeit des Düsseldorfer
Journalisten Helmut Schümann formulierten Beschreibungen des
damaligen Geschehens bilden den attraktivsten Teil dieser Chronik.
Netzer vollführt hier ein literarisches Dribbling durch die
gute alte Fußballzeit. Reminiszenzen an gemeinsame Erlebnisse
mit den damaligen Fußballidolen werden wach - den jungen
Beckenbauer, Rainer Bonhof, Paul Breitner, Jupp Heynkes, Manfred
Kaltz, Gerd Müller, Wolfgang Overath, Pelé, Uwe Seeler,
Berti Vogts, "Hacki" Wimmer, und, und, und … Die
überragenden Trainer jener Epoche passieren Revue: von Hennes
Weisweiler bis Ernst Happel, von Sepp Herberger bis Branko
Zebec.
Netzer beschreibt Geschichte und Geschichten
der Jahre, bevor der deutsche Fußball zum willfährigen
Subjekt grenzenloser Kommerzialisierung mutierte: die
legendären "Fohlen" der Borussia Mönchengladbach, das zum
dramatischen Höhepunkt seiner an Höhen und Tiefen reichen
Karriere avancierte Tor zum 2:1-Pokalsieg über den 1. FC
Köln, sein Wechsel zu Real Madrid für aus heutiger Sicht
läppische 295.000 D-Mark Jahresgehalt.
Fast mehr noch als über seine
fußballerische Vergangenheit schwelgt Günter Netzer von
seiner Teilhaberschaft an Glamour und Jetset, seiner
Zugehörigkeit zur Gesellschaft der Stars des
Showgeschäfts bis hin zur Teilnahme an der Hochzeitsfeier der
Sinatra-Tochter Tina in Las Vegas. Hier wird die andere Seite des
Fußballgenies deutlich: Der Narziss, dem nichts mehr
gefällt als sein eigenes Spiegelbild. Insofern passt die
Autobiografie nicht zu Stil und Inhalt seiner Fernsehmoderationen
mit Gerhard Delling, für die beide im Jahr 2000 mit dem
Grimme-Preis ausgezeichnet wurden.
"Franzi"
Umgibt sich Günter Netzer mit dem Duft
der großen weiten Welt, so lesen sich bei Franziska van
Almsick die ersten Kapitel ihrer Biografie mit dem vieldeutigen
Titel "Aufgetaucht" wie eine Familiensaga. Das fürsorgliche
Elternhaus, die beiden Brüder, die Liebschaft mit dem
Schwimmkollegen Steffen Zesner und die geradezu anrührende
Beschreibung des Beginns der großen Liebe zum
langjährigen Lebensgefährten, Handball-Nationalspieler
Stefan Kretzschmar, konturieren Kontraste und Widersprüche
zwischen der Sehnsucht nach wärmender Zuneigung und der
Kälte und Härte im Alltag des Spitzensports.
Es fällt schwer, Franziska van Almsick
zu glauben, sie habe ihre Biografie im Alleingang verfasst. Auf
jeden Fall aber wurden die ersten 15 Kapitel des Buches vor den
Enttäuschungen bei den Olympischen Spielen 2004 formuliert,
also vor ihrem Rücktritt von der internationalen
Wettkampfbühne. Das Ergebnis dieser Reminiszenzen auf 17 Jahre
Leistungsschwimmen summiert umjubelte Höhenflüge und
tiefe Abstürze - doch alles in allem steht unter dem
Schlussstrich ein Guthabensaldo, im Buch gipfelnd in der Hommage an
ihre Lieblingsstrecke 200 Meter Freistil.
Seit Barcelona 1992 gilt die 1978 geborene
Berlinerin als die populärste Schwimmerin Deutschlands. Ob sie
auch die erfolgreichste genannt werden darf, ist angesichts der
olympischen Medaillenausbeute von Kristin Otto (sechsmal Gold),
Kornelia Ender (viermal Gold) und weiteren fünf
DDR-Schwimmerinnen mit je dreimal Gold zweifelhaft. Das mindert
nicht ihre großartige Karriere mit insgesamt zehn olympischen
Medaillen, zwei Weltrekorden, zwei Weltmeister- und 18
Europameisterschaftstiteln. Doch weil ihr die aus tiefstem Herzen
ersehnte olympische Goldmedaille versagt blieb, wird sie in die
deutsche Schwimmsportgeschichte als die "Unvollendete"
eingehen.
Dieses Manko konnte und kann weder die
Popularität noch den Marktwert Franziska van Almsicks mindern.
Fotogen, sexy und bereits als Heranwachsende eloquent,
überzeugte sie als Covergirl und Werbeträgerin fast noch
mehr als in der Rolle des Schwimmstars. Die Autorin liefert einen
neuen Beweis für Retuschierungen bei Selbstporträts, wenn
sie ausgerechnet öffentliches Interesse und PR-Einnahmen als
lästige Begleiterscheinungen des Erfolgs abtut.
Sie beklagt, viele Jahre vom
Scheinwerferlicht der Medien verfolgt worden zu sein; an anderer
Stelle des Textes beteuert sie: "Geld habe ich in meinem Leben noch
nie eine große Bedeutung beigemessen." Beides ist nur für
Leser glaubhaft, die nicht miterlebten, mit welchem Nachdruck ihr
erster Manager Werner Köster, vormals Sportchef der "Bild",
und dessen Nachfolgerin Regine Eichhorn die Präsenz ihrer
Klientin in Presse, Funk und Fernsehen puschten und um
Gagenhöhen feilschten.
Abgesehen von solch autobiografischen
Selbstgefälligkeiten liefert das Buch auf 173 Text- und
Bildseiten viel Lesenswertes. Zwischen den Zeilen der
schwimmsportlichen Erinnerungen wird in vielerlei
Gedankengängen der Widerstreit zwischen Körperlichkeit,
Geist und Seele spürbar. Vielleicht unbewusst skizziert
Franziska van Almsick eine nur selten beschriebene
Begleiterscheinung von Leistungsethik: die Empfindung und Zweifel
bei der Suche nach dem Sinn sportlicher
Höchstleistung.
Nunmehr schließt die Suche auch die
privaten Lebenswege außerhalb der Schwimmarenen ein. Ende
vergangenen Jahres trennte sich Franziska van Almsick von ihrem
Lebensgefährten, Handball-Nationalspieler Stefan Kretzschmar.
Die Zweisamkeit des sportlichen Traumpaars dauerte nur vier
Jahre.
Günter Netzer
Aus der Tiefe des Raumes.
Rowohlt Verlag, Reinbeck 2004; 270 S., 19,50
Euro
Franziska van Almsick
Aufgetaucht.
Gustav Kiepenheuer Verlag, Berlin 2004; 173
S., 17, 90 Euro
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