Tanjev Schultz
"Unter Akademikern bin ich so eine Art
Obersozi"
2005 ist nicht nur ein Schiller-, sondern auch
ein Einsteinjahr
Er ist einer "unserer Besten": Die deutschen Fernsehzuschauer
wählten Albert Einstein unlängst auf den zehnten Platz im
großen Prominenten-Ranking. Ob es ihn gefreut hätte? Nach
Hitlers Macht-ergreifung wandte er sich für immer von
Deutschland ab. Er schlug jede Ehrung aus, die ihm nach dem Krieg
aus dem Land seiner Geburt angetragen wurde. Er fühle "eine
unwiderstehliche Aversion, an irgend einer Sache beteiligt zu sein,
die ein Stück deutschen öffentlichen Lebens
verkörpert", schrieb er im Jahre 1949.
Entsetzt hatte Einstein verfolgt, wie die Alliierten wenige
Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Deutschlands
Wiederbewaffnung zuließen. Zeit seines Lebens war Einstein
Pazifist, und so würde es ihn wohl mit Genugtuung
erfüllen, dass seine Schriften zum Frieden dem deutschen
Publikum wieder zugänglich sind.
"Über den Frieden" versammelt Aufsätze, Reden und
Briefe über Krieg und Frieden, außerdem etliche
Resolutionen und Briefe anderer Autoren. Bereits 1960, fünf
Jahre nach Einsteins Tod, gaben Otto Nathan und Heinz Norden,
Freunde und Nachlassverwalter Einsteins, dieses großartige,
mit Fotografien, Faksimiles und ausführlichen Kommentaren
ausgestattete Buch in englischer Sprache heraus. Erst 1975 erschien
es auch auf Deutsch.
Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war Einstein gerade nach
Berlin gezogen, als Direktor des Instituts für Physik an der
Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft. Den nationalistischen Furor, der um
ihn herum tobte, verabscheute der junge jüdische Gelehrte
zutiefst. Er unterzeichnete einen "Aufruf an die Europäer",
eine Warnung vor dem Krieg und ein Appell, einen Bund zu
schließen, in dem Menschen zusammenfinden sollten, "denen
Europa nicht nur ein geographischer Begriff, sondern eine wichtige
Herzenssache ist".
Konservative Universität
Während des Kriegs arbeitete Einstein unermüdlich an
seiner Revolution der Physik: 1915 gab er die allgemeine
Relativitätstheorie bekannt. Über den Zauber der
Naturgesetze vergaß er aber nicht die Lage der Welt um ihn
herum. Mit seiner Gesinnung stand der Physiker in den konservativen
Zirkeln der Berliner Universität oft allein da: "Unter den
Akademikern bin ich so eine Art Obersozi." In der Weimarer Republik
engagierte sich Einstein im Vorstand der Liga für
Menschenrechte, einer damals führenden Organisation für
Pazifismus. Jede Form des Militarismus war ihm zuwider: "Wenn einer
mit Vergnügen in Reih und Glied marschieren kann, dann
verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus
Irrtum bekommen, da für ihn das Rückenmark schon
völlig genügen würde."
In New York hielt Einstein 1930 eine Rede, die ihn
endgültig zu einer Leitfigur der Friedensbewegung machte: Wenn
nur zwei Prozent aller Einberufenen ihre Dienstverweigerung
ankündigten, würden die Regierungen machtlos sein, rief
Einstein. "Zwei Prozent" - die Zahl wurde zum Slogan, Aktivisten
druckten sie auf Buttons und liefen damit über die Flure
amerikanischer Universitäten. In diese Zeit fällt auch
ein Briefwechsel mit Sigmund Freund über "Warum Krieg?".
Einstein artikuliert darin die von ihm immer wieder erhobene
Forderung, die Staaten müssten ihre militärische
Souveränität an eine Weltregierung abtreten.
Auf Dauer in Amerika
Im Dezember 1932 reiste Einstein erneut in die USA und
entschloss sich, auf Dauer in Princeton zu bleiben. Hitler
stieß nicht nur Einsteins Lebenspläne um. Der Physiker
distanzierte sich jetzt auch von allen Aufrufen zur Verweigerung
des Kriegsdiensts. Ein absoluter Pazifismus erschien ihm angesichts
der Bedrohung durch den Faschismus als Torheit. "Die
Antimilitaristen fallen nun über mich her als über einen
bösen Renegaten."
Einstein ließ sich nicht beirren. Im Gegenteil: Als er
erfuhr, dass die Deutschen am Bau einer Atombombe arbeiten
könnten, wendete er sich an den US-Präsidenten und warb
dafür, dass Amerika die Atomforschung verstärkt.
Einsteins Entdeckungen standen jedoch allenfalls in einem groben
Zusammenhang zu den Fortschritten der Atomtechniker; zu keinem
Zeitpunkt hat sich Einstein an der Entwicklung der Bombe
beteiligt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich als Vorsitzender des
Notstandskomitees der Atomwissenschaftler für Frieden und
Abrüstung ein. Noch unmittelbar vor seinem Tod
unterstützte der Physiker eine Resolution, die die Welt
eindringlich vor den Gefahren des Wettrüstens warnte.
Einstein war nicht nur eine wissenschaftliche
Ausnahmeerscheinung und ein Glücksfall für die moderne
Physik. Er war ein großer Weltbürger und ein
glühender Demokrat, der Autoritäten misstraute und dessen
Konterfei zu Recht bis heute das Studierzimmer vieler junger
Menschen ziert.
Albert Einstein
Über den Frieden.
Herausgegeben von Otto Nathan und Heinz Norden. Neu Isenburg,
Melzer Verlag 2004, 675 S., 29,95 Euro
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