|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Sten Martenson
Der Patient wird aufgepäppelt
Diagnosen und Therapien für
Deutschland
Das symbolkräftige Bild vom dahinsiechenden Patienten, an
dessen Bett überwiegend besserwisserische, seltener ratlose
Doktoren stehen, hat Konjunktur. Hinter der Leidensgestalt verbirgt
sich Deutschland; die selbsternannten Heiler rekrutieren sich aus
Ökonomen und Journalisten. Zu ihnen hat sich nun der Chef der
Wirtschaftsredaktion der "Süddeutschen Zeitung" gesellt,
ebenfalls mit sorgenzerfurchter Stirn, aber immerhin mit dem Hang
zu ein wenig Optimismus und einer auch für ökonomische
Laien verständlichen Sprache.
Seine Diagnose unterscheidet sich nicht sehr von den Befunden
all der anderen, ob sie nun aus dem Professorenstand kommen wie
Hans-Werner Sinn oder aus Pipers Branche wie Gabor Steingart. Dass
Deutschland Reformen braucht, ist inzwischen eine Binsenweisheit.
Nicht nur die Politiker wissen das, auch in der Bevölkerung
greift diese Gewissheit um sich. Wenn es freilich an die
Realisierung solcher Reformen im persönlichen Umfeld geht,
lässt das Verständnis für sie schlagartig nach.
Piper zieht gegen die Überzeugung vieler deutscher
Landsleute zu Felde, etwas Besonderes und von der Globalisierung
nicht betroffen zu sein. Deutlicher als mancher andere Autor
benennt er eine der entscheidenden Ursachen für die
ökonomische Misere des Landes: die deutsche Einigung und so
manche fatale Entscheidung in ihrem Gefolge, etwa den Umtausch der
einen in die andere Mark. Der Aufbau Ost gehe einher mit dem Abbau
West.
Frustriert und lustlos
Piper entlarvt das stolze Gefühl, Export-Weltmeister zu
sein als trügerisch. Und immer wieder greift der flotte
Formulierer dabei auf Bilder aus der Fußballwelt zurück:
Die Deutschen seien wie eine Fußballmannschaft, die zwar noch
einmal Vize-Weltmeister geworden ist, aber mit einem
überalterten Team, mit frustrierten Reservespielern auf der
Bank und einem lustlosen Trainer. Er beklagt die
Wachstumsschwäche Deutschlands, die er Unternehmern,
Konsumenten und einem erstarrten Arbeitsmarkt anlastet. Und es geht
weiter über die deutsche Angst vor dem Wettbewerb und
demografische Probleme bis hin zu der provokanten Frage, was sich
denn eigentlich hinter dem Begriff von der sozialen Gerechtigkeit
verbirgt, vielleicht sogar mehr Unsinn als Sinn.
Schon in seiner Einleitung versucht Piper seine Rezepte gegen
Kritiker aus dem Lager der Nicht-Ökonomen zu schützen:
Zwar gebe es weithin in der Gesellschaft "ein Verdikt gegen das
Ökonomische", aber eigentlich hätten die Ökonomen
die Deutungsmacht über ökonomische Sachverhalte verloren.
Das darf mit Fug und Recht bezweifelt werden, denn die Masse der
einschlägigen volksmedizinischen Bulletins stammt
schließlich aus der Feder studierter Volkswirte. Auch Piper
betrachtet letztlich den Zustand des Patienten Deutschland durch
seine Ökonomen-Brille.
Dieser Standpunkt lässt sich sehr wohl nachvollziehen.
Nicht-Ökonomen, die gar nicht an der Richtigkeit vieler
Diagnosen Pipers zweifeln, sind nur dann irritiert, wenn es um die
empfohlenen Therapien geht. Da geht es ihm wie vielen
Schulmedizinern, denen die Psyche ihrer Patienten ein Buch mit
sieben Siegeln ist. Auch Nikolaus Pipers Elf-Punkte-Therapie, die
Deutschland wieder auf die Beine verhelfen soll, ist eine
schöne intellektuelle Fingerübung, die mit allem rechnet,
nur offenbar nicht mit Menschen, mit denen sie und an denen sie
praktiziert werden muss.
Nikolaus Piper
Willkommen in der Wirklichkeit.
Wie Deutschland den Abstieg vermeiden kann.
Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2004; 160 S., 12,-
Euro
Zurück zur
Übersicht
|