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Barbara Schweizerhof
Das Kino und die Erotik der Sucht
So elend der Süchtige gezeigt wird: Auf der
Leinwand adelt ihn doch fast unweigerlich der Glanz des
Rebellentums
Der Umgang der Filme mit dem Thema Sucht
führt vor Augen, was sich auf ähnliche Weise in der
Gesellschaft ereignet: Das Bedürfnis nach eindeutigen
Bewertungen und positiven Vorbildern führt zur Abspaltung und
Negation des Zwielichtigen und Ambivalenten. Aber das so
Ausgegrenzte kehrt wieder in der vielfältigen Gestalt der
Angst-Lust. So können sich oft gerade die Filme, die nicht als
erstes auf Abschreck-ung zielen, dem Thema ehrlicher
annähern.
Fast alles, was ich über Sucht
weiß, habe ich aus Filmen gelernt. Unauslöschlich haben
sich mir die dazugehörenden Gesten eingeprägt: Wie Robert
Mitchum ohne sein Gegenüber aus den Augen zu lassen ein Glas
Whisky zum Mund führt. Wie Humphrey Bogart sich
sorgfältig und beiläufig zugleich eine Zigarette
anzündet. Wenn ich es recht bedenke, stehen erschreckend viele
jener Kino-Gebärden, die man als Kind gerne imitiert, in einem
Suchtzusammenhang. Und ich kann kaum bestreiten, dass mich
später, in den "nicht jugendfreien" Filmen, das Hantieren mit
illegalen Drogen oft besonders beeindruckt hat: Wie Robert de Niro
auf einer Glasfläche eine weiße Linie zusammenschiebt.
Überhaupt fesselte der außerordentliche Gebrauch von
Löffeln und Geldscheinen meine Aufmerksamkeit, jenes Arsenal
an ausgeklügelten Handgriffen, die durch ihre Routiniertheit
so beeindruckten wie der mit ihnen einhergehende
Selbstzerstörungswille abstieß.
Es sind nämlich nicht nur
glamouröse Bilder, die sich in meinem Filmgedächtnis zu
einem Alltagswissen über Süchte und Drogenkonsum aller
Art angesammelt haben; dazu gehören auch viele Szenen, die das
Erbärmliche des Alkoholismus herausstellten, schreckliche
Delirien, die in Zwangsjacken und Gummizellen enden und das meist
einsame, schmutzige Elend des Drogentods. Nicht zuletzt aber hat
mich das Kino auch bestens bekannt gemacht mit den gängigen
Therapiemethoden; zuvorderst mit den Glaubenssätzen der
Anonymen Alkoholiker. Die Zauberformel des öffentlich
ausgesprochenen "Mein Name ist ... und ich bin Alkoholiker" kann in
so manchem Melodrama mehr zu Tränen rühren als ein "Ich
liebe dich".
Fast wie im wirklichen Leben
Meine "Kino-Drogenkarriere", die eine
Geschichte des Fasziniertseins ist, verlief im Übrigen
ziemlich genau in jenen Bahnen, die in der realen Welt oft als Weg
in die Abhängigkeit beschrieben werden. Es begann mit dem
Rauchen. Die Zigarettenstummel, die den Cowboys und
Privatdetektiven an den Mundwinkeln hingen, erschienen mir wie der
Inbegriff ihrer Coolness; sie waren die sichtbare Entsprechung
ihrer lässigen Sprüche und ihrer Schlagfertigkeit -
durchaus im Doppelsinn des Wortes. Der Alkoholgenuss war im
Vergleich dazu weniger eindeutig positiv besetzt. Das Trinken in
Filmen konnte zwar Ausdruck von höchster Eleganz und
Weltgewandtheit sein, - "Gerührt und nicht geschüttelt!"
-, aber oft auch das Signal für Grobschlächtigkeit und
Dekadenz wie in den Western, in denen die begehrte Flüssigkeit
mit Lust verschüttet oder durch Flaschenbruch verschwendet
wird. Das Interesse für die halluzinogenen Drogen kam erst
danach, wobei sich meine Kinogängerbiografie mit gewissen
Liberalisierungstendenzen in den Filmen der 70er-Jahre
überschnitt. Was ein LSD-Trip ist, weiß ich aus Milos
Formans "Hair". Über Heroin und Kokain gaben die
ungeschminkten Filme der "New Hollywood"-Regisseure
ausführlich Auskunft. Übrigens blieb meine Faszination
mit all diesen Phänomenen auf ihre Darstellung im Kino
beschränkt. In der realen Welt sollte alles noch einmal ganz
anders sein.
Bereits als getrennte Phänomene
betrachtet sind Kino und Sucht zwei Themen, die das 20. Jahrhundert
wesentlich bestimmt haben. Beide erlebten ihre "Popularisierung"
zur etwa gleichen Zeit - in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg,
den so genannten "goldenen Zwanzigern". Es lag deshalb schon immer
sehr nahe, zwischen ihnen einen Zusammenhang zu vermuten. Bis heute
wird er meist auf ein und den selben Nenner gebracht: die
Verführung. So wurde der Verdacht, dass die filmische
Darstellung süchtigen Verhaltens zur Nachahmung inspiriert,
trotz zahlreicher Studien weder je wirklich belegt noch ganz
entkräftet. Vor allem mit dem Gedanken an das leicht
beeindruckbare Kind, das den Cowboy imitiert, leuchtet jedoch die
Verführungsthese jeder Generation von Neuem so spontan ein,
dass sie nie in Vergessenheit gerät. Pädagogische
Erwägungen wie diese, zusammen mit der gesellschaftlichen
Ethik der Vorbilder, sind verantwortlich dafür, dass für
Suchthandlungen das Gleiche wie für Sex- und Gewalt-Szenen im
Kino galt: Bis in die späten 60er-Jahre hinein hielt man sich
in Hollywood an den so genannten "Hays Code". Der sah zum Beispiel
vor, dass Alkoholgenuss nur im "angemessenen Rahmen", also im
Hintergrund vorkommen sollte. Andernfalls musste er deutlich
abschreckend gezeigt werden - das waren dann die bereits
erwähnten schlimmen Delirien.
Mit den 70er-Jahren kam jedoch eine Zeit, in
der die Schuldzuweisungen an die Populärkultur, die große
Verführerin der Massen zu sein, abnahmen. Für einige
Jahre waren in erster Linie das "System" und der "Kapitalismus"
verantwortlich, wenn jemand der Sucht verfiel. Dieser Zeitgeist
schlug sich unmittelbar in den Filmen nieder. Die Darstellungen von
Nikotin-, Alkohol- und Drogensucht wurden sämtlich expliziter
und ausführlicher; die Sorge um Nachahmungstaten stellte man
für eine gewisse Zeit hinter die gesellschaftliche Anklage
zurück.
Schließlich aber erlebte auch das Kino
die notorische "geistig-moralische Wende" der 80er-Jahre. Mit neuer
Vehemenz glaubt man seither wieder an die Verführungsthese.
Heute sind Laster wie Rauchen und Trinken, von "Schlimmerem" ganz
zu Schweigen, im Mainstream-Kino wieder strikt die Angelegenheit
von Bösewichtern, während die wahren Helden sich bei der
Erwähnung von Nikotin angeekelt abwenden und mit Enthusiasmus
Mineralwasser trinken. Wer wirklich sicher gehen will, im Kino
nicht mit verwerflichen Handlungen konfrontiert zu werden, kann
heutzutage eine Vielzahl von Internetseiten zu Rate ziehen, die
penibel Filme bewerten. Szene für Szene wird dort nach allen
denkbaren Sündenkategorien aufgelistet, wo und wie Figuren ein
schlechtes Beispiel abgeben. Auf "genussvolles Rauchen" etwa
können da schon mal Sonderstrafpunkte stehen. Und nicht immer
wird zwischen Fiktion und Realität unterschieden; mit dem
Hinweis auf ihre Vorbildfunktion rügt man hier auch gerne das
private Fehlverhalten der Stars.
Als Konsequenz dieser Entwicklung macht sich
in jüngster Zeit allerdings ein gewisser Bumerangeffekt
bemerkbar. Gegen die Sterilität und Künstlichkeit der
lasterfreien Familienfilme setzen besonders Independent- und
Arthouse-Regisseure wieder verstärkt auf drastische und
"schmutzige" Darstellungen. Womit sich im Kino ein
gesamtgesellschaftliches Phänomen wiederholt. Die Ausgrenzung
der Süchtigen rächt sich, indem sie fast
zwangsläufig die Attraktivität der Ausgegrenzten
steigert. Die Realität könnte hier für einmal eine
Lektion aus den Genre-Gesetzen des Kinos beherzigen: Die
Ausstrahlung einer tugendhaften Figur wird vom rauen erotischen
Charme des Außenseiters stets mühelos
überboten.
Wie für Gewaltdarstellungen gilt
nämlich für Laster und Süchte ebenso das Paradox,
dass auch ihre mit der Absicht der Abschreckung ausgemalten
Schreck-lichkeiten sie erst richtig glamourös erscheinen
lassen, ja sie gewissermaßen verherrlichen können. So
elend der Süchtige gezeigt wird, adelt ihn auf der Leinwand
doch fast unweigerlich der Glanz des Rebellentums oder zumindest
die Aura des existentialistischen Weltekels. Das Kino bringt sie
erst richtig auf den Punkt, die Erotik der Sucht.
So wie es unter den zahlreichen
Anti-Kriegsfilmen nur wenige gibt, die der
Ästhetisierungsfalle entkommen, gelingt es auch nur wenigen
"Suchtfilmen", ihren Gegenstand nicht zu mythisieren, sondern die
gängigen Illusionen darüber wirklich zu zerstören.
Muss doch an diesen Bruchstellen das Kino gewissermaßen gegen
sich selbst arbeiten, gegen den eigenen Hang zur Heroisierung
lasterhafter Handlungen und den Sex Appeal des Bad Guy. Was
wiederum Filme zur Folge hat, die man zwar zur Suchtprävention
empfehlen kann, die aber nur wenige "gerne" sehen. Darren
Aranofskys "Requiem for a dream" ist dafür ein Beispiel,
weshalb es auch kein Wunder ist, wenn kaum ein "Parlaments"-Leser
ihn kennt. Der Film beobachtet so erbarmungslos den Sturz seiner
Figuren in Abhängigkeit und Selbstauflösung, dass diese
selbst im übertragenen Sinne kaum mehr als Helden zu
bezeichnen sind.
Bedarf nach positiven Vorbildern
Der Umgang der Filme mit dem Thema Sucht
führt vor Augen, was sich auf ähnliche Weise in der
Gesellschaft ereignet: Das Bedürfnis nach eindeutigen
Bewertungen und positiven Vorbildern führt zur Abspaltung und
Negation des Zwielichtigen und Ambivalenten. Aber das so
Ausgegrenzte kehrt wieder in der vielfältigen Gestalt der
Angst-Lust. So können sich oft gerade die Filme, die nicht als
erstes auf Abschreckung zielen, dem Thema ehrlicher annähern.
In Mike Figgis' "Leaving Las Vegas" zum Beispiel spielt Nicholas
Cage einen Alkoholiker, der jeden Gedanken an Heilung längst
aufgegeben hat und sich vollends zu Tode saufen möchte. Man
könnte dem Film vorwerfen, dass er die Selbstaufgabe feiert -
als letzten heroischen Akt. Allerdings geht es in dem Melodram um
einen anderen sich hartnäckig haltenden Mythos, der so
schmerzvoll wie gründlich zerstört wird: der Glaube, dass
die Liebe einen Süchtigen retten könnte.
Jenseits von Verführung und Abschreckung
gibt es einen weiteren inneren Zusammenhang zwischen Kino und Sucht
zu entdecken, der vielleicht für jene Konkretheit der
Suchthandlungen, die mich schon so früh fasziniert hat,
verantwortlich ist. Anders gesagt sind Hollywoodfilme nämlich
besonders "realistisch", wenn es um Drogen geht. Schließlich
kennt man sich damit hier aus. Ob Alkohol, Kokain oder Valium, die
"Yellow Press" bringt es immer wieder an den Tag: Sucht ist unter
populären Künstlern ein fast allzu vertrauter
Gegenstand.
Wo Pädagogen und Sittenwächter es
lieber sähen, wenn Sucht als Phänomen der Schwachen,
Hässlichen und Bösen dargestellt würde, sind es also
die Beteiligten selbst, die es besser wissen. Das Hollywood-Kino
ist deshalb ein sehr spezieller Schaukasten für die
Suchtproblematik mit ihrem verhängnisvollen Schlingern
zwischen dem Bedürfnis, schwach sein zu dürfen, und der
Sehnsucht nach Stärke, zwischen Selbstabwertung und Image,
Versagensängsten und Siegerposen. Das Kino liebt starke Helden
- besonders wenn sie Schwächen haben.
Eine Sucht wie das Rauchen gehört
eindeutig zu den "beliebten" Schwächen, weshalb es gar nicht
besonders heroisch wirkt, wenn sie überwunden wird. In "Der
Clan der Sizialianer" etwa will Lino Ventura als Kommissar sich das
Rauchen abgewöhnen. Um wenigstens den taktilen Trost zu haben,
trägt er stets eine Zigarette bei sich, reagiert aber sehr
unwirsch, wenn ihm jemand Feuer geben will. In allen
Frustrationssituationen, in denen die Ermittlungen nicht
weitergehen wollen, widersteht er mannhaft der Versuchung. Aber als
er seinem Täter endlich auf der Spur ist, steckt er sich
schließlich eine an. Die "Charakter-Schwäche" betont die
Stärke der Figur: Zuerst, indem er tapfer ablehnt; dann, indem
er sich eine gönnt. Ventura führt hier eine der vielen
Suchtparadoxien vor: Heroischer als mit dem Rauchen aufzuhören
ist nur eines - wieder eine zu rauchen.
Zweifelhafte Beispiele
Mit dem Alkoholismus im Film sieht es etwas
anders aus. Als Stereotyp dient der Alkoholiker der klaren
Grenzziehung zwischen "normalem" und "krankhaftem" Trinken. Die
Krankheit zu überwinden kann etwas sehr Heroisches sein. In
Jean-Pierre Melvilles "Vier im roten Kreis" zum Beispiel wird Ives
Montand recht drastisch als Alkoholiker in fortgeschrittenem
Stadium vorgestellt - man sieht, wie er im Delirium von ekelhaften
Tieren überfallen wird, die bei ihm aus dem Wandschrank
kriechen. Als wenig später Alain Delon ihn für einen
Überfall anheuert, wäscht und rasiert er sich, als sei
nichts gewesen. "Jamais d'alcohol", verkündet er beim ersten
Treffen in der Bar. Im Folgenden trainiert er eisern als
Scharfschütze. Nach gelungenem Raubzug erklärt er den
anderen, dass er auf seinen Anteil verzichte - den "Schrank"
besiegt zu haben, sei ihm Lohn genug. In ähnlicher Weise
gelingt es auch Dean Martin an der Seite von John Wayne in "Rio
Bravo" sich selbst zu heilen. Auch hier ist es die Übernahme
einer sinnvollen Aufgabe in einem "Team", die ihn stark sein
lässt. Bezeichnenderweise wird sein Triumph über den
eigenen Alkoholismus als der Moment gezeigt, als er sich ohne
Händezittern wieder eine Zigarette drehen kann ...
Vom Standpunkt heutiger Suchtpsychologie und
Suchtprävention aus gesehen sind das sehr zweifelhafte
Beispiele. Wie der ebenfalls oft gefilmte "kalte Entzug" - man
denke etwa an Gene Hackman in "French Connection" - gehören
diese Willenskraftgeschichten einer vergangenen Epoche an, als der
Glaube an das Unumstößliche der männlichen
Entschlusskraft noch ungebrochen war.
Das Bild der Sucht im Kino hat sich seither
ziemlich verändert, einerseits durch den Fortschritt der
psychologischen Forschung und ihrer Popularisierung durch Therapie-
und Selbsthilfe-Angebote. Andererseits, und das mag
überraschen, durch die Emanzipation der Frau. Mit der
Frauenbewegung der 70er-Jahre verloren die männlichen Helden
mit der Zigarette im Mundwinkel und dem Whiskyglas in der Hand ihre
auratische Kraft. Der Kult der Stärke, für den diese
Filmikonen stehen, wurde als Mythos entlarvt. Seither hat der
starke Mann im Kino ein Problem. Was ihn allerdings fast noch
anfälliger für Süchte macht.
Der therapierte Mann taugt nicht zum
Kinoheld. In Luis Mandokis "When a man loves a woman" ist es
deshalb bezeichnenderweise die Frau, die durch eine erfolgreiche
Therapie vom Alkoholismus geheilt wird, während ihr Mann die
eigentliche Hauptfigur des Films bildet. Aufopferungsvoll, durchaus
heldenhaft unterstützt er sie auf dem dornigen Weg der
Entwöhnung. Dann kommt der Schock, nicht nur für den
Ehemann, sondern auch für den ans herkömmliche Melodram
gewöhnten Zuschauer: Als sie ihr Leben neu beginnt, schickt
sie ihn weg. Sie kann den Helden des Alltags nicht ertragen, der
ihr keine Möglichkeit lässt, selbst stark zu sein. Selten
wurde ein männlicher Held schmerzhafter entthront, selten in
einem Mainstream-Film eine so wahre Lektion über das Wesen der
Co-Abhängigkeit gezeigt. Der Ehrlichkeit wegen sei allerdings
hinzugefügt, dass am Ende des Films die Liebenden wieder
zusammenfinden. Die Rückkehr ins Illusionskino möchte man
dem Film trotzdem nicht übel nehmen, sorgt das Happy End doch
für das verdiente Massenpublikum.
Es ist also nicht unbedingt der Druck von
Sittenwächtern und Jugendschützern, der dem Kino den
Umgang mit Süchten schwer macht. Die Genregesetze des Kinos
selbst sind es, die mit suchtfreien Antihelden nicht wirklich etwas
anzufangen wissen. Was über Suchtprävention und -heilung
zu lernen ist jenseits von Entschlusskraft und Willensstärke,
ist offenbar leichter am weiblichen Beispiel zu demonstrieren.
Schwer vorstellbar etwa, dass Sandra Bullocks Rolle in "28 Tage"
einem Mann auf den Leib geschrieben worden wäre, muss sie doch
gegen ihren Willen vor allem eines lernen: Sich helfen zu lassen.
Hilfsbedürftigkeit aber ist ziemlich uncool. Dieser Verzicht
auf Coolness, auf die Schönheit des destruktiven Verhaltens
wirkt bei Frauen wohl einfach erträglicher.
Eine sehr schöne Farce auf die
Therapie-Resistenz der Männer bildet übrigens David
Finchers "Fight Club" aus dem Jahre 1999. Hier spielt Edward Norton
eine Figur, die süchtig wird nach Selbsthilfegruppen. Die
emphatische Umarmung unter Leidensgenossen, der große Moment
erlaubter Schwäche, wird für ihn zum "Stoff". Als eine
Frau seine Kreise stört, verlegt er sich bezeichnenderweise
auf das Gründen einer geheimen Männerbewegung, deren Sinn
darin besteht, sich möglichst ungestört die Nasen blutig
zu schlagen.
Mein aus dem Kino gezogenes Wissen entpuppt
sich also weniger als Wissen über die Sucht, sondern vielmehr
über die Moralgeschichte der Sucht und wie sie sich als Krise
des männlichen Kinohelden manifestiert. Einst habe ich sie
für starke Typen gehalten, heute erscheinen mir Bogart und
Mitchum in hohem Grade suchtgefährdet - weil sie vom Kult der
Stärke nicht lassen könnten. Sich zur Sucht zu bekennen,
der berühmte erste Schritt der Anonymen Alkoholiker, aber ist
das Eingeständnis einer Ohnmacht, die selbst einem Anti-Helden
nicht gut zu Gesicht steht.
Die Autorin arbeitet als Redakteurin der
Wochenzeitung "Freitag".
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