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Ungemütliche Schule bringt nichts
Interview mit Elvira Surrmann, Referentin
für Suchtprophylaxe in Berlin
Was kann die Schule, was können Lehrer tun,
um Schüler vor einer Drogenkarriere zu bewahren? Können
hier Defizite, die im familiären Umfeld liegen, ausgeglichen
werden? "Das Parlament" sprach mit Elvira Surrmann, Referentin
für Suchtprophylaxe der Berliner Senatverwaltung für
Bildung, Jugend und Sport.
Das Parlament:
Was kann die Institution Schule im Bereich
der Drogenprävention leisten?
Elvira Surrmann: Wenn die Schule im
Bereich der Prophylaxe gut ist, dann sorgt sie dafür, dass die
Faktoren, die zur Sucht führen, in der Schule möglichst
nicht vorkommen. Dass die Kinder nicht zu sehr unter Druck stehen,
dass sie nicht vernachlässigt werden, also in den Lehrern
Ansprechpartner haben. Dazu gehört auch, dass die Lehrer ein
Auge auf die Schüler haben, die ihnen auffallen. Die Lehrer
haben den Auftrag, sich diese Schüler im Sinne einer
suchtgefährdenden Diagnostik genauer anzuschauen.
Das Parlament
Sind Lehrer denn dafür
qualifiziert?
Elvira Surrmann: Nein, eigentlich
nicht. Aber wir hier in Berlin haben uns diese Qualifikation selber
entwickelt. Seit ungefähr 18 Jahren müssen alle jungen
Lehrer, die hier ihr zweites Staatsexamen machen, ein mindestens
zweitägiges Seminar zur Einführung in die Suchtprophylaxe
machen. Außerdem gibt es an jeder Schule Kontaktlehrer, die
weitere Seminare zum Thema belegen und sich regelmäßig
zum Erfahrungsaustausch treffen. Darüber hinaus haben wir in
jedem Bezirk je nach Größe zwei bis drei Koordinatoren,
die die Arbeitskreise der Kontaktlehrer leiten und in enger
Zusammenarbeit mit mir und den Kontaktlehrern das Berliner
Prophylaxesystem entwickeln. Dazu gehört auch eine Website,
auf der aktuelle Untersuchungen zu Suchtverhalten von Jugendlichen
abrufbar sind, die über Veranstaltungen informiert und eine
Kontaktplattform bietet.
Das Parlament:
Welche Rolle spielen denn klassische
Informationsveranstaltungen zur Suchtprävention?
Elvira Surrmann: Es gibt immer noch
Informationsveranstaltungen an Schulen, aber das halten wir nicht
für sinnvoll, wenn sie nicht in ein umfassendes Konzept
eingebettet sind. Wir wissen, dass Sucht eine Krankheit ist. Kennen
Sie jemanden, der aufgehört hat zu rauchen, weil er wusste,
dass das Zeug gefährlich ist?
Das Parlament:
Die Studie der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung hat aber gezeigt, dass die Angst um
die Gesundheit viele Jugendliche davon abhält, Drogen zu
nehmen.
Elvira Surrmann: Ich denke, das
funktioniert bei gefährdeten Kindern und Jugendlichen nicht in
der schlichten Abfolge, dass auf Aufklärung Suchtfreiheit
folgt. Es funktioniert vielleicht bei Kindern, die mit Drogen erst
gar nicht experimentieren oder es auch wieder lassen können.
Zum anderen fallen die Informationsveranstaltungen in den Bereich
Abschreckung, die erzeugt wiederum Angst und ist vom
pädagogischen Standpunkt aus ungeeignet, etwas zu vermitteln,
weil Angst das Lernen blockiert. Wenn sie Kindern Raucherbeine
zeigen, dann sagen die: Ich rauche nie. Aber das ist nicht
langfristig, denn es wird nicht gelernt.
Das Parlament:
Hat die Schule denn überhaupt
Einflussmöglichkeiten auf die Einstellung der
Jugendlichen?
Elvira Surrmann: Das hat sie dann,
wenn die Lehrer die Jugendlichen als Menschen fordern und eine
tragende Beziehung aufbauen können. Wichtig ist, dass jemand
da ist, wenn ein Schüler Hilfe braucht. Wenn das Klima gut
ist, gibt es auch weniger Probleme mit Drogen. Das heißt
nicht, dass es keine gibt, die Probleme werden ja auch von
außen herangetragen. Aber die Schulen können darauf
angemessener reagieren.
Das Parlament:
Kann es nicht sein, dass Schulen mit einem
positiveren Klima in weniger problematischen Bezirken liegen, wo
die Schüler nicht so rauschmittelanfällig
sind?
Elvira Surrmann: Wir haben in den
90er-Jahren eine Untersuchung an Zehlendorfer Gymnasien gemacht,
die gezeigt haben, dass diese Schüler ein bis eineinhalb Jahre
früher beginnen, Drogen zu konsumieren, als vergleichbare
Schüler in anderen Bundesländern. Reiche Eltern bereiten
ihren Kindern keine bessere Jugend als arme.
Das Parlament:
Was halten Sie denn von Projektwochen mit
Drogeneinrichtungen, in denen sich Jugendliche das Wissen selber
erarbeiten?
Elvira Surrmann: Projekte sind besser
als Aufklärung und können auch greifen. Die Informationen
die man dann gibt, werden nicht einseitig vom Lehrer an die
Schüler weiter gegeben, sondern kommuniziert durch Frage und
Antwort. Da kann bei den Drogen konsumierenden Jugendlichen das
hergestellt werden, was ihnen normalerweise fehlt, nämlich die
Kommunikation mit Erwachsenen.
Das Parlament:
Wird das Thema Drogen in der Berliner
Drogenprävention gar nicht angesprochen?
Elvira Surrmann: Doch. Zum Beispiel
Alkohol steht auf dem Stundenplan, und im Moment sind die Projekte
stark auf das Rauchen ausgerichtet. Wir haben die
Nichtraucherschule, in der eine ganze Schule ein Konzept
entwickelt, wie sie eine rauchfreie Schule sein kann. Wir haben
einen Wettbewerb, in dem eine ganze Klasse sich verpflichtet, ein
halbes Jahr nicht zu rauchen. Wir haben die Raucherecken an den
Schulen abgeschafft. Aber so etwas darf aber nicht alleine stehen.
Wenn eine Schule Sucht fördernd ist, also ein
ungemütliches Klima hat und Lehrer, die sich nicht um die
Schüler kümmern, dann bringt das alles nichts.
Das Parlament:
Projekte und Unterrichtsaufklärung sind
also ihrer Einschätzung nach weniger effektiv, als Lehrer
suchtpädagogisch zu schulen und ein gutes Verhältnis zu
den Schülern zu entwickeln ?
Elvira Surrmann: Ja, das würde
ich so einschätzen. Wichtig für uns ist, dass die Lehrer
Suchtprobleme erkennen und dann auch mit den Eltern ins
Gespräch kommen, denn sie können den Kindern nichts gegen
die Familienregeln vermitteln. Auf Elternabenden sagen Mütter
oft: Mir ist es lieber, mein Zwölfjähriger raucht zuhause
als heimlich auf der Straße.
Das Parlament:
Wie gehen Eltern am besten mit kiffenden oder
rauchenden Jugendlichen um?
Elvira Surrmann: Wenn Jugendliche
anfangen, sich Verboten zu widersetzen als Mittel der Ablösung
von den Eltern, ist das in Maßen auch in Ordnung, also
gelegentliches heimliches Rauchen. Wenn Kinder aber beispielsweise
regelmäßig Alkohol trinken, sollten Eltern sich als
erstes überlegen, was sie selber dazu beigetragen haben. In
der Regel haben solche Kinder keine Ansprechpartner zuhause. In
jedem Fall tun die Erwachsenen den Kindern keinen Gefallen, wenn
sie ihnen Freiräume für Erwachsene zugestehen.
Das Parlament:
Ist das auch der Gedanke, der hinter der
Abschaffung der Raucherecken an den Berliner Schulen
steckt.
Elvira Surrmann: Ja. Die Kinder
rauchen natürlich woanders. Aber sie lernen, dass es einen Ort
gibt, an dem rauchen nicht erlaubt ist. Das heißt die
Vorstellung, dass rauchen zum Leben gehört wie essen und
trinken, wird gebrochen. Wir haben auch viele positive
Rückmeldungen von den Schülern bekommen.
Das Parlament:
Sind Zigaretten deshalb so wichtig, weil sie
die erste Einstiegsdroge ist?
Elvira Surrmann: Das sind sie erst
einmal, weil sie so leicht verfügbar ist. Und dann
enthält Nikotin Substanzen, die auf Stimmungstiefs einwirken,
die heutzutage recht häufig vorkommen. Es gibt Kinder, die mit
dem Rauchen nicht aufhören können, weil sie süchtig
sind, deshalb müssen wir ihnen etwas anbieten, das dem
Krankheitscharakter der Sucht gerecht wird. Wir haben Lehrer
ausgebildet, die Ausstiegskurse für rauchende Schüler
anbieten. Unser Ziel ist es, an jeder Schule so einen Lehrer zu
haben. Den Schülern, die es dann immer noch nicht schaffen,
bieten wir dann eine psychologische Betreuung an - in Kooperation
mit den Eltern.
Das Parlament:
Was heißt Suchtprophylaxe in der Schule
in Zukunft?
Elvira Surrmann: Viele Kinder kommen
schon mit Entzugserscheinungen auf die Welt, weil die Mütter
zuviel geraucht oder Kaffee getrunken haben. Wir müssen also
unsere Elternarbeit erheblich ausbauen und auch früher
ansetzen. Wir bieten ein Projekt zur Suchtprophylaxe in der Kita
und Grundschule an, das auf der Basis von Psychomotorik
Suchtprophylaxe für junge Kinder ermöglicht.
Eingeschränkte Bewegungsmöglichkeiten und in der Folge
eine ausgedehnte Fernseh- und Computernutzung sind sichere Schritte
auf dem Weg in eine Suchtgefährdung.
Das Interview führte Susanne
Balthasar.
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