|
![](../../../layout_images/leer.gif) |
Peter von Heygendorff
Kein Traumland für Kiffer
Niederlande: Drogenpolitik zwischen
Liberalisierung und Repression
Nicht selten wird in deutschen Medien der
Eindruck erweckt, als seien die Niederlande ein Paradies für
Junkies und Drogenhändler und die offizielle Politik des
Landes würde den Drogenkonsum durch die Freigabe von Drogen
und der Einrichtung von Koffieshops unterstützen. Nichts an
diesen Vorurteilen ist richtig.
Die Niederlande sind isoliert betrachtet gar
nicht in der Lage, im europäischen Kontext eine Sonderrolle zu
spielen. Demzufolge hat das Land alle wichtigen Verträge
ratifiziert, die den internationalen Drogenhandel und die mit ihm
verbundene Kriminalität eindämmen soll.
Selbstverständlich sind die Holländer in allen wichtigen
multilateralen und bilateralen Gremien vertreten.
Ermittlungstechnische Vereinbarungen bestehen sowohl zu
Deutschland, Luxemburg und Belgien einerseits, wie auch zu
Frankreich und Belgien an der Südgrenze. Aufgrund des engen
Zusammenwirken von Terrornetzwerken und weltweit agierenden
Mafia-Kartellen wäre ein niederländischer Alleingang in
der Drogenpolitik ohnehin völlig illusorisch. Auch in den
Niederlanden gibt es ein Betäubungsmittelgesetz ("Opiumwet"),
das den Drogenbesitz und den Drogenhandel mit äußerst
empfindlichen Strafen von bis zu 16 Jahren Freiheitsstrafe und
Geldbußen in Millionenhöhe belegt. Lediglich der
Drogengebrauch ist nicht unter Strafe gestellt.
Wie in den anderen europäischen
Ländern auch besteht das Hauptziel der niederländischen
Drogenpolitik in einem Schutz der Gesundheit des Individuums. Um
dieses übergeordnete Ziel bestmöglich zu realisieren,
werden Anstrengungen auf den Gebieten der Prävention, der
Fürsorge und des Schutzes der öffentlichen Ordnung
unternommen.
Auch in unserem Nachbarland wird aktive
Prävention groß geschrieben, so durch Kampagnen im
Fernsehen oder intensive Aufklärung über die Folgen des
Drogenkonsums in Schulen. Beispielhaft liefen im Jahr 1996
landesweite TV-Spots gegen den Gebrauch von Cannabis und seit 1997
gegen den von Ecstasy. Auf dem Gebiet der Fürsorge geht es
darum, die Abhängigen zu "begleiten" und weitere
Gesundheitsrisiken nach Möglichkeit abzumildern. Hierfür
werden weit mehr als 150 Millionen Euro investiert, es gibt
zwölf Kliniken zur Behandlung von Drogenabhängigkeit.
Immerhin etwa 75 Prozent der Abhängigen haben Kontakt zur
öffentlichen Drogenhilfe, was als direktes Ergebnis der
Straflosigkeit des Drogenkonsums zu werten ist. Es gibt das Angebot
des kostenlosen Nadeltausches und ein umfangreiches
Methadonprogramm.
Die Strafverfolgungsmaßnahmen mit Bezug
zur Drogenkriminalität sind im engen Zusammenwirken mit den
europäischen Partnern intensiviert worden. Nach der
Abschaffung der Binnengrenzen im März 1995 sind die Kontrollen
auf den niederländischen Häfen und Flughäfen
verschärft worden, polizeiliche Maßnahmen wurden mit den
Nachbarländern koordiniert, die Zellenkapazität der
niederländischen Gefängnisse ist mehr als verdoppelt
worden. Die Menge beschlagnahmten Rauschgifts hat sich in den
letzten 20 Jahren potenziert, leider demzufolge auch die
Aktivitäten der Drogenhändler.
Durch dieses Maßnahmenbündel
unterscheiden sich die Niederlande von ihren Nachbarn aber nur
unwesentlich. Entscheidender Unterschied ist die Behandlung von
weichen und harten Drogen durch das niederländische
Betäubungsmittelgesetz seit der Gesetzesänderung im Jahr
1976. Seitdem wird zwischen akzeptablen und inakzeptablen Risiken
für die "Volksgesundheit" unterschieden. Die Verbreitung und
der Handel von allen Drogen ist unter Strafe gestellt, der Besitz
von Drogen grundsätzlich ebenfalls. In der Frage der
Strafverfolgung gilt das Primat, den internationalen Drogenhandel
zu bekämpfen. Da der Drogenkonsum als solcher straffrei ist,
wird auch der Besitz von Drogenmengen, die dem persönlichen
Gebrauch dienen (bis zu 30 Gramm Softdrugs), lediglich als Vergehen
eingestuft und strafrechtlich nicht verfolgt.
Die Koffieshop-Kultur
Die Differenzierung zwischen weichen und
harten Drogen hat in den Niederlanden zur Zulassung beziehungsweise
Duldung der im (In- und) Ausland argwöhnisch betrachteten
Koffieshops geführt. Ziel dieser Liberalisierung ist die
Hoffnung, durch eine begrenzte Freigabe weicher Drogen, die
Märkte für weiche und harte Drogen trennen zu
können. Es soll verhindert werden, dass Jugendliche, die mit
Softdrugs experimentieren, schnell in Kontakt mit harten Drogen
kommen. Insofern geht es um den Aspekt der Risikominimierung. Zudem
soll die Beschaffungskriminalität zurück gedrängt
werden. Selbstverständlich spielt auch die Möglichkeit
behördlicher Kontrolle eine nicht unwesentliche
Rolle.
Die Vorstellung, man könne sich im
Koffieshop mit jeder beliebigen Menge einer beliebigen Droge
eindecken ist genauso verfehlt wie die, dass man dort Kaffee kaufen
könne. Nur unter eng begrenzten gesetzlichen Vorgaben ist die
Abgabe von Betäubungsmitteln geduldet. Formal gesehen handelt
es sich um eine gesetzliche Übertretung, die aber unter
bestimmten Voraussetzungen strafrechtlich nicht verfolgt wird.
Voraussetzungen für das legale Betreiben eines Koffieshops
sind: Es dürfen keine harten Drogen (Kokain, Heroin, LSD,
Amphetamine) verkauft werden, sondern lediglich Cannabisprodukte
(wie Haschich, Marihuana). Die Abgabemenge pro Person liegt bei
maximal fünf Gramm. Ein Verkauf an Minderjährige ist
genauso verboten wie deren Aufenthalt in einem Koffieshop. Der
Koffieshop unterliegt einem Werbeverbot und es darf durch das
Betreiben von Koffieshops keine Störung der öffentlichen
Ordnung geben. Das Zuwiderhandeln gegen diese Auflagen kann zu
strafrechtlicher Verfolgung sowie zur Schließung der
Läden führen. Gerade in dieser Frage ist den Kommunen in
den letzten Jahren durch mehr Autonomie der Rücken
gestärkt worden. Immer wieder kam es gerade in den grenznahen
Städten wie Maastricht, Venlo oder Arnhem - nicht zuletzt
verursacht durch einen starken Drogentourismus aus Deutschland - zu
Belästigungen und Ruhestörungen in der unmittelbaren
Nachbarschaft. Seit den frühen 90er-Jahren, als die
Koffieshop-Kultur in ihrer Blüte stand, sind etwas mehr als
zehn Prozent der Koffieshops - gerade in der Nähe von Schulen
- geschlossen worden. Die Kommunen entscheiden
selbstverantwortlich, ob sie einen Koffieshop auf ihrem
Gemeindegebiet dulden. Von den 504 niederländischen Gemeinden
tun dies nur 105. In den Niederlanden ist man sich bewusst, dass
man dabei ist, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben, dass man
eine Gratwanderung betreibt. Aber auch in der Drogenpolitik zeigt
sich die grundsätzliche Fähigkeit des Landes, in
äußerst kontrovers geführten Fragen differenzierte
Antworten zu finden.
Kein Königsweg
Hat die liberale Drogenpolitik nun die
erwünschten Früchte getragen? Dies kann nur bedingt
bestätigt werden. Immerhin können die Niederlande in
einigen relevanten Statistiken mit Erfolgen aufwarten: Die
Sterblichkeitsrate durch Drogengebrauch liegt in Holland bei unter
fünf, in Frankreich bei 9,5, in Deutschland bei 20 und in
Spanien bei 27,1 pro einer Million Einwohner. Bei der
AIDS-Infizierung von Drogenabhängigen weisen die Niederlande
eine Quote von 10,5 Prozent aus, während sich das
europäische Mittel bei 40 Prozent bewegt. Es gibt kaum
jugendliche Heroinabhängige - Ergebnis der Trennung der
Märkte. Dennoch sind andere Kennzahlen in den Niederlanden
ebenso wie in anderen Ländern wenig ermutigend. Die
Internationalisierung des Drogenhandels hat auch bei unserem
Nachbarn dazu geführt, das mehr als 100 kriminelle
Organisationen meist ausländischer Provinienz agieren. Die
Zahl der Drogenabhängigen ist auch in den Niederlanden etwa
proportional zum europäischen Durchschnitt gestiegen. Das
Problem mit den synthetischen Drogen (insbesondere Crack und
Extasy) ist in Holland genauso virulent wie anderswo in Europa.
Auch die drogenindizierte Kriminalität, zudem verstärkt
durch ausländische Drogenbanden und Drogentourismus, spielt in
den Niederlanden eine ähnliche Rolle wie in Deutschland. Man
rechnet damit, dass etwa ein Drittel aller Vermögensdelikte
als direkte Beschaffungskriminalität zu werten ist, aufgrund
von Zuordnungsproblemen könnte die Quote sogar noch höher
liegen. Diese Zahlen belegen, dass es in der Drogenpolitik den
Königsweg nicht gibt.
Der europäische Maßstab der
strikten Prohibition hat jedenfalls nicht zu besseren Ergebnissen
geführt als der niederländische Weg einer teilweisen
Liberalisierung beziehungsweise Segmentierung. Die Diskussion wird
in den Niederlanden weiter gehen. Das Meinungsspektrum reicht von
einer stringenteren Verbotshaltung bis hin zu einer Forderung nach
völliger Freigabe aller Drogen. Die Verfechter dieses Weges
versprechen sich hiervon ein Austrocknen des internationalen
Drogenhandels und damit mittelbar auch einen Schlag gegen den
internationalen Terrorismus, der seine immensen Finanzmittel in
nicht unerheblichem Umfang aus Drogengeschäften bezieht. Zudem
glaubt man durch die Freigabe von Drogen der
Beschaffungskriminalität Einhalt bieten zu können. Bei
der linksliberalen D'66 - immerhin Regierungspartei - gibt es
starke Tendenzen für eine Legalisierung zumindest der weichen
Drogen. Ob die Niederlande in der Drogenpolitik allerdings eine
Inselfunktion ausüben können, erscheint eher fraglich.
Auch in den Niederlanden ist zu beobachten, dass sich die
öffentliche Meinung deutlich restriktiver gegenüber der
Drogenproblematik entwickelt hat. Der resortübergreifende
"Cannabisbrief" mit deutlich repressiverer Tendenz aus dem Innen-,
Justiz und Gesundheitsministerien, der dem Parlament im Juni 2004
vorgelegt wurde, zeigt, dass die aktuelle niederländische
Regierung dabei ist, die liberale Drogenpolitik zumindest auf den
Prüfstand zu stellen.
Dr. Peter von Heygendorff arbeitet als
Rechtsanwalt und Journalist in Cuxhaven.
Zurück zur Übersicht
|