Josef-Thomas Göller
Der Krieg im eigenen Land
USA: Kampf gegen Drogen kostet 600 Dollar pro
Sekunde
Missbrauch und Handel von illegalen Drogen
verursacht in den USA den höchsten Anteil an Gewalt- und
Kriminalitätsdelikten. Der "Krieg gegen Drogen", wie die
Drogenbekämpfung in den USA seit Präsident George Bush
Senior genannt wird, kostet das Land laut U.S. Public Health
Service derzeit 600 Dollar in der Sekunde. Im Jahr 2004 wurden laut
FBI-Statistik 1.511.000 Menschen in den USA wegen Verstoßes
gegen die Drogengesetze verhaftet, das ist eine Verhaftung alle 20
Sekunden.
Rund 46,5 Prozent der Verhafteten wurden
wegen des Besitzes von Cannabis geschnappt. Mehr als die
Hälfte der zwei Millionen Inhaftierten in den USA sitzen wegen
Verstoßes gegen Drogengesetze oder in Zusammenhang mit Drogen
begangener Straftaten. Die jährlich wegen Drogenmissbrauch
angeklagten Täter beschäftigen insgesamt ganzjährig
400.000 Polizisten und nehmen die Hälfte der Gesamtzeit aller
Gerichtsverfahren ein. Rund die Hälfte aller übrigen
Straftaten werden zudem nach anonymen Aussagen von befragten
Häftlingen ebenfalls unter Einfluss von enthemmenden Drogen
verübt.
Entgegen landläufiger Auffassung sind
die Drogenkonsumenten mehr Weiße als Afro-Amerikaner; sie
beginnen rund zwei Jahre früher mit dem Einstieg. Allerdings
werden mehr Afro-Amerikaner im Zusammenhang mit Drogenmissbrauch
verurteilt und ins Gefängnis geschickt.
Schätzungen zufolge werden in den USA
jährlich zwischen 50 und 100 Milliarden Dollar für
illegale Drogen ausgegeben, bei sinkenden Marktpreisen und
steigenden Festnahmen. Kokain zum Beispiel ist offenbar - dank der
Nähe zu Lateinamerika - stets in mehr als ausreichender Menge
vorhanden. Rund eine Million Amerikaner gelten als
Kokainabhängig. Fünf Millionen rauchen
regelmäßig Marijuana. Das ist, gemessen an der
Gesamtbevölkerung, insgesamt eine relativ kleine Zahl von
regelmäßigen Drogenkonsumenten. Bevorzugte Droge in den
amerikanischen Großstädten ist "Crack-Kokain".
Drogenfachleute haben ausgerechnet, dass die
pharmazeutischen Kosten zur Herstellung etwa von Kokain nur zwei
Prozent des Marktpreises auf der Straße betragen. Ein
Kokainsüchtiger braucht pro Woche etwa 1.000 Dollar zur
Befriedigung seiner Sucht. Dafür stiehlt er oft Güter im
fünffachen Wert, um sie dann unter Marktpreis so zu verkaufen,
dass er auf seine 1.000 Dollar kommt. Ein enormer
volkswirtschaftlicher Schaden. Befürworter der Freigabe von
Kokain zum Herstellungspreis an Abhängige haben errechnet,
dass ein Süchtiger für die gleiche Menge dann nur 20
Dollar benötigen würde. Doch darüber wird in den USA
ernsthaft nur auf Websites oder auf Fachkongressen
geredet.
Ein Großteil der Drogen in den USA wird
gelegentlich konsumiert, mal zum "Ausprobieren" oder auf Partys. Es
gibt aber viele Menschen, die illegale Drogen ihr ganzes Leben
konsumieren - ohne dass es die Berufskarriere negativ beeinflusst.
Insgesamt wird die Zahl jener, die in den USA mit illegalen Drogen
"experimentieren" auf jährlich 80 Millionen
geschätzt.
In Umfragen geben Amerikaner an, dass sie den
Drogenmissbrauch nach der Arbeitslosigkeit als wichtigstes
Gesellschaftsproblem einschätzen, da es nahezu jeder mit
allgemeiner Kriminalität verbindet. Die erste Gesetzesvorlage
gegen Drogenmissbrauch gab es in den USA bereits im Jahr 1914.
Schon damals war der Zusammenhang zwischen Missbrauch und
Kriminalität offenkundig. Die Rate an Schwerverbrechen ist
seit 1965 um 480 Prozent angestiegen. Konnte man vor 50 Jahren noch
problemlos um Mitternacht durch den Central Park von New York
spazieren, ist dies seit Jahrzehnten ein selbstmörderisches
Unterfangen geworden. New Yorker Drogenexperten haben ausgerechnet,
dass eine Behandlung der Drogenabhängigen sieben Mal
kostengünstiger ist als sie einfach einzusperren. Doch nur
für rund die Hälfte der Drogensüchtigen gibt es
Entziehungsplätze.
Allerdings können die USA in einem
Drogenbereich einen hervorragenden Erfolg verzeichnen. Durch
intensive Aufklärung schon im Kindergarten über die
negativen Auswirkungen des Rauchens und durch eine nachhaltige
gesellschaftliche Ächtung des Rauchens in der
Öffentlichkeit ist der Tabakkonsum in den USA in den letzten
beiden Jahrzehnten signifikant zurückgegangen. Diese
Erfolgsstory zeigt, dass bei entsprechendem Einsatz aller zur
Verfügung stehenden Erziehungsmittel ein bemerkenswertes
Ergebnis erzielt werden kann, von dem Europa noch weit entfernt
ist.
Nach dem drastischen Rückgang des
Raucheranteils in den USA erhoffen sich nunmehr
Drogenbekämpfungsexperten einen ähnlichen Erfolg bei
harten Drogen. "Die Aufklärung über Drogen muss genauso
wie über sexuellen Missbrauch bereits im Kindergartenalter
beginnen", meint zum Beispiel David Landeryou, Direktor der Key
Elementary School in Washington, D.C. "Was in diesem Alter
nachhaltig vermittelt wird, hat eine hohe Chance, ein Leben lang
haften zu bleiben", so Landeryou.
Ethan A. Nadelmann vom Lindesmith Center,
einem New Yorker Institut für Drogen-Politik sieht einen
ersten Erfolg. Seit den 80er-Jahren sei ein signifikanter
Rückgang im Konsum von Marijuana und Kokain in den USA
festzustellen, obwohl sich das Angebot dieser Drogen quantitativ
erhöht habe. Dennoch sei eine total drogenfreie Gesellschaft
eine Illusion. Es liege offenbar in der Natur des Menschen, sich
Rauschmittel und Hallozinogene herzustellen und zugänglich zu
machen. Deshalb sei es seiner Meinung nach nötig, nicht nur
gegen Drogenkonsum zu erziehen, sondern auch zu lernen, mit Drogen
und Drogensüchtigen umzugehen, und zwar so, dass sie am
wenigsten Schaden für die Allgemeinheit anstellen
können.
Ein namhafter Kritiker des 1986
erklärten "War on Drugs" ist Kurt Schmoke, einst
langjähriger und erster schwarzer Bürgermeister von
Baltimore, einer Hochburg von Afro-Amerikanern. Als erster
Bürgermeister der USA wagte er es, die Freigabe illegaler
Drogen zu favorisieren, um so den Drogenmarkt zu
entkriminalisieren. Namhafte Mitglieder seiner eigenen Partei, der
Demokraten, nannten ihn deshalb den "gefährlichsten Mann der
USA". Noch heute fordert der engagierte Politiker ein Ende der
"Zero Tolerance" und eine US-weite Debatte über den Umgang mit
Drogen. Diese Debatte wird tatsächlich USA-weit geführt,
allerdings außerhalb der offiziellen politischen
Kreise.
Doch nicht nur Wissenschaftler und
Lokalpolitiker, sondern vor allem eine steigende Zahl an Polizisten
fordern ein Umdenken in der amerikanischen Drogenpolitik, die nun
seit fast 30 Jahren keinen nennenswerten Erfolg verzeichnet. Joseph
D. McNamara, einst Polizeipräsident von drei der
größten Städte der USA, machte auf einem Symposium
der Princton Universität klar: "Solange eine bestimmte Menge
Heroin oder Kokain im Herstellungsland 500 Dollar kostet und im
Endabnahmeland USA 100.000 Dollar, wird die Polizei im Kampf gegen
Drogen stets das Nachsehen haben." Aber es gibt auch andere
Polizisten, deren stramme Haltung in der Öffentlichkeit
Beifall findet. Jene, die tatsächlich glauben, dass sie sich
in einem Krieg befinden. Die Gegner sind die
Dorgedealer.
So lief vor einigen Jahren ein Statement des
einstigen Polizeipräsidenten von Los Angeles, Daryl Gates,
durch die amerikanische Presse: Er sagte vor dem US-Senat, dass
seiner Meinung nach Drogenkonsumenten erschossen werden sollten.
"Wir sind in einem Krieg, nicht wahr?" untermauerte er seine
Haltung.
Polizisten an der Front
Weil solche Äußerungen keine
Einzelfälle innerhalb des Polizeiapparates darstellen, sondern
weit verbreitet sind, kommt es immer wieder zu Polizeiskandalen und
Vorwürfen: dass Polizisten Drogendealer schwer misshandeln,
ausrauben, töten. Wenn nicht zufällig das Video-Band
eines Dritten solche Polizeiexzesse dokumentiert, werden die
Übergriffe der "Polizisten an der Front" von ganz oben
gedeckt.
Da wird im Übereifer ein 75 Jahre alter
Schwarzen-Prediger in Boston von einem bis an die Zähne
bewaffneten Überfallkommando verhaftet, weil ein Informant der
Polizei einen falschen Tipp gab. Der Prediger stirbt vor Aufregung
an einem Herzinfarkt. Ein Rancher in Californien wird bei einem
ähnlichen Polzeieinsatz erschossen. Ihm war vorgeworfen
worden, er baue Marijuana an. Der Vorwurf erwies sich als falsch,
doch der Mann war tot.
Außerdem stellen für eine Reihe von
Polizeibeamten die riesigen Mengen an sichergestellten Drogen und
Drogengeldern selbst oft genug eine Versuchung dar. Dabei ist der
Umfang der kriminellen Energie innerhalb der amerikanischen
Polizeibehörden ebenso verblüffend wie seine Reichweite.
In New Orleans hat eine Polizistin ihre Kollegin erschossen, um
einen befreundeten Drogendealer zu schützen. In Washington,
D.C., Atlanta und in den Neu-England-Staaten wurden ermittelnde
Polizisten verhaftet, weil sie selbst konfiszierte Drogen aus dem
Polizeischrank stahlen und außerdem Bestechungsgelder
annahmen. All diese Vorfälle werden billigend als
"Kollateralschäden" in Kauf genommen. Sie ändern an der
grundsätzlich harten Haltung gegenüber Drogendealern und
-abhängigen gar nichts. Der "War on Drugs" geht
weiter.
Josef-Thomas Göller war lange Jahre
USA-Korrespondent für "Das Parlament".
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