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Andreas Elter
Millionen verlorene Lebensjahre
Die gesellschaftlichen Kosten der Sucht sind
erheblich
Die Einnahmen aus der Tabak-, Bier- und Branntweinsteuer
spülen Milliarden in das Staatssäckel. Die Finanzierung
bestimmter Haushaltsposten wäre ohne diese Einnahmen gar nicht
mehr finanzierbar. Der Staat braucht also offensichtlich die
Süchtigen. Aber ist das nicht eine Milchmädchenrechnung?
Denn den Einnahmen durch die "Suchtsteuern" stehen erhebliche
volkswirtschaftliche Kosten in den Arztpraxen und
Krankenhäusern entgegen. Die Behandlung von Lungenkrebs,
Raucherbeinen oder Leberschädigungen belastet das nach dem
Solidarprinzip finanzierte Gesundheitssystem enorm. Und das sind
die nicht die einzigen Kosten der Sucht.
Bei Anti-Raucher-Kampagnen wird zum Teil zu drastischen Mitteln
gegriffen. Dem Betrachter werden Bilder von Raucherbeinen und
aufgelösten Lungen gezeigt. Bislang gibt es nur wenig
entsprechende Äquivalente in der Anti-Alkoholwerbung. Dabei
wäre ein Bild von einer zerfressenen Leber wohl nicht weniger
schockierend. Der Alkoholismus ist eine der ältesten
zivilisationsbedingten Krankheiten überhaupt. Die Folgen
für den Einzelnen und sein Umfeld sind verheerend. Menschlich
und finanziell: Die Kosten alkoholbedingter Krankheiten werden pro
Jahr auf rund 20,6 Milliarden Euro geschätzt. Die
Suchtkrankenhilfen und das Institut für Therapieforschung
(IFT) haben die Behandlungen so genannter "substanzbezogener
Störungen" näher untersucht. Darunter fallen neben
Alkohol auch alle anderen Suchtmittel, wie zum Beispiel Opiate oder
Cannabis. Der Befund: Bei 67 Prozent aller ambulant versorgten
Personen war aber Alkohol die Ursache ihrer Probleme; bei den
stationär behandelten substanzbedingten Störungen lag die
Quote der Alkoholiker sogar bei 89 Prozent. Allein von 1997 bis
2002 stieg das Budget für ambulante Suchteinrichtungen im
Westen Deutschlands um 56 Prozent, im Osten um zehn Prozent. Einen
zunehmenden Teil dieser Kosten finanziert die Allgemeinheit: "Eine
in den letzten Jahren verstärkt beachtete Finanzierungsquelle
sind die Mittel der Sozial- und Krankenversicherung", schreibt die
Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen in ihrem Jahrbuch Sucht
2004. Die Liegedauer in stationären Einrichtungen bleibt nach
wie vor auf hohem Niveau: 47 Prozent aller Alkoholiker wurden bis
zu sechs Monaten stationär behandelt. Grund zur Entwarnung
besteht also keineswegs. Denn im Jahr 2002 ist die Zahl der
Klienten mit der Diagnose "Alkoholabhängigkeit" wieder
deutlich gestiegen, in einzelnen Einrichtungen um rund 20 Prozent.
Außerdem haben Alkoholabhängige nach wie vor eine hohe
Rückfallquote: zwölf Prozent von ihnen werden mindestens
zweimal in derselben Einrichtung behandelt. Das alles trägt zu
der 20 Milliarden Euro-Bilanz bei. Noch nicht darin enthalten sind
allerdings alle indirekten Kosten des übermäßigen
Alkoholkonsums.
Einer der wichtigsten Punkte bleibt hier bei nach wie vor das
Problem von Alkohol im Straßenverkehr. Alkoholunfälle
sind per definitionem alle Unfälle, bei denen mindestens einer
der Beteiligten eine Blutalkoholkonzentration von mehr als 0,3
Promille aufweist. Nach den Statistiken des Wiesbadener Bundesamtes
gab es demnach 2002 insgesamt 25.701 Unfälle mit
Personenschaden. Bei diesen Unfällen verunglückten 33.862
Menschen. Das bedeutet, sie mussten sich einer Untersuchung in
einem Krankenhaus unterziehen. Über die Schwere und Dauer der
Behandlungen gibt es keine Daten. Ob es sich nur um Schrammen,
einen Armbruch oder eine langwierige Operation mit
Nachuntersuchungen handelte, ist nicht zu ermitteln. Aber jede
Behandlung in einem Krankenhaus oder bei einem Arzt führt zu
Ausgaben, die von den Krankenkassen übernommen werden. Nimmt
man für die personenbedingten Schäden durch
Alkoholeinfluss im Straßenverkehr einen durchschnittlichen
Schätzwert von 50 Euro pro Behandlung an, summiert sich dies
auf einen Gesamtbetrag von fast 1,7 Millionen Euro.
Dies mag illustrieren, dass Alkoholabhängigkeit weitaus
mehr Kosten verursacht, als auf den ersten Blick sichtbar. So
zynisch es klingen mag, auch der Tod durch Alkohol - allein im
Straßenverkehr verstarben 2002 932 Menschen nach
Alkoholunfällen - ist ein volkswirtschaftliches Minus. Die
Sozialwissenschaftler Horch und Eckardt von der Freien
Universität Berlin haben berechnet, dass der Ressourcenverlust
durch alkoholbedingte Todesfälle bei jährlich rund sieben
Milliarden Euro liegt. Sie verweisen zudem auf 90 verschiedene
"alkoholassoziierte Krankheiten". Dabei handelt es sich um
Gesundheitsstörungen, die durch übermäßigen
Alkoholkonsum zwar nicht ursächlich ausgelöst, aber
befördert werden. Hier eine detailierte Rechnung aufzustellen,
ist fast unmöglich.
Schwierig bleibt auch die Berechnung der durch
übermäßigen Alkoholkonsum oder Alkoholiker
verursachten Kosten in Firmen und Unternehmen. Das Schweizer
Institut für Suchtfragen hat dies an Hand von statistischem
Material aus über 1.000 Betrieben versucht. Es kam zu dem
Schluss, dass die Arbeitgeber einen alkoholbedingten Mehraufwand
von rund 1.500 Euro pro betroffenem Mitarbeiter und Jahr haben.
Deswegen setzten auch deutsche Chefs immer stärker auf
Suchtprävention und Aufklärung. Arbeitsschutzexperten und
Betriebsärzte haben herausgefunden, dass Trinker statistisch
gesehen rund 2,6 mal mehr fehlen als Abstinenzler. 25 Prozent aller
Betriebsunfälle seien zudem auf den Einfluss von Alkohol
zurückzuführen. Auch hier gibt es natürlich eine
erhebliche Dunkelziffer: Wer gibt schon freiwillig zu, dass er
betrunken war, als er einen Unfall verursachte. Erstens würde
er seinen Unfallschutz verlieren und zweitens wahrscheinlich auch
seinen Job. Verweist er hingegen auf seine Ungeschicklichkeit,
behält er beides.
Auch wenn die Alkoholunfälle im Straßenverkehr in den
vergangenen fünf Jahren insgesamt gesehen abgenommen haben,
zeigt sich dabei doch ein gefährlicher Trend. Denn vor allem
Jugendliche und junge Erwachsene sind für sie verantwortlich.
Im Jahr 2002 waren es in der Altersgruppe der 21- bis
24-Jährigen 73,8 Prozent, in der Altersgruppe der 18- bis
20-Jährigen immerhin noch 64,9 Prozent. Suchtforscher glauben,
dass dies auch mit der Einführung der neuen, bei Jugendlichen
besonders beliebten, Alkopops zu tun hat. Die unter dem
Sammelbegriff Alkopops zusammen gefassten Getränke sind aber
nicht nur wegen ihres Alkoholgehalts besonders gefährlich. Der
hohe Zuckergehalt und die oft enthaltene Kohlensäure
beschleunigen die Aufnahme des Alkohols im Blut. Die Unfallgefahr
in Folge von Trunkenheit steigt. Das Hauptproblem aber bleibt die
schnelle Alkoholgewöhnung: "Besonders bedenklich sind vor
diesem Hintergrund die Erkenntnisse der Alkoholismusforschung, die
belegen, dass der Beginn des Alkoholkonsums in frühen
Lebensjahren mit einem besonders hohen Risiko von späteren
alkoholbedingten Problemen und Alkoholabhängigkeit
einhergehen", so das Jahrbuch Sucht 2004. Um es anders
auszudrücken: Wer mit 12 oder 13 Jahren schon Schnaps trinkt,
ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, gewöhnt sich an den
Stoff und braucht später wesentlich mehr davon, um den
gleichen Effekt zu erzielen. Hier wächst unter Umständen
ein Arsenal von potentiellen Alkoholikern heran. Was dies für
volkswirtschaftliche Kosten verursachen würde, ist momentan
noch nicht absehbar.
Zu viele Tote
Jährlich sterben in Deutschland knapp 120.000 Menschen an
rauchbedingten Krankheiten - dies entspricht der Einwohnerzahl
einer kleinen Großstadt. Sowohl der Arbeitsausfall wegen
Krankheit und Tod als auch die Kosten für die medizinische
Versorgung führten im Jahr 2002 zu volkswirtschaftlichen
Kosten von ebenfalls fast 20 Milliarden Euro. Diese Summe
berechneten Wissenschaftler des GSF-Instituts für
Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen. Fast
ein Drittel der gesamten Kosten, insgesamt sieben Milliarden Euro,
entfallen dabei auf die medizinische Versorgung, die restlichen
12,4 Milliarden Euro entstehen durch den Arbeitsausfall aus
bezahlter Arbeit. Raucher sterben vorzeitig, dadurch gehen 1,6
Millionen Lebensjahre verloren, wovon die Hälfte auf die Jahre
im erwerbsfähigen Alter entfällt - Rauchen betrifft damit
in starkem Maße auch die Arbeitskraft.
Gut die Hälfte aller Raucher-Ausgaben wurde für
medizinische Versorgung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen aufgewandt,
die andere Hälfte entfiel in ungefähr gleicher
Größenordnung auf Atemwegs- und Krebserkrankungen. Bei
den Kosten des Arbeitsausfalls spielen wegen der früheren
Mortalität die Krebserkrankungen die wichtigste Rolle (44
Prozent). Ungefähr ein Drittel des Arbeitsausfalls entsteht
durch frühzeitigen Tod, zwei Drittel gehen auf
Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentungen nach einer
Erkrankung zurück. Die Kosten der unbezahlten Arbeit, die zum
Beispiel dadurch entstehen, dass ein Angehöriger einen
Lungenkrebskranken betreut, müssen noch dazu addiert werden.
Sie liegen derzeit bei etwa 19,5 Milliarden Euro.
Ein weiterer Aspekt sind die "Raucherpausen" in Betrieben. Die
dadurch bedingten Arbeitsausfälle werden auf etwa 30 bis 50
Minuten pro Tag und Raucher geschätzt. Diese Berechnungen sind
allerdings sehr problematisch. Vielleicht liegt der
betriebswirtschaftliche Schaden sogar noch höher.
Der Autor arbeitet als Journalist in Köln.
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