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Karl-Otto Sattler
Der heimliche Rausch am Arbeitsplatz
Repression ist nur ein Notbehelf: Wie gehen
Betriebe mit suchtkranken Mitarbeitern um?
Man will das vielleicht nicht glauben, aber es sind schon
Beschäftigte morgens betrunken in den Betrieb getorkelt."
Heike Cloß wurde im Lauf der Jahre mit manch seltsamen
Phänomenen konfrontiert. In ihrem Büro bei der
saarländischen Industrie- und Handelskammer (IHK) sitzen immer
mal wieder Unternehmer oder Personalchefs und suchen Rat - dann
nämlich, wenn Arbeitnehmer als Folge von Alkoholismus oder
eines anderen Suchtproblems Schwierigkeiten in der Firma
verursachen. "In kleineren Betrieben", erzählt Cloß,
"haben Mitarbeiter schon komplette Produktionslinien an die Wand
gefahren." Nun, das sind Extrembeispiele.
Bei der Saar-IHK fungiert Cloß neben ihren anderen
Funktionen als Anlaufstelle für Sucht-Konflikte in
Unternehmen, keineswegs alle Kammern auf Länder- und
Bundesebene haben solche Beauftragte. Sie weiß, dass es mit
der rechtzeitigen "Entdeckung" solcher Phänomene so eine Sache
ist: "Fehler machen wir alle" - und Fehler beim Arbeiten
können wahrlich nicht einfach auf Sucht
zurückgeführt werden. Das muss dann schon über einen
längeren Zeitraum in gehäuftem Maße passieren.
"Echte" Alkoholiker entwickeln zudem manchmal eine gewisse
Tarntechnik: Sie tanken ihr überdosiertes Promille-Quantum
nicht im Beisein von Kollegen, in solchen Situationen greifen sie
zu Cola oder Mineralwasser.
Der gemeinhin übliche Blick auf Alkoholismus beim Thema
Sucht im Betrieb ist im Übrigen verengt. Es gibt auch
Beschäftigte mit einer Medikamentenabhängigkeit: "Das zu
bemerken, ist besonders schwer", erläutert Cloß, "das
wird eher heimlich praktiziert". Auch Drogen, etwa Heroin oder
leichtes Hasch, können selbstverständlich im Spiel sein.
Neu ist die Internet-Sucht: Die "Web-Junkies" surfen im Netz von
Homepage zu Homepage - und klicken sich rasch auf ein Fenster mit
betriebsinternen Bilanzen, wenn sich der Chef dem Schreibtisch
nähert.
"Arbeitgeber sollten sensibler sein, um Suchtprobleme
frühzeitig zu erkennen und nicht erst zu reagieren, wenn es zu
spät ist." Für Cloß ist dies eine zentrale Maxime.
So einleuchtend dies ist: Man kann dabei auch auf glattem Parkett
landen. Heutzutage wird jungen Leuten schnell unterstellt, zu
Hasch, Ecstasy oder anderen Drogen zu greifen. Herbert Ziegler und
Gabriele Brandl schreiben in ihrem Buch "Suchtprävention als
Führungsaufgabe", dass "Auffälligkeiten" wie etwa
Desinteresse, Schläfrigkeit, Unausgeglichenheit oder
Nervosität ein Indiz für Drogeneinnahme sein können.
Die Autoren sagen, dass ein solcher Zusammenhang nicht bestehen
muss. Gleichwohl aber "sollte der Verdacht in Richtung Drogenkonsum
gehen". Begründung: Unabhängig davon, ob sich ein solcher
Verdacht erhärte oder nicht, sei es wichtig, Grenzen zu
setzen. Orientiert sich ein Unternehmen allerdings an einer solchen
Strategie, dann droht zwangsläufig die Gefahr eines Klimas
genereller Überwachung und sozialer Kontrolle.
Heike Cloß wird jährlich mit rund 30 Fällen von
Sucht am Arbeitsplatz konfrontiert, meist in mittleren und kleinen
Firmen. Nun erfährt die IHK-Mitarbeiterin nicht von allen
Konflikten dieser Art. Gleichwohl erscheint diese Ziffer bei
345.000 Arbeitnehmern im Saarland nicht sonderlich hoch - selbst
wenn man bedenkt, dass große Unternehmen wie etwa Saarstahl
oder Ford mit jeweils mehreren tausend Beschäftigten eigene
Suchtbeauftragte haben und dass manche Betriebe von sich aus mit
externen Beratungseinrichtungen kooperieren.
Bei Saarstahl mit 5.000 Mitarbeitern hat sich die Sozialberatung
in 22 Jahren mit 200 Abhängigen befasst: Pro Jahr sind das im
Schnitt nur neun Vorkommnisse. Bei einer Tagung der Deutschen
Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) berichtete eine
Arbeitsmedizinerin des BASF-Konzerns in Ludwigshafen, dass dort in
sieben Jahren 50 Fälle speziell von Drogenmissbrauch und
-abhängigkeit registriert wurden - angesichts der
Größe des Betriebs keine dramatisch anmutende Ziffer.
Andererseits schätzt die Suchtkontaktstelle der
Universität Freiburg, dass in der Bundesrepublik jeder
siebente Arbeitnehmer von "Suchtgefährdung und
Abhängigkeit" betroffen ist. Die saarländische
Arbeitskammer verweist in einer Analyse der Sucht- bekämpfung
bei Saarstahl auf DHS-Zahlen, wonach in der deutschen
Schwerindustrie zehn Prozent der Mitarbeiter abhängig sein
sollen.
Die weit auseinander klaffenden Statistiken über das
Ausmaß des Phänomens Sucht im Betrieb haben viel damit zu
tun, dass bei Alkohol oder Drogen differenzierte Kategorien wie
"riskantes Verhalten", "Missbrauch" und "Abhängigkeit" bei den
Berechnungen herangezogen werden. Die IG Metall konstatiert in
ihrem "Suchtbuch für die Arbeitswelt", dass es auch keine
hieb- und stichfesten Daten darüber gibt, in welchem Umfang
Suchtstoffe verantwortlich sind für Arbeitsunfälle. Laut
DHS spielt bei zehn bis 30 Prozent der Betriebsunfälle Alkohol
eine Rolle: Diese ungewöhnlich hohe Spanne sei darauf
zurückzuführen, erklärt die Gewerkschaft, "dass
eigentlich niemand so ganz genau weiß, bei welchem Unfall
Alkohol der Auslöser war".
Für eine Firma entscheidend ist die Frage, ob ein
Mitarbeiter im Unternehmen wegen eines Suchtproblems die geforderte
Leistung nicht mehr erbringt oder gar eine konkrete Gefährdung
für andere und sich selbst darstellt. Im letzteren Fall sind
Arbeitgeber zum Einschreiten gezwungen. Einerseits verpflichten die
Unfallverhütungsvorschriften Arbeitnehmer, sich durch
Alkoholgenuss nicht in einen Zustand zu versetzen, "durch den sie
sich selbst oder andere gefährden können". Sofern dies
doch so sein sollte, darf ein Betrieb Beschäftigte nicht
arbeiten lassen, muss sie also von solchen Tätigkeiten
fernhalten.
Diese Regelungen erfassen nur eine ganz konkrete Situation.
Gelöst ist damit ein Suchtphänomen noch nicht. Für
Heike Cloß gibt es nur ein wirksames Konzept: "Man muss
betroffene Mitarbeiter überzeugen, sich ihrem Problem zu
stellen, sich an eine betriebseigene oder externe Beratungsstelle
zu wenden und nötigenfalls eine Therapie zu machen."
Juristisch mit Abmahnungen und Kündigungen gegen
auffällige Beschäftigte vorzugehen, "ist immer nur eine
Notkrücke".
Das beim Thema Sucht im Detail höchst komplizierte
Arbeitsrecht steckt in der Tat voller Fallstricke, für
Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer. So darf niemand wegen einer
Alkoholabhängigkeit gekündigt werden, weil dies von den
Gerichten nicht als Fehlverhalten, sondern als Krankheit eingestuft
wird. Es wirkt paradox: Wenn jemand nicht süchtig ist, sich
aber wegen übermäßigen Alkoholgenusses oder wegen
Drogenkonsums nennenswerter Verfehlungen schuldig macht, kann er
leichter auf die Straße gesetzt werden. Kein
Beschäftigter darf zu einem Alkohol- oder Drogentest gezwungen
werden, das stellt einen unzulässigen Eingriff in seine
Persönlichkeitsrechte dar. Freilich genügt zum Beweis
für eine Gefährdungssituation etwa unter Alkoholeinfluss
der persönliche Augenschein von Zeugen. Wird ein Arbeitnehmer
nach einer Therapie wieder rückfällig, wird eine
Kündigung eher möglich - das gilt dann als
Fehlverhalten.
Große Firmen haben nicht selten eine mit dem Betriebsrat
abgeschlossene Vereinbarung über den Umgang mit Sucht, was
dann Bestandteil der Arbeitsverträge ist. Bei Saarstahl
beispielsweise ist festgelegt, dass ein Mitarbeiter seine Stelle
verliert, wenn er innerhalb eines Jahres nach einer Therapie
rückfällig wird - zu einem späteren Zeitpunkt ist
eine zweite Therapie drin, sofern das Suchtproblem erneut
auftauchen sollte.
Die IG Metall pocht darauf, dass beim heiklen Thema Sucht
Betriebsräte einbezogen werden und Arbeitgeber keine einsam
beschlossenen Maßnahmen gegen Beschäftigte ergreifen. Die
Gewerkschaft verweist auf den Fall eines Textilunternehmens mit
rund 1.000 Mitarbeitern, das ein generelles Alkoholverbot
verhängt hatte. Das war natürlich nicht durchzusetzen,
weshalb die Firmenleitung als Arbeiter getarnte Detektive in die
Belegschaft einschleuste. Deren geheime Ausforschung führte zu
sechs Entlassungen und 30 Abmahnungen, gegen die der Betriebsrat
vor Gericht klagte. Mit Erfolg.
Von einer generellen Verbannung alkoholischer Getränke aus
Betrieben hält Heike Cloß nichts: "Alkohol ist per se
keine Droge, die meisten Menschen haben damit kein Problem."
Eventuelle Untersagungen müssten an spezielle Erfordernisse
angepasst sein. Geboten könne dies in manchen
Produktionsbereichen sein, so die IHK-Verantwortliche, etwa bei
Kranführern oder bei der Bedienung bestimmter Maschinen.
Die IG-Metall betont, dass auch die Arbeitsbedingungen
Suchtprobleme mit verursachen können: Verschärfter
Leistungsdruck, Stress, das Gefühl der Überforderung,
Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes.
Ob Wein, Bier oder Schnaps, ob Medikamente, Drogen, Spielzwang,
Internet: Sucht im Unternehmen ist schon lange kein Tabu mehr.
Indes nennt Heike Cloß ein Phänomen, das weithin
umschifft wird: die Arbeitssucht. Jene, die das Büro nicht
verlassen können und Akten noch mit nach Hause schleppen,
haben mit Alkohol oder Drogen in der Regel nichts am Hut. Die
IHK-Beauftragte über die Ursache für das Tabu
Arbeitssucht: "Das ist gesellschaftlich erwünscht."
Der Autor arbeitet als freier Journalist in Berlin.
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