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Andreas Elter
Medikamentensucht: Geschäft und Kosten
Kurz notiert
Im Jahr 2002 wurden in Deutschland 1,65 Milliarden
Arzneimittelpackungen über die Apotheken verkauft, etwa 37
Prozent davon ohne Rezept. Der Gesamtumsatz der pharmazeutischen
Hersteller betrug etwa 18,63 Milliarden Euro, 2,21 Milliarden
entfielen auf den Bereich der Selbstmedikation. Wie viel
verschreibungsfreie Medikamente aus dem Ausland mitgebracht oder
eingeschmuggelt wurden, lässt sich nicht abschätzen.
Der Pro-Kopf-Umsatz lag in Deutschland bei etwa 19,6 Packungen.
Umgerechnet in einzelne Dosierungseinheiten entfallen etwa 1.200
Tabletten, Kapseln, Zäpfchen oder andere Dosierungen auf jeden
Einwohner. Selbstredend ist der Verbrauch stark
altersabhängig, aber auch geschlechterspezifisch: Ältere
Menschen und Frauen verbrauchen etwa zwei bis dreimal mehr
Arzneimittel als der Durchschnitt. Wie hoch der Missbrauch und die
Suchtgefahr dabei ist, steht aber auf einem anderen Blatt. Denn bei
der Selbstmedikation ist schwer zu ermitteln, wer was genau
einnimmt.
Bei den verschreibungspflichtigen Medikamenten sieht das schon
etwas anders aus: Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen
(DHS) schätzt, dass etwa sechs Prozent der verordneten
Arzneimittel ein eigenes Missbrauchs- und
Abhängigkeitspotential besitzen, darunter vor allem Schlaf-
und Beruhigungsmittel. Aber auch Mittel mit Kodein - zum Beispiel
Hustensäfte, die zudem auch noch Alkohol enthalten -
können zu Suchtverhalten führen. Die DHS hat errechnet,
dass es etwa 1,1 Millionen Abhängige von dieser Art von
Medikamenten gibt. Hinzu kommen aber noch die Analgetika. Dabei
werden auch noch immer Kombinationspräparate mit Koffein
angeboten, die ein eigenes Missbrauchspotential haben. Nimmt man
all dies zusammen, so ergibt sich eine Schätzzahl von 1,4 bis
1,5 Millionen Medikamenten-Abhängigen in Deutschland.
Die Art der Abhängigkeit kann dabei aber nicht
berücksichtigt werden. Vereinfacht ausgedrückt: Es ist
schwer nachzuvollziehen, ob zum Beispiel ein Schmerzpatient, die
Medikamente regelmäßig einnimmt, weil sein Schmerz
anderweitig gar nicht mehr zu lindern wäre oder ob er bereits
dem Suchtpotential der Mittel zum Opfer gefallen ist. Neben
körperlichen Abhängigkeiten spielen psychische
Zwänge, die durch andere Faktoren als das Medikament
verursacht werden, natürlich auch eine starke Rolle.
Bei der Ermittlung der volkswirtschaftlichen Schäden der
Medikamenten-Sucht tauchen also mindestens gleich vier Probleme
gleichzeitig auf. Erstens greifen viele Patienten inzwischen zur
rezeptfreien Medikamenten. Deren Suchtpotential ist sehr
umstritten. Offiziell dürfen abhängigmachende Substanzen
nicht freiverkäuflich auf dem Markt. Das verbieten die
Medikamentenzulassung und das Betäubungsmittelgesetz. Das
zweite Problem besteht darin, dass ein Großteil der
suchtfördernden Tabletten, Kapseln oder Säfte von
Ärzten verschrieben wird. Es ist also nicht
auszuschließen, dass sie tatsächlich zur Bekämpfung
einer anderen Krankheit absolut notwendig sind. Dies müsste
gegengerechnet werden. Zum dritten tritt Medikamentensucht
häufig in Kombination mit anderen Süchten auf, zum
Beispiel mit Alkohol. Eine Differenzierung ist spätestens dann
nicht mehr möglich, wenn ein Alkoholabhängiger Hustensaft
statt Likör trinkt. Und viertens kann
medikamentenabhängiger seine Sucht wesentlich besser
verbergen, als ein Raucher oder ein Trinker.
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