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Alexander Weinlein
Zu Lande, zu Wasser und in der Luft:
gefährlich berauschte Krieger
Drogen beim Militär
Die Streitkräfte Großbritanniens gelten als sehr
traditionsbewusst - und jeder Bruch mit den Traditionen kommt auf
der Insel einer kleinen Revolution gleich. So geschehen im Jahr
1970, als eine über 200 Jahre alte Tradition in der britischen
Marine beendet wurde: das Ausschenken einer täglichen Ration
Grog an die Seeleute. Bis dahin war das so genannte
Fünf-Uhr-Fass Teil des Soldes gewesen, auf den die
Schiffsbesatzungen Anspruch hatten. Der liebgewonne hochprozentige
Brauch geht auf das Jahr 1740 zurück. Der englische Admiral
Edward Vernon erließ jene folgenreiche Order, die schnell in
der gesamten Flotte Einzug hielt: die bislang auf den
Kriegsschiffen ihrer Majestät täglich ausgeschenkte
Ration Rum wurde ab sofort mit heißem Wasser und Zitronensaft
verdünnt - der Grog war geboren. Seinen Namen verdankt das
alkoholische Gesöff ebenfalls seinem Erfinder. Der Admiral
trug wegen seines alten Bootsmantels aus dickem Kamelhaar, eines
Grogram, den Spitznamen "Old Grog".
Immerhin schaffte es Edward Vernon mit seiner Erfindung, gleich
zwei Probleme auf den Schiffen der Royal Navy zumindest
einzudämmen. Der Grog galt zum einen als Waffe gegen den
Skorbut - einer schrecklichen Krankheit, die besonders unter
Seeleuten wegen des wochenlangen Mangels an frischer Nahrung und
fehlender Vitamine häufig auftrat. Das andere Problem, das der
Admiral in den Griff bekommen wollte, war der
übermäßige Genuss von Alkohol auf den Kriegsschiffen
des Empire. Alkohol wurde ganz offiziell an die Besatzungen schon
rund 100 Jahre länger ausgeschenkt - vorzugsweise Rum,
ersatzweise aber auch Bier oder Wein. Ein halbes Pint Rum, ein
guter viertel Liter, floss jeden Mittag durch die durstigen Kehlen
der Seeleute.
Der hochprozentige Zuckerrohrschnaps aus den Insel-Kolonien der
Karibik, wegen seiner Stärke und Wirkung auch "Killdevil"
genannt, erfüllte die Funktion eines motivierenden
Dopingmittels: er stellte oft den einzigen Höhepunkt im
eintönigen Dienstalltag der Besatzungen dar, die wochenlang
auf hoher See verbrachten, und hielt sie bei Laune. Aber auch als
enthemmendes Stimulanzmittel bei anstehenden Seeschlachten oder als
Schmerzmittel bei Verwundungen wurde Rum ausgeschenkt.
Admiral Vernon hoffte wohl, die nicht ausbleibenden
Alkoholexzesse an Bord der Schiffe durch das Verdünnen des
Rums mit Wasser und das Aufteilen der täglichen Ration auf
zwei, zu mindern. Die tägliche Dosis Alkohol ganz zu
streichen, hätte sich kein Kapitän gewagt. Dies wurde nur
zur Disziplinierung von Seeleuten verordnet und galt neben dem
Auspeitschen als eine der härtesten Strafen. Umgekehrt wurden
die Besatzungen mit Sonderrationen für militärische
Erfolge belohnt.
Welch hohen Stellenwert der Rum als Seefahrergetränk dieser
Zeit einnnahm, mag folgende Geschichte verdeutlichen: Admiral
Horatio Nelson, der die englische Flotte 1805 bei Trafalgar zum
Sieg führte, dabei aber selbst fiel, hatte sich
gewünscht, im Falle seines Todes in einem Rum-Fass eingelegt
und nach England überführt zu werden. Die
Rum-Vorräte waren bei seinem Tod allerdings aufgebraucht, und
der Seeheld wurde in spanischen Branntwein gelagert.
Solche Geschichten mögen aus heutiger Sicht zum Schmunzeln
anregen. Doch dahinter verbirgt sich in Wirklichkeit ein gerne
verschwiegenes und ernsthaftes Problem - der Gebrauch von Drogen
oder bewusstseinsverändernder Substanzen im Krieg. Eine der
größten Unsicherheitsfaktoren auf dem Schlachtfeld, das
hatte schon der preußische Militär Carl von Clausewitz
erkannt, stellt der Soldat selbst dar. In Gefechten leidet er unter
Müdigkeit, Hunger und Verletzungen, ist unkonzentriert oder
unmotiviert. Daran hat sich bis heute nichts geändert; im
Gegenteil. Gerade durch den Einzug modernster Technik werden
Soldaten eher höhere Leistungen abverlangt als in der
Vergangenheit. Einen Teil dieser militärischen Defizite lassen
sich bis zu einem gewissen Grad durch harte Ausbildung und Drill
minimieren, völlig abstellen lassen sie sich jedoch nicht.
Die Armeen aller Epochen verfielen und verfallen deshalb bis
heute gerne der Versuchung, die Leistungsfähigkeit ihrer
Soldaten auf künstlichem Wege zu steigern - mit
unterschiedlichem Erfolg und teilweise verheerenden Folgen. Der
Einsatz von Alkohol und anderen Drogen zum Abbau von Hemmungen in
Gefechten ist nur ein Beispiel. In den Bürgerkriegsregionen
Afrikas etwa werden hundertausende von minderjährigen
Kindersoldaten durch Drogen und Alkohol zu enthemmten
Kampfmaschinen deformiert und verheizt. Mit diesem Argument
beantwortete Bundesverteidigungsminister Peter Struck im Sommer
1993 die Frage, warum er die Beteiligung deutscher Kampftruppen am
EU-Friedenseinsatz im vom Bürgerkrieg zerrütteten Kongo
ablehnt: "Wir haben es mit von Drogen bestimmten Kindersoldaten zu
tun, die überhaupt keinen Respekt mehr vor dem menschlichen
Leben kennen, und ich möchte nicht, dass unsere Soldaten auf
Kindersoldaten zur Selbstverteidigung schießen
müssen."
Doch auch in "zivilisierten" Armeen wird auf bedenkliche
Substanzen zurückgegriffen, wenn es in den Kampf geht. "Das
Ausschalten des Schlafbedürfnisses während eines Angriffs
würde die Kriegsführung und Planung fundamental
verändern", heißt es in einem Bericht der amerikanischen
"Defense Advanced Research Projects Agency" (DARPA). Wie solches
Wunschdenken in die Realität umgesetzt wird, darauf stieß
der BBC-Journalist Jamie Doran, als er der Frage nachging, warum
die britische Armee während des Irak-Krieges große
Verluste durch so genanntes "friendly fire" seitens ihrer
amerikanischen Verbündeten erleiden mussten. Seine Recherchen
ergaben, dass den Piloten der US Air Force vor und während
ihrer mehrstündigen Einsätze so genannte "go pills"
verabreicht wurden, hinter denen sich nichts anderes als
aufputschende Amphetamine verstecken. Sie können bei zu hohen
Dosen unter anderem zu Euphorie oder Aggressionen führen - am
Steuerknüppel eines Kampfflugzeugs eine tödliche
Gefahr.
Neu ist der Einsatz von Amphetaminen nicht. Bereits im Zweiten
Weltkrieg wurden sie etwa deutschen und britischen Piloten zur
Bekämpfung ihrer Müdigkeit verordnet. Der Gebrauch
solcher Aufputschmittel würde in der zivilen Luftfahrt
übrigens zum sofortigen Verlust der Fluglizenz führen -
mit Recht.
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