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Mirko Heinemann
Bunt und billig muss es sein: Heroin und Kokain
sind out
Mischkonsum mehrerer Substanzen nimmt gerade bei
Partydrogen zu
Die unregelmäßige Salonrunde des
Berliner Therapieladens ist eine intime Angelegenheit. In
vertrauter Runde, an der Sozialarbeiter, Ärzte und Psychologen
teilnehmen, werden hier neue Studien diskutiert, Experten befragt,
Erfahrungen ausgetauscht. Die Teilnehmer der Runde arbeiten in der
Drogenhilfe, in der Psychiatrie oder in Therapieeinrichtungen. Im
November vergangenen Jahres ging es wieder einmal um Cannabis. In
jüngster Zeit ist die Gruppe derjenigen, die
regelmäßig Haschisch und Marihuana konsumieren, zunehmend
in den Fokus der Drogenhelfer geraten.
Die so genannten Kiffer machen Psychiatern
und Therapeuten Kopfzerbrechen. "Wir haben seit Mitte der
90er-Jahre immer mehr psychotische Cannabis-Konsumenten in den
Psychiatrien", sagte Oliver Bilke, Direktor der Kinder- und
Jugendpsychiatrie im Berliner Vivantes Humboldt Klinikum. Betroffen
seien vor allem Früheinsteiger, "also Jugendliche, die bereits
mit 13 regelmäßig kiffen".
Erstkonsumenten von Cannabisprodukten werden
immer jünger. Gleichzeitig werden die Züchtungen der als
"Gras" oder "Dope" bezeichneten Blüten und das Harz der
indischen Hanfpflanze Cannabis Sativa in ihrer Wirksamkeit immer
stärker. Auch die Anzahl von Cannabiskonsumenten generell
steigt. Laut der "Schülerstudie" der Bundesdrogenbeauftragen
geben 33 Prozent aller Schüler an, schon einmal eine illegale
Droge probiert zu haben. Bei 31 Prozent davon hieß die Droge
Cannabis. Im Jahr davor ergaben die Befragungen in beiden
Fällen satte sieben Prozentpunkte weniger.
Es sind verschiedene Faktoren, die den
Cannabis-Boom begünstigen. Einerseits die räumliche
Nähe zu den Niederlanden, wo eine Toleranzpolitik
gegenüber so genannten "weichen Drogen" gefahren wird. Auch
hierzulande ist die juristische Handhabung entschärft
geworden: Bei Besitz von geringen Mengen Haschisch oder Marihuana
empfehlen die Bundesländer, von einer Strafverfolgung
abzusehen. Dazu kommt der relativ geringe Preis von rund fünf
bis zehn Euro pro Gramm, eine Menge, mit der Durchschnittsnutzer
mehrere Abende bestreiten können. Im öffentlichen Raum
wird das Kiffen zusehends toleriert, etwa auf der Straße oder
bei Rockkonzerten. In Großstädten wie Hamburg und Berlin
ist es sogar üblich, dass in Szenekneipen Joints geraucht
werden. Flankiert wird der Cannabis-Boom von einer Jugendkultur mit
Vorbildern und Symbolen, die am selben Strang ziehen.
Problematisch ist noch ein anderer
Konsumtrend, der im Zuge der Partydrogen aufgekommen ist:
"Polytoxikomanie", das Bedürfnis, verschiedene Drogen zusammen
zu konsumieren, um deren Wirkung zu verstärken oder zu
modulieren. Nimmt ein Partygänger beispielsweise Ecstasy ein,
dehnt sich der Konsum im Laufe des Abends fast zwangsläufig
auf andere Drogen aus. Es wird Alkohol getrunken, dessen Wirkung
unter dem Einfluss der Droge kaum mehr eingeschätzt werden
kann. Im Extremfall wird dazu gekifft und vielleicht auch noch
Kokain geschnupft.
Das zeigt, dass Wirkungsweisen, Gefahren und
Konsummuster nicht voneinander abgekoppelt betrachtet werden
können. Dabei spielen Zigaretten, Alkohol und Cannabis die
Hauptrolle, dazu kommen Partydrogen wie Ectstasy und Amphetamine.
LSD und Opiate hingegen sind auf dem Rückzug. Letzteren Trend
bestätigt der Drogenbericht 2004 der Bundesregierung, der
einen signifikanten Rückgang von Drogentoten verzeichnet.
Danach starben im Jahr 2003 infolge von Drogenkonsum 1.477
Menschen. Das ist der niedrigste Stand seit 1989.
Opiate auf dem Rückzug
Diese Tendenz ist einerseits darauf
zurückzuführen, dass Heroinabhängige medizinisch und
sozial immer besser betreut werden. Bewährt hat sich die
Substitution von Heroinkranken mit Ersatzstoffen wie Methadon oder
Polamidon. Seit das Programm 1989 ins Leben gerufen wurde, haben es
fast 6.000 Heroinabhängige durchlaufen. 25 Prozent davon haben
den Absprung von der Droge endgültig geschafft.
Zusätzlich erlauben so genannte Druckräume in deutschen
Großstädten Abhängigen den Heroinkonsum unter
medizinischer Aufsicht. Ein Modellversuch, der die Abgabe von
Heroin an Schwerstabhängige testet, läuft
zurzeit.
Trotz stark sinkender Heroinpreise fällt
auch die Zahl von Erstkonsumenten. Opiate wie Morphium oder Heroin
sind in hierzulande aus der Mode geraten. Mit einer Ausnahme: Aus
der Gruppe von Spätaussiedlern stammen inzwischen rund zehn
Prozent der Drogentoten. Polizeischätzungen zufolge waren rund
20 Prozent davon bereits in ihrem Herkunftsland
heroinabhängig. Der gegenläufige Trend zeugt von
differierenden Drogenkonsummustern in der ehemaligen Sowjetunion
und der prekären sozialen Verfasstheit der Gruppe.
Partydrogen
Wollte man Cannabis als Modedroge bezeichnen,
so handelt es sich dennoch dabei um einen Klassiker - gemessen an
der Bedeutung der in den 90er-Jahren aufgekommenen Partydrogen.
Diese Substanzen werden meist als Tabletten oder in Kapseln
konsumiert. Ob als MDMA (Ecstasy), als PSP (Angeldust) oder als
Amphetamine - die Partydrogen haben sich aus der Ära der Love
Parade unbeschadet in das neue Jahrtausend
herübergerettet.
6,3 Prozent aller 18 bis 24-Jährigen in
Deutschland geben an, schon einmal im Leben Ecstasy konsumiert zu
haben. 2,1 Prozent in dieser Altergruppe haben sogar in den letzten
zwölf Monaten Ecstasy genommen. Im Bannkreis von Ecstasy sind
so genannte Designerdrogen auf dem Vormarsch, die neuartige
Wirkstoffe enthalten. Damit versuchen die Produzenten das
Betäubungsmittelgesetz zu umgehen. Dazu gehört die
Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB), auch Liquid Ecstasy genannt,
die erst 2002 verboten wurde.
Ecstasy-Handel
In den Clubs und Diskotheken der
Großstädte sind florierende Pillenhandel entstanden.
Dabei besteht die Gefahr stark schwankender Dosierungen sowie von
Beimischungen, zum Beispiel von Designerdrogen. Interessant macht
Ecstasy in der Partyszene die angenehm empfundene Kombination aus
euphorisierender, aufputschender und leicht halluzinogener Wirkung,
die im Gegensatz zu LSD selten in Angst oder Wahnvorstellungen
umschlägt. Außerdem, wie bei Cannabis, der geringe Preis.
Für eine Ecstasy-Tablette zahlt man zurzeit um die 15 Euro.
Der Rausch lässt sich kaum verlängern oder
verstärken. Denn werden während der Wirkzeit der
"Entaktogene", zu denen MDMA gehört, weitere Dosen
eingenommen, baut sich eine körpereigene Toleranz auf. Die
Wirkung verpufft. Daher setzen sich viele Konsumenten leichtfertig
einer Mischintoxikation aus: Sie nehmen zu Ecstasy viel Alkohol,
aber auch Cannabis, Amphetamine (Speed) oder Kokain ein.
Speed und Kokain
Kokain war in den 80er-Jahren die Modedroge
der Reichen, Amphetamin (Speed) die der Armen. Das ist heute
ähnlich, allerdings hat sich Amphetamin analog der
gesellschaftlichen Entwicklung ein größeres Territorium
erobert. So ist es kaum verwunderlich, dass seit einigen Jahren der
Konsum von Kokain kaum ansteigt (rund fünf Prozent der jungen
Erwachsenen haben Erfahrung damit), der von Speed jedoch massiv.
Haben im Jahr 2000 noch 4,7 Prozent aller jungen Westdeutschen und
3,8 Prozent Ostdeutschen einmal im Leben Speed genommen, waren es
2004 schon 5,5 Prozent im Westen und 4,7 im Osten. Amphetamin ist
eine typische Droge, die exzessiven Mischkonsum fördert, vor
allem von Alkohol, zumal "Speeder" das Gefühl haben, nicht
mehr betrunken zu werden.
Amphetamin - in Süd- und Ostddeutschland
auch Metamphetamine ("Crystal") - wird vor allem in sozial
schwächeren Schichten konsumiert, aber man kann beobachten,
dass es unter Akademikern populärer wird. In diesen Kreisen
war früher Kokain die Wachmacherdroge, doch es bleibt trotz
Preisverfalls mit rund 70 Euro pro Gramm für viele
unerschwinglich. Kokain ist trotz vergleichsweise schwacher Wirkung
eine Droge mit ungeheurem Suchtpotenzial. In potenzierter Form
finden sich diese Eigenschaften im höchst gefährlichen
Kokain-Derivat Crack wieder, das in Europa eine untergeordnete
Rolle spielt.
Halluzinogene Drogen
Die Hippie-Droge Nummer Eins, LSD, ist wegen
ihrer unkontrollierbaren Wirkung in Verruf geraten. Im Gegenzug
entsteht eine neue Szene rund um halluzinogen wirkende Pilze. Seit
2000 ist die Anzahl der 18- bis 34-Jährigen, die schon einmal
Drogenpilze ("Magic Mushrooms") konsumiert haben, von rund drei auf
über fünf Prozent gestiegen. Damit haben Pilze fast die
Bedeutung von Ecstasy erlangt. Zwar war es in ländlichen
Regionen in gewissen Kreisen schon länger üblich, sich
auf die Suche nach dem in unseren Breiten wachsenden Spitzkegeligen
Kahlkopf zu machen, der das halluzinogen wirkende Psilocybin
enthält. Mittlerweile werden jedoch Sets zur Aufzucht von
mexikanischen Drogenpilzen als "Growboxes" im Internet angeboten.
Die Händler versuchen die juristische Grauzone um die nur im
Fall eines "Missbrauchs" verbotenen Pilze auszunutzen.
Naturdrogen
Das wachsende Interesse an Pilzen geht einher
mit einem allgemeinen Trend zum Konsum von Naturdrogen wie dem
(noch) legalen "Wahrsagesalbei" Salvia Divinorum oder von
ätherischen Ölen, die rauschähnliche Wirkungen
erzeugen sollen und von Spezialfirmen meist über das Internet
vertrieben werden. Geschichten über absonderliche Konsumtrends
sollten nicht allzu ernst genommen werden. Dazu gehört vor
allem die Aga-Kröte, die ihre halluzinogene Wirkung vor allem
in sensationistischer TV-Berichterstattung demonstriert. Um das
Sekret der Kröte aufzunehmen, muss man an dem Tier lecken.
Kein Wunder also, dass diese Form von Drogenkonsum allenfalls in
Einzelfällen praktiziert wird.
Der Autor arbeitet als Journalist in
Berlin.
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