Mirko Heinemann
Haschisch in der Saftpackung
"Seidenroute" und "Balkanroute" - verschlungene
Wege der Schmuggler
Wer abends im Berliner Weinbergspark spazieren geht, wird fast
zwangsläufig von Männern angesprochen, die sich auf dem
Spielplatz postiert haben. Leise fragen sie, ob man "was zu
rauchen" brauche. "Oder was anderes." Viele der Männer sind
dunkelhäutig, andere stammen offenbar aus dem arabischen Raum.
Hier gibt es fast alle Drogen zu kaufen, die es auf dem illegalen
Markt gibt. Die Polizei weiß seit langem von diesem
Umschlagplatz. Doch der Zugriff ist schwer, denn der offene Park
und eine nahe liegende U-Bahnstation bieten gute
Fluchtmöglichkeiten. Sollte der Zugriff trotzdem gelingen, ist
meist nicht viel von dem Stoff zu finden. Die Hintermänner
bleiben unerkannt.
Doch woher stammen die illegalen Substanzen, die in jener
idyllischen Berliner Parkanlage unter das Volk gebracht werden? Und
wie finden sie ihren Weg aus den Anbaugebieten oder Labors in den
Verkauf? Wenngleich naturgemäß viel im Dunkeln liegt,
Rückschlüsse können über sichergestellte
Drogentransporte des deutschen Zolls gezogen werden. Außerdem
unterhält das Bundeskriminalamt (BKA) 59 Verbindungsleute in
45 Ländern, darunter sind mutmaßliche Herkunfts- und
Transitländer von und für Drogen.
Die Erkenntnisse des BKA umfassen die wichtigen internationalen
Routen, über die Drogen ihren Weg von den
Ursprungsländern nach Europa und Deutschland gehen. Eine schon
fast klassisch zu nennende Route wird im Fachjargon "Balkanroute"
genannt: Opium und Heroin gelangen aus dem Fernen Osten via
Türkei und Bulgarien nach Europa. Eine andere Route ist seit
dem Fall des Eisernen Vorhangs immer wichtiger geworden: die so
genannte "Seidenroute" nutzt dieselben Handelswege, die schon zu
Marco Polos Zeiten als "Seidenstraße" die Phantasie der
Menschen anregten.
Es sind vor allem Opiate, die über die asiatischen Pisten
in Pkw, per Lastwagen oder Reisebussen nach Europa geschleust
werden. Im Jahr 2003 wurden rund 626 Kilogramm Heroin in
Deutschland sichergestellt. Ein Viertel davon - eher kleinere
Mengen - fiel den Beamten an der Grenze zu den Niederlanden in die
Hände. Im gleichen Zeitraum wurden aus der Türkei in nur
zwölf Transporten 199 Kilogramm Heroin sichergestellt, was
darauf hindeutet, dass die Türkei als Umschlagsplatz
größerer Mengen von Heroin fungiert.
Im Fernen Osten befinden sich die beiden wichtigsten
Anbaugebiete für den Schlafmohn, aus dem Rohopium und dann
Heroin gewonnen wird. Inzwischen können viele Labore vor Ort
selbst Heroin herstellen, womit das Transportvolumen auf ein
Zehntel der Menge verringert wird. Zurzeit wichtigster
Heroinproduzent ist der so genannte Goldene Halbmond, die Region
umfasst die Länder Afghanistan, Pakistan und Iran. Dabei
beträgt der Anteil afghanischen Opiums an der Weltproduktion
70 bis 80 Prozent. 2003 sei die afghanische Anbaufläche
für Schlafmohn um acht Prozent gewachsen, sagt Bettina
Fehlings von der für internationale
Rauschgiftkriminalität zuständigen Arbeitsgruppe vom BKA.
Im Goldenen Dreieck im Grenzgebiet von Myanmar (Birma), Thailand
und Laos dagegen sinken die Produktionszahlen. Hier werden
schätzungsweise 20 Prozent des weltweit in den Handel
gebrachten Opiums angebaut. Die Ernte geht in erster Linie nach
China, Neuseeland und Australien.
Opium oder Heroin aus Afghanistan geht zunächst per
Lasttier oder Lkw über die Grenze nach Tadschikistan, wo es
für den Versand Richtung Europa verpackt und zwischen
unauffälligen Gütern eingebettet wird. Danach teilt sich
die Route. Ein Weg führt über die ehemaligen sowjetischen
Republiken Usbekistan, Kasachstan nach Russland, ein anderer
über den Iran und die Türkei nach Bulgarien oder weiter
per Schiff zu einem europäischen Hafen. Wichtige
Umschlagplätze in Europa sind die niederländischen
Städte Amsterdam und Rotterdam.
Vor allem der Weg über die zentralasiatischen Republiken
nach Russland ist für die Drogenkuriere vergleichsweise
risikolos. Deutsche Zollbeamte beklagen die fehlende Erfahrung,
Personalmangel, Korruption und die Naivität der
kontrollierenden Beamten vor Ort im Zusammenhang mit Drogen. So
könnten sich Schmuggler zwischen Westeuropa und Warschau
gefahrlos telefonisch auf Englisch verständigen, weil es in
den dortigen Aufklärungszentren an Sprachkompetenz
mangele.
Kokain wird hauptsächlich in drei Ländern
Südamerikas gewonnen: Peru, Bolivien und Kolumbien. Das United
Nations Drug Control Programme (UNDCP) schätzt, dass die
Kokainproduktion von fast 900 Tonnen im Jahr 2000 auf 655 Tonnen im
Jahr 2003 gesunken ist. Der Anteil Perus an der Anbaumenge ist
dabei stark rückläufig, während der Anteil von
kolumbianischem Koka steigt. Üblicherweise werden die
Kokablätter vor Ort direkt zu Kokapaste weiterverarbeitet und
per Flugzeug aus den unwegsamen Anbauregionen heraus nach Kolumbien
geflogen. Von dort wird der Weitertransport über die
karibischen Inseln, Venezuela oder Brasilien per Schiff oder
Flugzeug nach Europa organisiert. Die Drogen werden in
Postsendungen versteckt, mit Kurieren verschickt oder in
Schiffsladungen versteckt.
Zur Aufklärung der Schmuggelrouten im Herkunftsland
unterstützt das BKA seit mehreren Jahren die
Drogenbehörde in Peru mit Spürhunden. Ein Fund brachte
ein Kilogramm Kokain zu Tage, das, in elektrischen Kondensatoren
versteckt, per Schiff in die Niederlande verschickt werden sollte.
614 Kilogramm Kokain fanden sich im Karussell eines Schaustellers.
Es sollte nach Deutschland gehen.
Ein Schlaglicht auf das Vorgehen von professionellen
Kokain-Dealern in der Bundesrepublik wirft ein Fall, der im
Dezember vergangenen Jahres in Wuppertal verhandelt wurde: Dabei
wurden neun Männer angeklagt, die im großen Stil mit
Kokain gehandelt haben sollen. Die Männer stammen aus den
afrikanischen Ländern Gambia, Guinea und Liberia. Sie sollen
insgesamt 7,5 Kilogramm Kokain beschafft und in Portionen von zehn
bis 60 Gramm in Wuppertal und Umgebung weiter verkauft haben. Dabei
diente eine Wohnung als Zwischenlager, der Verkauf der kleinen
Portionen auf der Straße wurde über so genannte
"Cityboys" organisiert.
Der Großteil des in Deutschland konsumierten Marihuanas
dürfte inzwischen aus niederländischer Produktion
stammen. Zunehmend professionell werden hier stark wirkstoffhaltige
Züchtungen in Treibhäusern, Hallen oder Scheunen
angebaut. Auch als Transitland spielen die Niederlanden die
Hauptrolle. Daher ist es für Ermittlungsbehörden schwer,
die von dort importierten Cannabisprodukte bis in das Herkunftsland
zurückzuverfolgen. Aber auch die Schweiz exportiert aufgrund
ihrer laxen Rechtsprechung hinsichtlich des Cannabis-Anbaus
mittlerweile Marihuana. Und laut UNDCP-Weltdrogenreport soll
Albanien inzwischen eine bedeutende Rolle in der
Cannabis-Produktion spielen. Von hier aus werden die Märkte in
den Balkanländern und Italien versorgt.
Im Export von Haschisch ist dagegen Marokko führend. Die
typische Vorgehensweise von Schmugglern auf der Route
Marokko-Mitteleuropa demonstriert ein bereits einige Jahre
zurückliegender Fall: Mitarbeiter der Zolltechnischen
Prüfungs- und Lehranstalt in Köln wunderten sich
über einen Orangensaft-Transport aus Marokko. Der Saft war von
so schlechter Qualität, dass nicht einmal der Transport vom
Erlös hätte gezahlt werden können. Daraufhin
untersuchte der Zoll die Ware genauer und fand heraus, dass 449
Orangensaftpackungen mit Haschisch gefüllt waren. Wert:
fünf Millionen Mark.
Aber auch in der Bundesrepublik wird zunehmend Cannabis
angebaut. Davon zeugen die schnell expandierenden so genannten
"Grow-Shops", die Utensilien für den Marihuana-Anbau
vertreiben. Professioneller Anbau wird in eigens dafür
präparierten Treibhäusern betrieben, aber auch auf
Balkonen, im Kleingarten oder in der heimischen Wohnung kann unter
Nutzung von künstlichen Lichtquellen effektiv gezüchtet
werden.
Die Haupt-Produktionszentren synthetischer Drogen befinden sich
fast ausschließlich in Europa. Ein wesentlicher Teil der
hierzulande sichergestellten Ecstasy-Pillen stammt nach Angaben des
Bundeskriminalamtes aus dem Benelux-Raum. Hier fabrizieren zahllose
Untergrund-Labore synthetische Drogen. Nach Funden von illegal
entsorgten Abfallsubstanzen, die bei der Herstellung von Ecstasy
anfallen, müssen im Jahr 2000 allein in den Niederlanden 1,5
Milliarden Ecstasy-Tabletten hergestellt worden sein. Amphetamine
(Speed) und Metamphetamine (Crystal) werden in Polen, Tschechien,
der Slowakei und den baltischen Ländern hergestellt. Im Jahr
2003 wurden in Deutschland 14 illegale Drogenlaboratorien entdeckt,
davon haben neun Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) hergestellt,
drei Ecstasy und jeweils eines Metamphetamin beziehungsweise
Designerdrogen.
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