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Erika Ober
Entkriminalisieren heißt nicht
Legalisieren
Wenn laut einer Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen
jeder Vierte davon berichtet, in den letzten zwölf Monaten
Cannabis konsumiert zu haben, dann besteht für die
Drogenpolititk unzweifelhaft Handlungsbedarf. Unter Jugendlichen
herrscht offenbar eine ungebremste Lust auf den Rausch. Ohne
Cannabiskonsumenten im Erwachsenenalter vernachlässigen zu
wollen, sollte der Schwerpunkt unserer Drogenpolitik bei den
Jugendlichen liegen.
Diese Feststellung gilt nicht nur für illegale Drogen. Von
der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt hat der Missbrauch von
Alkohol unter Jugendlichen stark zugenommen. Jeder zweite
Jugendliche unter 14 Jahren war schon einmal betrunken.
Phänomene wie "Binge Drinking", das Rauschtrinken, waren bis
vor kurzem in Deutschland unbekannt. Inzwischen ist aber
festzustellen, dass es sich hierbei nicht nur um eine rein
englische Krankheit handelt. Wir sind deshalb als Politiker dazu
aufgefordert, der Ursache auf den Grund gehen, warum es für
viele Jugendliche inzwischen attraktiv scheint, ihre Wochenenden
auf diese Weise zu verbringen.
Die politischen Entscheidungsträger sollten dieses Problem
angehen. Wir müssen zugeben, dass die Prävention an
diesem Punkt versagt hat. Die Gefahren des Drogenkonsums werden
unterschätzt, und die wachsende gesellschaftliche Akzeptanz
weicher Drogen vernebelt den Blick auf ihre Gefahren.
Regelmäßiger Cannabiskonsum ist gefährlich. Im
falschen Glauben, man hantiere mit einer leichten Droge, werden die
Gefahren unterschätzt. Krebserregende Stoffe in
Cannabiszigaretten werden in hoher Konzentration in die Lunge
aufgenommen. Entgegen der Meinung vieler Freigabebefürworter
existiert ein psychisches Suchtpotential. Moderne Cannabispflanzen
lassen sich nicht mit dem Kraut vergleichen, das vor 30 Jahren in
den Pfeifen der Hippies steckte. Inzwischen wird Marihuana speziell
gezüchtet und die Dosis des Wirkstoffs dadurch erhöht.
Dazu hat auch die Häufigkeit des Konsums zugenommen. Mehr als
zwei Drittel der Cannabiserfahrenen müssen als
Gelegenheitskonsumenten bezeichnen werden. Ein Viertel ist sogar
als hochfrequent mit einer Konsumhäufigkeit von zehn mal oder
öfter in den letzten 30 Tagen einzustufen. Nicht vergessen
werden darf, dass Cannabis für eine überwältigende
Mehrheit als Einstieg zum Experimentieren mit illegalen Drogen
gelten kann.
Welche Schlüsse muss die Politik aus dieser Analyse ziehen?
Zunächst einmal die traurige Erkenntnis, dass es uns als
Gesellschaft nicht gelungen ist, Jugendliche davon zu
überzeugen, dass ihr Leben auch ohne Drogen lebenswert,
aufregend und interessant ist. Es müssen geeignete Schritte
unternommen werden, um die Prävention neu auszurichten und zu
stärken. Ziel muss es sein, Jugendliche mitzunehmen und ihnen
eine wirkliche Perspektive zu bieten. Hier ist über die reine
Drogenpolitik hinaus ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz gefragt.
Eine wichtige Rolle spielen ein umfassendes Bildungsangebot und ein
zukunftsweisender Ausbildungsplatz. Nur so kann sich ein gesundes
Selbstbewusstsein entwickeln, dass Jugendliche befähigt, Nein
zu Drogen zu sagen. Wir müssen uns auch denjenigen widmen, die
bereits als regelmäßige Konsumenten bezeichnet werden
müssen. Durch eine gezielte Mischung aus Anreiz und Warnung
muss der Versuch unternommen werden, Alternativen zum Drogenkonsum
oder Binge Drinking am Wochenende zu bieten.
Politisch unstrittig ist, dass die Freigabe einer weiteren Droge
nicht gewollt sein kann. In keinem Land der EU, auch nicht in den
Niederlanden, ist Cannabis legal. Die Unterzeichnung der
UN-Suchtstoffkonvention durch die Bundesrepublik Deutschland
schließt die Legalisierung überdies aus. Die Probleme mit
legalisierten Rausch-mitteln sind bekannt. Viele Menschen in
Deutschland sind alkoholkrank. Dennoch ist die Akzeptanz für
übermäßigen Alkoholkonsum vorhanden. Ein
Gläschen unter Freunden oder bei der Arbeit gilt als gesellig.
Der Schritt in die Abhängigkeit ist in vielen Fällen
leider vorprogrammiert. Nicht anders verhält es sich mit
Nikotin. Der Suchtstoff hat Millionen von Menschen abhängig
gemacht. Die Folgen für die Gesundheit des Einzelnen und die
Kosten des solidarisch (also auch von Nichtrauchern) finanzierten
Gesundheitssystems in der Bundesrepublik sind allgemein bekannt. Es
ist daher ein rationaler Schritt der Bundesregierung, ihre
Drogenpolitik nicht allein illegalen Substanzen zu widmen, sondern
verstärkt wieder die legalen Suchtstoffe Alkohol und Nikotin
in den Vordergrund der Drogenpolitik zu stellen.
Kein Totalverbot
Dennoch erscheint mir ein Totalverbot wenig zielgerecht. Schon
in der Vergangenheit ist der aussichtslose Versuch unternommen
worden, Sucht auf diese Weise zu unterbinden. Wir wissen, dass es
in jeder Gesellschaft ein gewisses Potential suchtgefährderter
Menschen gibt. Ein restriktiver Ansatz allein ist daher zum
Scheitern verurteilt. Jugendliche müssen einen
verantwortungsbewussten Umgang mit Suchtstoffen lernen. Es hilft
Niemandem, diese Menschen zu kriminalisieren. Wir müssen im
parlamentarischen Raum eine Diskussion über Strafverfolgung
und Entkriminalisierung führen. Der Besitz kleinerer Mengen
wird bereits jetzt faktisch kaum noch bestraft. Die konsequente
Entkriminalisierung der Konsumenten ist der nächste Schritt.
Schwierigkeiten ergeben sich derzeit aus dem Umstand, dass in den
verschiedenen Bundesländern Gl eiches nicht auch gleich
behandelt wird. Die Auswirkungen dieser Ungleichbehandlung werden
derzeit in einer breit angelegten Studie untersucht. Eine
bundesweit einheitliche Festlegung einer geringen Menge würde
die bestehende Rechtsunsicherheit beseitigen. Die Bundesländer
sind aufgefordert, sich an dieser Diskussion zu beteiligen und
einen einheitlichen Umgang mit Kleinstmengen von Cannabis zu
entwickeln.
Erika Ober ist drogenpolitische Sprecherin der
SPD-Bundestagsfraktion.
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