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Claudia Heine
Der Staatsfeind in der Apotheke
Vom Erfolg falscher Behauptungen: Die Geschichte
des Heroins vom Hustensaft zur gefährlichsten Droge
überhaupt
Alles hatte so harmlos begonnen: Im Jahr 1898
notierte Theobald Floret euphorisch die Bekämpfung eines
hartnäckigen, krampfartigen Hustens, "den stets eine
Heroingabe zum sofortigen Stillstand brachte, sodass ich in die
Lage versetzt wurde, stundenlang, ohne mehr von Husten
belästigt zu werden, meine Tätigkeit auszuüben".
Floret war der Werksarzt der "Farbenfabriken
vorm. Friedr. Bayer & Co" (heute Bayer AG) in Eberfelde. Unter
der Leitung des Chemikers Heinrich Dreser, Chef des
pharmakologischen Labors des Unternehmens, begannen die
Farbenfabriken, Heroin erstmals am Menschen zu testen.
Werksangehörige, sogar deren Kinder und die Wissenschaftler
selbst schluckten zur Behandlung von Atemwegserkrankungen geringe
Mengen davon und waren, so ist es jedenfalls überliefert, ihre
Sorgen los. Mit diesen Versuchen begann der Siegeszug einer
Substanz, die eigentlich Diacetylmorphin heißt, und unter dem
Markennamen Heroin von den Farbenfabriken noch ab dem selben Jahr
vertrieben wurde.
Leider konnte die Firma nur den Wortschutz
für Heroin, nicht jedoch das Patent beantragen. Denn mehr als
20 Jahre vorher, im Jahr 1874, hatte ein britischer Chemiker die
Substanz erstmals aus Morphin synthetisiert. Nachdem es dem
deutschen Apotheker Friedrich Wilhelm Sertümer 1803 gelungen
war, den Hauptwirkstoff des Opiums, eben jenes Morphin, zu
isolieren, wurde die Substanz 1828 als stark wirksames
Schmerzmittel auf den Markt gerbracht. Die Folgen jedoch konnten
die Wissenschaftler nicht beruhigen. Morphium, so der bekanntere
Name, gehörte bald zu jeder Hausapotheke und diente, trotz
starker Nebenwirkungen, zur Behandlung sämtlicher schmerzender
Krankheiten. Entscheidend für die rasche Verbreitung waren
auch die Kriege jener Zeit: Im Krim-Krieg (1853 bis 1856), im
Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) und im amerikanischen
Bürgerkrieg (1861 bis 1865) setzten die Ärzte massenhaft
Morphium ein. Zu den schnellen Erfolgen in der Schmerztherapie
gesellte sich bald ein neues Phänomen: Die Soldaten (und nicht
nur sie) wurden abhängig. In den USA nannte man die
Morphinsucht deshalb auch "Soldatenkrankheit". Wissenschaftler
begannen nun, eifrig nach einem Mittel zu suchen, das
verträglicher und weniger suchtgefährdend sein sollte als
Morphin und fanden: Heroin.
Erfolgreiche Werbung
Sein Siegeszug als Husten- und Schmerzmittel
begann jedoch mit einem Irrtum, den einige Kollegen Dresers und
Florets damals schon vermuteten, der aber erst Jahre später
definitiv belegt wurde. Weder ökonomisiert Heroin die
Atemarbeit, so Dresers hauptsächliche Begründung für
die Einführung der Substanz als Arzneimittel, noch birgt es
geringere Suchtgefahren als Morphin. So wundert es nicht, dass eine
heftige wissenschaftliche Kontroverse mit der Einführung des
Heroins einherging. Erstaunlich ist vielmehr, dass es sich dennoch
so erfolgreich auf dem Markt etablieren konnte. Das hohe Ansehen
der Farbenfabriken bei Ärzten und ein auf Hochturen laufender
Propaganda-Apparat des Unternehmens sind wohl entscheidende
Gründe dafür. Wissenschaftliche Studien, die die
Ergebnisse Dresers bestätigten, und kostenlose Probepackungen
wurden in großem Umfang an Ärzte und Kliniken
verschickt.
Zunächst als Pulver, dann als
wasserlösliches Salz, Saft oder Zäpfchen vermarkteten
bald auch andere Firmen im In- und Ausland Diacetylmorphin. Und
weil sie es nicht Heroin nennen konnten, wichen sie auf so
schön klingende Namen wie Heroline oder Heromal aus. Der Name
Heroin hatte sich derart durchgesetzt, dass er bald auch auf dem
illegalen Drogenmarkt als Bezeichnung benutzt wurde. Ganz legal
steigerten die Farbenfabriken ihren Heroin-Umsatz von 45 Kilogramm
im Jahr 1898 auf 970 Kilogramm im Jahr 1913. Den größten
Teil davon exportierte das Unternehmen in die USA (58 Prozent), mit
weitem Abstand gefolgt von Russland (7,1 Prozent). Mit 6,8 Prozent
bildete das Deutsche Reich den drittgrößten
Absatzmarkt.
Fast schien es, als garantieren die USA den
Erfolg des Hustenmittels Heroin. Doch bald verfolgte das Land eine
Strategie, in deren Verlauf die Substanz zum größten
Gegner, ja fast zum Staatsfeind hochstilisiert wurde. Im Gegensatz
zu Europa konnte man in den USA der Jahre zwischen 1850 und 1930
sehr wohl von einem "Drogenproblem" sprechen, das sich
zunächst auf Morphium, später auf Kokain und Rauchopium
und schließlich auf Heroin konzentrierte, wenngleich letzteres
von Politikern bewusst maßlos übertrieben und falsch
dargestellt wurde. Nicht nur Krieg, Choleraepidemien und schlecht
ausgebildete Ärzte ließen die Zahl der suchtkranken
Opiatkonsumenten um 1890 auf 300.000 ansteigen. In der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts durchlebten die USA eine Phase
tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen: Einwanderer
aus Europa und Asien ließen die Bevölkerungszahlen der
Städte explodieren; die industrielle Revolution
veränderte zusätzlich bisher überschaubare
Strukturen; die damit verbundene soziale Verelendung schuf ein
Konfliktpotential, das bewältigt werden musste.
Der weißen amerikanischen Mittel- und
Oberschicht ging es jedoch nicht um die Ursachen. Sie
bekämpfte mit repressiver Politik allein die Symptome und
versuchte so, die "Übel" der neuen Zeit zu beseitigen. Und sie
beruhigte damit ihre tief sitzende Angst vor einer Destabilisierung
ihres puritanischen Wertesystems. Vermeintlich Verantwortliche
waren schnell gefunden, denn während bei den chinesischen
Einwanderern der Westküste vor allem Rauchopium beliebt war,
zählten in erster Linie Schwarze, aber auch Studenten und
Arbeiter der Südstaaten zu den Hauptkonsumenten von Kokain.
Dass Kokain bald auch als "negro drug" betitelt wurde,
verdeutlicht, dass diesem Drogenproblem ein soziales und
rassistisches zugrunde lag. Mit zunehmenden Druck auf Schwarze und
andere Kokain nehmende "Parasiten" und "Degenerierte" gelang es,
seine Verfügbarkeit immer weiter einzuschränken. Ab 1910
war der legale Erwerb von Kokain unmöglich; ähnlich
erging es dem Rauchopium: Der "Smoking Opium Exclusion Act" von
1909 verbot den Import von Opium in die USA. Heroin, bisher schon
als Hustenmittel verschrieben, entwickelte sich nun zur
"Ausweichdroge": Es war billig und als Pulver einfach zu
konsumieren, dennoch wirkte es stark euphorisierend.
Einer breiten Front aus Ärzten,
Politikern und Medien gelang es in den folgenden Jahren, nicht nur
Heroin und deren Konsumenten zu kriminalisieren und als Ursache
gesellschaftlicher Fehlentwicklungen zu deuten. Darüber hinaus
schufen sie, ohne es damals freilich zu wissen, eine bis heute
gültige Interpretation, nach der Heroin als die Droge
schlechthin gilt. Hemmunglos wurden Statistiken und Zahlen
gefälscht, um ein Klima zu schaffen, in dem Heroin als
gefährlichstes, die Gesellschaft direkt bedrohendes
Suchtmittel erschien. So verbreiteten die Gesundheitsbehörden
von New York im Jahr 1918, in der Stadt gäbe es 140.000
Heroinabhängige, obwohl insgesamt nur 7.000 Süchtige
registriert und nach Schätzungen tatsächlich etwa 20.000
Menschen süchtig waren. Die Verknüpfung von Heroin und
Kriminalität ging so weit, dass Repräsentanten
staatlicher Institutionen und in deren Gefolge die Presse die
Gewissheit verbreiteten, Heroin stimuliere wegen seiner
physiologischen Effekte direkt Gewalttätigkeit und kriminelles
Verhalten. Außerdem scheuten sie sich nicht, Heroinsucht als
ansteckende Krankheit darzustellen. Vor diesem Hintergrund und mit
dieser Stigmatisierung ließen sich nicht nur national Gesetze
verschärfen, die eine angemessene Behandlung von Suchtkranken
unmöglich machte. 1919 untersagte eine Grundsatzentscheidung
des Supreme Court die Verschreibung von Narkotika, wenn außer
einer Abhängigkeit kein anderes Problem bestand, das eine
Behandlung damit rechtfertigte. Seit 1924 bestand ein faktisches
Heroinverbot.
Die Weltmacht setzt sich durch
Als angehende Weltmacht verstärkten die
USA in jenen Jahren ihre Bestrebungen, auch international eine
ähnliche Politik durchzusetzen. Mehrere Opiumkonferenzen des
Völkerbundes (1909, 1925 und 1931) legten dafür die
Grundlagen. Außerhalb ihrer Grenzen fanden die USA jene
"Feinde", die dem Land das Drogenproblem überhaupt erst
beschert hatten. Verschwörungstheorien, nach denen auf diese
Weise das amerikanische Wertesystem ausgehöhlt werden sollte,
trafen auch den Kriegsgegner Deutschland, dem vorgeworfen wurde,
mit Drogen versetzte Kosmetik und Zahnpasta in die USA zu
exportieren.
Konferenzen, die internationale
Betäubungsmittelabkommen durchsetzten, waren dringend geboten.
Zum einen wuchsen die Zweifel an der medizinischen Relevanz des
Heroins, das sich nur in Nuancen von Morphin unterschied und dessen
Suchtpotential von vielen Wissenschaftlern höher bewertet
wurde. Zum anderen erreichte die Produktion von Opiaten zu Beginn
der 20er-Jahre enorme Ausmaße. Eine unkontrollierte
Herstellung und Verbreitung, das war sichtbar, beförderte die
Entstehung riesiger illegaler Drogenmärkte. In den Jahren 1925
bis 1930 lag die jährliche Produktion von Morphin bei 39 bis
59 Tonnen; Deutschland hatte daran einen Anteil von 40 Prozent.
Damit war das Land zwar der größte Hersteller der
Ausgangssubstanz für Heroin, nicht aber der größte
Produzent von Heroin. Hier lag die Schweiz mit 10,2 Tonnen an der
Spitze.
Im Zuge der schrittweisen Reglementierung,
Kontrolle und Verbote von Produktion und Handel mit Heroin brachen
auch die Umsätze in Deutschland immer mehr ein: 1926 betrug
der Heroinumsatz der Farbenfabriken nur noch 63 Kilogramm, ab Mitte
1940 stellte das Unternehmen die Produktion ein. Verboten war sie
nicht. Bis 1917 unterlagen Handel und Verkehr mit Heroin, Morphin
und Kokain Bestimmungen, die auch für andere stark wirkende
Arzneimittel galten. Das Zweite Opiumgesetz von 1929 reglementierte
die ärztliche Verordnung erstmals inhaltlich, in dem es
Höchstgrenzen für eine pro Tag erlaubte Verschreibung
festlegte. Es galt mit geringen Änderungen bis 1971. So
genannte Narcotic Officers der Alliierten empfahlen jedoch schon
nach 1945 die völlige Unterbindung der medizinischen
Verwendung von Heroin. Ab 1955 durfte Heroin legal nicht mehr
hergestellt werden. Anders ist das in Großbritannien, das mit
einer (legalen) jährlichen Produktion von 300 bis 400
Kilogramm Heroin heute alleiniges Herstellerland ist. Nur dort und
in der Schweiz wird Heroin noch für medizinische Zwecke
verwendet.
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