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Bert Schulz
Der Urtyp des Rockstars: Schon die Griechen
tranken sich ins Koma
Rockmusik und Drogen gehören scheinbar
zwangsläufig zusammen
In keinem Bereich zeigen sich die gesellschaftlichen
Verwerfungen, die der Begriff Droge auslöst, so deutlich wie
im Bereich der unter Jugendlichen populären Musik, also der
Rock- und Popmusik sowie ihren manigfachen Weiterentwicklungen bis
hin zu Techno und Hip-Hop. Das hat mehrere Gründe: Was heute
gemeinhin als illegale Drogen gilt - von Marihuana über LSD
bis hin zu Koks und Heroin - ist im wesentlichen über die
Vermittlung und Darstellung durch jene Musikkulturen in den
vergangenen fünf Jahrzehnten zum sozialen Massenphänomen
geworden und damit zur Gefahr. Eine Gefahr, die vor allem jungen
Menschen bedroht. Hinzu kommt, dass Musik selbst als Droge gelten
kann, im positiven wie im negativen Sinn. Und letztlich begreifen
sich viele der Pop- und Rockmusiker als Künstler, die schon
jeher eine hohe Affinität zu (bewusstseinserweiternden) Drogen
besitzen. Eine eigentlich simple Frage über das
Verhältnis von Rockmusik und Drogen provoziert damit unter
Umständen eine Antwort, die in ihrem Umfang und ihrer
Verwirrtheit rauschähnlichen Charakter besitzen kann.
Das beginnt schon damit, dass man fast nicht weiß, wo man
anfangen soll. Denn die Verbindung von Musik und Drogen
unterschiedlichster Art ist so alt wie die beiden Dinge selbst. Die
Griechen der Antike huldigten bei ihren Dionysos-Festen mit Musik
und Tanz den Göttern und tranken sich dabei ins Koma - ein
Brauch, den mancher Urtyp von Rockstar vor, bei und nach seinen
Auftritten gerne wiederbelebt. Überall auf dieser Erde
existierten (und existieren) Traditionen, nach denen sich
Medizinmänner, Druiden und Schamanen nicht nur mit monotonen
Rhythmen, sondern auch mit Mitteln, die unter das deutsche
Betäubungsmittelgesetz fallen würden, in Trance
versetzen. Letztlich funktionieren zahlreiche Stücke der
Popmusik genauso: Kurze knackige Rhythmen - besonders
auffällig in der Technomusik - werden bis zur scheinbaren
Endlosigkeit wiederholt; in der Rockmusik reiht sich ein und das
selbe Gitarrenriff rasch aneinander. Die Folge ist immer die
gleiche: Das Zeit- und manchmal auch das Raumgefühl gehen
verloren - ein (bisweilen kräftiger) Hauch von
Bewusstseinserweiterung.
Allein aus diesem Grund lehnt manche religiös inspirierte
Gruppe Pop- und Rockmusik und die meisten ihrer Weiterentwicklungen
ab. Damit befinden sie sich zumindest im Ergebnis auf einer Linie
mit vielen frühen Theoretikern der Frankfurter Schule, denen
die popmusikalischen Produkte der "Kulturindustrie" verhasst waren.
Damals war das vor allem der Jazz (dessen Musiker sich
übrigens häufig und gerne dem Marihuana hingaben und kaum
dem Alkohol). Ein anderes Argument, sie abzulehnen und sogar zu
bekämpfen, lieferten die Rock- und Popmusiker mit ihrem
Auftreten und ihrem Lebensstil. Ihr Motto, das inzwischen
sprichwörtlich für das Genre wurde: "Sex und Drogen und
Rock 'n' Roll".
Alles begann vor gut 50 Jahren, als der 19-jährige Elvis
Presley 1954 seine erste Platte rausbrachte, damit den Rock 'n'
Roll erfand und diese Musik vor allem für ein weißes
Massenpublikum akzeptabel machte. Kurz darauf kultivierte er auch
noch den Hüftschwung und wurde so für die reichlich
verklemmte Jugend der 50er-Jahre zum ersten Sexsymbol. Mit dem
Erfolg und dem gesellschaftlichen Aufstieg entdeckte Elvis die
Drogen, vor allem Pillen und Alkohol, die ihm auch über Phasen
der Erfolgslosigkeit trösteten und an denen er
schließlich zu Grunde ging.
Drogen und Rockmusik gingen aber erst in den 60er-Jahren jene
enge Verbindung ein, die bis heute auch viele andere Jugendkulturen
und fast alle neuen Musikkulturen prägt. Auf Musikfestivals
wurde öffentlich neben der "freien Liebe" auch dem
Drogenkonsum als Ausdruck einer Gegenkultur reichlich
gefröhnt, unterstützt von zahlreichen Musikern, die ihn
ihren Liedern eigene Drogenerlebnisse verarbeiteten und damit -
zumindest indirekt - zur Nachahmung aufriefen. Darunter waren zum
Beispiel die Beatles, deren Zeichentrickfilm "Yellow Submarine" von
1967 und die Musik dazu nicht ungewollt einem einzigen Drogentrip
gleicht; Pink Floyd, die gleich ganze Weltraumausflüge mit
sphärischen Klängen musikalisch verarbeiteten, oder die
New Yorker Band Velvet Underground, die in ihren Liedern
schilderten, wie sie auf ihren Dealer warten und wie das frisch
besorgte Heroin bei ihnen wirkt. Drogensongs dieser frühen
Ära verbanden den Konsum oft mit Freiheit und
Selbstverantwortung. "I made a very big decision" (ich habe eine
sehr wichtige Entscheidung getroffen), heißt es in "Heroin"
von Velvet Underground. Irgendwo zwischen Selbsterfahrung und
Selbstzerstörung lag das Ziel. Viele dieser Bands Ende der
60er- und Anfang der 70er-Jahre gelten bis heute als
stilprägend - auch in Hinblick auf das Image, wie ein zu Ruhm
gekommener Rockstar auszusehen hat und wie er auftritt.
Das wirkte sich auch auf die Fans aus und damit auf die
Gesellschaft, wie der britische Autor Nick Hornby, der in seinen
Büchern vornehmlich das Leben gealterter Musikfans schildert,
in einem Interview erklärte: "Ich glaube, was die
Autoritäten damals wirklich geschockt hat, war, dass nun auch
ganz gewöhnliche Leute anfingen, sich schlecht zu benehmen.
Besonders hier in England zeigte man bis dahin immer viel Toleranz
für die Exzentritäten der Upper-class, nicht aber
für die der Klassen darunter. Der Adel und die Kunststudenten
aus den reichen Familien, die durften immer schon Drogen nehmen und
Sex haben. Was den Autoritäten in den Sechzigern Angst machte,
war, dass nun die Rebellion gegen die herrschenden Vorschriften
losging. Wir haben heute vergessen, wie tiefgehend dieser Aufstand
war."
Die ausgehenden 60er- und frühen 70er-Jahre waren für
die Pop- und Rockmusik ein einziger Rausch, aufgrund der
Überschwänglichkeit, wie die Musik und ihre ganze Kultur
aufgenommen wurde und in deren Ablehnung einer Gesellschaft, die
sich - so eine verbreitete Einschätzung unter Eindruck etwa
des Vietnam-Krieges - nur unter Drogen aushalten ließ. Dieses
Rauschgefühl wiederholte sich in schwächerer Form bei
anderen aufkommenden Jugend- beziehungsweise Musikkulturen, wie dem
Punk ab Mitte der 70er-Jahre und dem Techno ab Ende der
80er-Jahre.
Das "Runterkommen" Anfang der 70er-Jahre war für Fans und
Musiker gleichermaßen schmerzhaft: Mit Jimi Hendrix, Janis
Joplin und Jim Morrison starben gleich drei Rock-Ikonen innerhalb
eines Jahres an ihrer Alkohol- oder Heroinsucht - und
bestätigten damit das Klischee vom exzessiv lebenden Rocker,
vom in Drogen Inspiration suchenden Künstler, der dadurch erst
die Klangwelten erschaffen kann, die den Hörern dann als Droge
gereicht.
Das beeindruckte die Szene jedoch wenig, im Gegenteil:
Gleichzeitig wurde eine härtere Version des Rock, der Heavy
Metall, populär, und mit ihm noch ausschweifendere
(Drogen-)Exzesse. Die lange Liste der Rockleichen ließe sich
allein deshalb über die 70er- und 80er-Jahre hinweg
fortschreiben; es gibt wenige Bands, die keine Probleme mit Drogen
hatten. Beispielhaft sei nur der österreichisches
Popsänger Falco erwähnt, dessen große Zeit die
frühen 80er-Jahre waren und der gerne mit dem Satz zitiert
wird: "Wer sich an die 80er-Jahre erinnern kann, der hat sie nicht
erlebt." Bekanntestes Drogenopfer der 90er-Jahre ist Kurt Cobain,
der zwar nicht an seiner Sucht, sondern durch eigene Hand starb.
Das Heroin darf aber als sein enger Wegbegleiter dahin gelten.
Allerdings hat sich in den vergangenen zehn Jahren das Image des
Rock 'n' Roll geändert: Er ist zahmer geworden. "Früher
waren Drogen irgendwie selbstverständlich in der Branche.
Inzwischen haben sie nicht mehr die Bedeutung wie noch Anfang oder
Mitte der 90er-Jahre", berichtet ein Berliner, der halbberuflich
von seiner Rock- und Funkmusik lebt und der von sich sagt: "Ich
weiß, wovon ich rede." Den vornehmlich jungen Fans werde von
der Plattenindustrie verkauft, dass Rockmusik inzwischen wieder
eine "saubere Sache" sei - da passe das Bild von den schniefenden
oder schluckenden Stars nicht mehr, so der 30-Jährige. Das
bedeute nicht, dass Koks, Haschisch oder Pillen verschwunden
wären oder potenziell von Musikern weniger konsumiert werden:
Sie würden nur weniger offen benutzt. Und ab einem gewissen
kommerziellen Erfolg sorge das professionelle Umfeld einer Band mit
dem Hinweis: "Nun feiert mal schön", auch weiterhin
dafür, dass beispielsweise Kokain griffbereit sei.
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