Jens Kalke
Mehr Macht den Ländern
Die Übermacht des Bundes ist für viele
ungelöste Fragen der Drogenpolitik verantwortlich
Über die Drogenpolitik wurde in der (gescheiterten)
Föderalismuskommission nicht gesprochen. Kein einziger Satz
wurde darüber verloren, wenn man die veröffentlichten
Protokolle studiert. Dabei wäre dieses - zugegeben eher
randständige - Politikfeld eine geeignete Materie gewesen, den
Ländern beziehungsweise Landtagen mehr Kompetenzen als bisher
einzuräumen.
In der Drogenpolitik bestimmt der Bund, wo es lang geht. Die
Bedeutung der Länder beschränkt sich auf einige
Gestaltungsspielräume in den Bereichen Prävention und
Hilfe. Im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) definiert der Bund
nicht nur den Strafrahmen für den Besitz von und den Handel
mit Drogen, sondern es finden sich dort auch Bestimmungen über
die Hilfen für Abhängige. Beispielsweise ist dort der
Charakter der Methadonbehandlung als "Therapie zweiter Wahl"
festgeschrieben. Diese Übermacht des Bundes ist eine der
wesentlichen Ursachen für den nach wie vor vorhandenen
Reformstau beziehungsweise die ungelösten Fragen in der
Drogenpolitik. An erster Stelle sei hier der Ausbau des
Hilfesystems genannt: Kann mit einer - bislang aufgrund der
Bundespolitik nicht möglichen - niedrigschwelligen
Methadonvergabe, der gezielten Förderung von
Spritzentauschprogrammen in Gefängnissen oder dem Auflegen von
sekundärpräventiven "Drug-Checking-Programmen" das
Spektrum von Hilfen sinnvoll erweitert werden? Auch bei der ewigen
Streitfrage, wie Politik rational mit dem Cannabiskonsum verfahren
soll (Legalisierung, Entkriminalisierung oder Festhalten am
Verbot), wären wir einen Schritt weiter, wenn Modellprojekte,
wie das Schleswig-Holsteinische Abgabemodell "Cannabis in
Apotheken", durchgeführt werden könnten.
Um den Reformstau zu beseitigen, muss der Föderalismus in
der Drogenpolitik gestärkt werden. Die Länder
müssten mehr Möglichkeiten erhalten, ihre eigenen, den
regionalen Bedingungen angemessenen Antworten auf das
"Drogenproblem" zu geben. Dies könnte auch das - zeitlich und
räumlich begrenzte - Erproben von neuen Hilfeformen sein.
Versuch macht klug! Dadurch könnte es zu einem "föderalen
Wettbewerb" um die bessere Drogenpolitik kommen und sich eine
zeitgemäße und bedarfsorientierte Drogenpolitik
durchsetzen.
In der Schweiz hat sich über die Kantone (den
Bundesländern vergleichbar) ein modernes Drogenhilfesystem
entwickelt. Schon seit den 70er-Jahren wird bei den Eidgenossen
Vielfalt in der Suchthilfe groß geschrieben: Das, was den
Abhängigen hilft, konnte sich über die Gliedstaaten
etablieren. Auch die beabsichtigte - zurzeit jedoch aufs Eis
gelegte - Teil-Legalisierung von Cannabis fand dort ihren
Ausgangspunkt. Ferner sei Australien genannt: Hier hat sich die
Methadonbehandlung über die regionalen Gebietseinheiten
etabliert. Das Gegenbeispiel ist Frankreich: In dem
zentralistischen Staat wurde jahrzehntelang eine einseitig
abstinenzorientierte und repressive Drogenpolitik betrieben.
Allerdings kann es auch zu einem Paradigmenwechsel auf zentraler
Ebene kommen; dann sind die Effekte flächendeckend. In
Politikfeldern wie der Drogenpolitik, in denen sich
überzeugungs- und verantwortungsethische Konfrontationslinien
überschneiden, ist jedoch die politische Blockade
wahrscheinlicher als ein "Durchbrucheffekt" auf der zentralen
Ebene.
Die Länder selbst fordern schon seit längerer Zeit
mehr Rechte in der Drogenpolitik. So zielte ein Vorschlag der
Gesundheitsminister-Konferenz (GMK) von 1998 darauf, die
Länderkompetenzen in der Suchthilfe und Drogenpolitik zu
stärken - vor allem in den Bereichen Prävention,
Behandlung und Rehabilitation. Fünf Jahre später
deklarierte die GMK erneut ihre primäre Zuständigkeit
für die Ausgestaltung und Umsetzung suchtpolitischer
Maßnahmen, insbesondere in den Bereichen Prävention und
Hilfen. Und der schleswig-holsteinische Landtag hat vor einiger
Zeit gefordert, dass den Bundesländern durch eine
Änderung des Betäubungsmittelrechts das Recht zur
Durchführung eigener Modellversuche eingeräumt werden
sollte.
In anderen Ländern der Europäischen Union gibt es
ähnliche Tendenzen: Kompetenzen der Suchthilfe und
Drogenbekämpfung werden zunehmend von der zentralen auf die
regionale oder lokale Ebene verlagert. In Dänemark wurden
beispielsweise die Regionen mit zusätzlichen Befugnissen
ausgestattet; in Österreich die Koordination der Suchthilfe in
den neun Bundesländern gestärkt.
Was ist von diesem Trend zu halten? In der Politik der
Drogenhilfe ist föderativer Wettbewerb zu begrüßen,
denn er ist innovativ: Neue Hilfsangebote können erprobt und
damit die Vielfalt in der Drogentherapie gestärkt werden.
Zudem kann den besonderen Situationen vor Ort Rechnung getragen
werden. Denn die Drogenprobleme in Stadtstaaten und Ballungszentren
wie Hamburg oder Frankfurt sind anders gelagert als in
Flächenländern wie Baden-Württemberg oder
Mecklenburg-Vorpommern.
Möglicherweise würde mehr Eigenständigkeit der
Länder auch dazu beitragen, die immer noch ideologisierte
drogenpolitische Kontroverse zu entspannen, wenn unterschiedliche
Lösungen in strittigen Fragen möglich wären, die
sich dann im föderativen Wettbewerb bewähren
könnten. Gerade dort, wo es im modernen Staat um mehr geht als
um rechtliche Regulierung und finanzielle Zuteilung, erscheint die
politische Gestaltung durch die Länder aufgrund deren
größerer Nähe zu den Bürgern sinnvoll. Auch die
Beteiligung der Betroffenen könnte bei einem drogenpolitischen
Kompetenzgewinn der Länder verbessert werden: durch eine
leichtere Überschaubarkeit der Zuständigkeiten und
direkteren Kontakt zu den politischen
Entscheidungsträgern.
Aber spricht nicht das Sozialstaatsprinzip gegen eine
Föderalisierung der Drogenhilfepolitik? Eine ernstzunehmende
Kritik könnte lauten: Es stelle einen Verstoß gegen die
Chancengleichheit von Drogenabhängigen dar, wenn ein
Suchtkranker beispielsweise in Bayern andere
Behandlungsmöglichkeiten hätte als ein Betroffener in
Hamburg - insbesondere da drogenabhängige Menschen meist nicht
für eine Therapie oder ein Beratungsangebot einfach das
Bundesland wechseln könnten und bestimmte Leistungen
häufig an den Wohnsitz der Hilfesuchenden gekoppelt sind.
Hier zeigen sich die Grenzen föderalistischer Politik in
diesem Land. Extreme Abweichungen zwischen den Bundesländern
müssten in der Drogenhilfe in jedem Fall vermieden werden. Das
Instrument hierfür heißt Rahmengesetzgebung: Der Bund
setzt einen Rahmen, mit dem mehr Modellversuche ermöglicht und
die landespolitischen Spielräume in den Bereichen
Prävention, Hilfe und Therapie erweitert werden. In einem
solchen Gesetz könnte beispielsweise geregelt sein, dass die
Methadonbehandlung generell eine anerkannte und gleichberechtigte
Therapieform ist. Wie die Hilfe dann konkret organisiert wird,
fiele aber in die Zuständigkeit der Länder.
Die Grundlagen der Drogenhilfe und Suchtbehandlung sollten
deshalb in einem Rahmengesetz des Bundes ("Sucht- und
Drogenhilfegesetz") neu geregelt werden. Damit wäre eine
Novellierung des zentralistischen, extrem regulierenden
Betäubungsmittelgesetzes unumgänglich. Denn seine
einschränkenden Bestimmungen haben bislang die innovative
Weiterentwicklung therapeutischer und helfender Angebote auf der
Landesebene erheblich behindert.
Ein richtiger Schritt in diese Richtung ist die vom
Bundesgesundheitsministerium erarbeitete Regelung zur rechtlichen
Absicherung von Gesundheitsräumen: Ob diese
Hilfeeinrichtungen, in denen sich Abhängige unter Aufsicht und
hygienisch einwandfreien Bedingungen ihren "Schuss" setzen
können, eingerichtet werden oder nicht, entscheiden jetzt die
Länder allein.
Eine neue Nagelprobe für das Verhältnis zwischen Bund
und den Ländern in der Sucht- und Drogenpolitik könnte
das sich in der Planung befindliche Präventionsgesetz werden
(dieses betrifft den gesamten Gesundheitsbereich). Hier fordern die
Bundesländer selbstbewusst, dass es keine Detailvorgaben des
Bundes für die Umsetzung auf der Länderebene geben
sollte; diese sollten den Akteuren vor Ort entsprechend den
spezifischen Erfordernissen vorbehalten bleiben.
Einer föderativen Gestaltung der Drogenpolitik könnten
sich wohl auch diejenigen Bundesländer nur schwer verweigern,
die nach wie vor einen eher traditionellen Kurs fahren. Denn gerade
diese Länder - Bayern und Baden-Württemberg - singen
sonst das Hohelied des Föderalismus und fordern mehr
Eigenständigkeit. Auch wenn sie größere
Länderkompetenzen dazu nutzen könnten, in ihrem
Bundesland die Einführung neuer Hilfeangebote zunächst
abzulehnen - bei einer erfolgreichen Erprobung in anderen
Ländern kämen sie auf Dauer in Begründungsnot. Die
föderale Drogenpolitik könnte also diejenigen Hilfeformen
und Therapieangebote fördern, die sich in der Praxis
bewährt haben und deren Erfolg sich wissenschaftlich belegen
lässt. Ideologischen Argumenten würde sie den Boden
entziehen.
Dr. Jens Kalke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD,
Hamburg).
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