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Johanna Metz
Wenn sieben Bademäntel noch zuwenig
sind
Vor allem Frauen leiden unter
Kaufsucht
Einen außergewöhnlichen Sinn für
Farbkombinationen" hatte die Verkäuferin des
Modegeschäfts der jungen Frau gerade bestätigt.
Hocherfreut über dieses Kompliment verließ die
36-Jährige den Laden. Den ganzen Nachmittag hatte sie in den
Boutiquen des Einkaufszentrums gestöbert und viel Geld
ausgegeben, leider, denn das schlechte Gewissen darüber begann
ihre Freude schon merklich zu dämpfen. Doch dem Drang, etwas
kaufen zu müssen, hatte Frau N. entgegen aller Vernunft nicht
widerstehen können. Sie ging oft einkaufen. Besonders wenn sie
sich zu Hause einsam fühlte, hellte die Tour durch Shops und
Schaufenster ihre Stimmung auf und milderte wenigstens zeitweise
ihre Konzentrations- und Schlafstörungen. In den
Geschäften nahm man sich Zeit für sie, denn
schließlich war sie das, was man eine "gute Kundin" nennt:
Immer an der neuesten Mode interessiert, nicht knauserig mit der
Kreditkarte.
Kaufsucht nennt man dieses zwanghafte, exzessive und
zweckentfremdete Kaufen, bei dem Menschen wie Frau N. immer
häufiger immer teuere Dinge erstehen, die sie gar nicht
brauchen oder, kaum zu Hause angekommen, samt Originalverpackung in
den Müll werfen. "Da kaufen manche den siebenten Bademantel",
ganz nach dem Motto, "ich kann Geld ausgeben, ich bin wer", sagt
Sabine Grüsser von der Interdisziplinären
Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB). Es gehe den Süchtigen
nicht um das gekaufte Produkt, betont die Medizinerin, sondern um
Aufmerksamkeit und Selbstbestätigung. Der Akt des Kaufens sei
ein Aufputschmittel, um aus einem als sinnlos empfundenen Alltag
auszubrechen, um eine innere Leere auszufüllen, aber auch um
Unruhegefühle und Ängste zu unterdrücken.
Schätzungsweise 1,1 Prozent der Bevölkerung sind davon
betroffen, den größten Anteil daran, nämlich 90
Prozent, haben Frauen. Aber auch etwa sechs Prozent der deutschen
Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren sind
kaufsüchtig. Und selbst die Menschen in den neuen
Bundesländern haben in rasender Geschwindigkeit die
Konsummuster des Westens übernommen. Das erklärt unter
anderem, warum die Tendenz zu krankhaftem Kaufverhalten in
Deutschland seit 15 Jahren kontinuierlich steigt.
Das Krankheitsbild aber taucht in den gängigen
Klassifikationssystemen des "International Classification of
Diseases" (ICD) wegen fehlender empirischer Untersuchungen noch
immer nicht als eigenständige Störung auf. Einheitliche
Behandlungskonzepte gibt es daher auch nicht. Ein viel
größeres Problem aber ist, dass Kaufsucht oft nicht als
Krankheit wahrgenommen wird - oder erst viel zu spät. Das hat
sicherlich mit der gewachsenen Bedeutung des Konsums in unserer
Wohlstandsgesellschaft zu tun. Denn der ist heutzutage weit mehr
als nur Mittel zum Zweck - er wird gesellschaftlich gebilligt, ja
sogar gewünscht. In der Werbung werden nicht umsonst positive
Symbole wie Belohnung, Selbständigkeit und Freiheit mit Konsum
assoziiert. Kaufsüchtige fallen in diesem Umfeld gar nicht
besonders auf, und wenn, sind sie gesellschaftlich weit weniger
exponiert als Menschen, die zum Beispiel drogenabhängig sind.
Doch Schulden, der Verlust des Arbeitsplatzes oder der sozialen
Bindungen als Folge der Krankheit sind keine Bagatellen. Frau N.
brauchte eine mehrmonatige Therapie, um ihre Kaufsucht zu
überwinden. Zuvor hatte sie den Überblick über ihre
Ausgaben gänzlich verloren, war nur noch ein
Nervenbündel. Irgendwann knallte ihr Mann ihr die
Kreditkartenabrechnungen auf den Tisch. Sie sei "geistig nicht
normal", habe er sie angeschrien. Am nächsten Tag suchten
beide eine Beratungsstelle auf.
Die Autorin ist Volontärin bei der Wochenzeitung "Das
Parlament".
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