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Johanna Metz
Nichts geht mehr: Spielsucht treibt viele
Menschen in den Ruin
Vor allem Automaten-Junkies spielen sich um ihre
Existenz
"Mit welcher Gier blicke ich auf den Spieltisch, wo die
Louisdore, die Friedrichsdore, die Taler umherliegen, wie blicke
ich auf die Stapel goldner Münzen, wenn sie unter der
Krücke des Croupiers auseinanderfallen. (...) Schon wenn ich
mich dem Spielsaal nähere und, noch zwei Zimmer von ihm
entfernt, das Klirren des Geldes höre, dass hingeschüttet
wird, packt es mich wie Krämpfe."
Als der russische Autor Fjodor Dostojewski diese Zeilen 1866 in
seinem Roman "Der Spieler" schrieb, hatte er beim Roulette bereits
sein ganzes Vermögen verspielt und reiste hoch verschuldet auf
der Flucht vor seinen Gläubigern durch halb Europa. Der
Literat litt unter Glücksspielsucht. Dem unwiderstehlichen
Drang zu spielen folgend, verprasste er bei seinen
Europaaufenthalten in den Casinos von Wiesbaden oder Bad Homburg
verlässlich die Vorschüsse seiner Verleger.
Wie er leiden auch heute viele Menschen unter dieser
Verhaltenssucht, mit steigender Tendenz. Die Deutsche Hauptstelle
für Suchtgefahren schätzt die Zahl der beratungs- und
behandlungsbedürftigen Spieler in Deutschland mittlerweile auf
90.000 bis 150.000, der Großteil davon ist männlich.
Über 80 Prozent der Betroffenen sind Automaten-Junkies, die
stundenlang vor so genannten "Slot Machines" oder anderen
Geldspielautomaten sitzen und sich Münze für Münze
an den Rand ihrer Existenz spielen. Inzwischen ist die Spielsucht
als eigenständiges Krankheitsbild innerhalb der psychischen
Störungen anerkannt. Nur Anlaufstellen und Therapieangebote
für die Kranken gibt es bislang kaum. Dabei sind die Folgen
der Sucht durchaus verheerend: Schuldgefühle,
Betrügereien, hohe Schulden und Depressionen bis hin zu
Selbstmordgedanken bestimmen das Leben der Betroffenen, nicht
selten steht am Ende einer im Schnitt fünf- bis
zehnjährigen Suchtkarriere der soziale und berufliche Abstieg.
"Die ruinieren sich spielend", sagt Sabine Grüsser von der
Interdisziplinären Suchtforschungsgruppe Berlin (ISFB). Viele
Spielsüchtige verschuldeten sich schnell, nähmen dann
Kredite auf oder pumpten Freunde an, um an Geld zu kommen.
In der ebenso fatalen wie irrationalen Annahme, "ein gutes
Händchen" zu haben und Spielergebnisse voraussagen zu
können, spielen die Süchtigen immer öfter mit immer
höheren Einsätzen. Bald setzen sie ohne mit der Wimper zu
zucken an mehreren Roulettetischen oder Spielautomaten
gleichzeitig. Suchtmediziner sprechen dann von Toleranzentwicklung.
Es kommt sogar zu Entzugserscheinungen wie Unruhegefühlen und
Schlafstörungen, wenn das so dringend benötigte
"Kickerleben" ausbleibt, denn auch bei den so genannten
stoffungebundenen Süchten werden dopamin- oder
opiatähnliche Stoffe im Gehirn freigesetzt. Sie sorgen
für eine anregende, euphorische Stimmung und nicht zuletzt
für ein gesteigertes Selbstwertgefühl.
Da setzt auch die Therapie an. Spielsüchtige lernen dort,
sich mit ihren Problemen offensiv auseinanderzusetzen, anstatt sie
"wegzuspielen". "Der Mensch will ins Gleichgewicht kommen",
erklärt Sabine Grüsser, und um dieses Gleichgewicht
abseits des Spieltisches wieder zu finden, muss der Süchtige
nach alternativen Entspannungsmethoden oder Belohnungsmomenten
suchen und lernen, sich wieder über einfachste Dinge, wie ein
Glas Wein oder einen Kinoabend, zu freuen.
Doch das ist ein langer Prozess. Dostojewski war erst nach acht
Jahren seine Spielsucht los - und sein Vermögen auch. "Der
Spieler" allerdings wäre ohne seine Krankheit wohl nie in 24
Tagen geschrieben worden, zwang ihn doch dieser Umstand, immer neue
Geldquellen zu erschließen. Wenigstens der Weltliteratur hat
der ewig klamme Geldbeutel Dostojewskis also nicht geschadet.
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