|
|
Oliver Tolmein
Gestohlener Rausch
Drogenkriminalität und
Strafrecht
Angefangen hatte es mit Haschisch, nach einigen
Jahren war der Angeklagte dann auf Heroin umgestiegen. Den teuren
Stoff finanzierte er durch den Diebstahl von Schallplatten. Nach
einer Jugendstrafe versuchte er erfolglos eine Therapie, wurde
erneut in Haft genommen. Nach dieser Entlassung stieg er auf
Alkohol um, in der Hoffnung so vom Heroin loszukommen. Auch dieser
Versuch scheiterte. Er verlor seine Arbeitsstelle und begann wieder
zu stehlen, um sich das Heroin kaufen und seine Miete bezahlen zu
können. Bei einem Einbruch in eine Gaststätte, wo er den
Inhalt der Kasse mitnehmen wollte, wurde er gefasst und vom
Schöffengericht zu 18 Monaten Haft verurteilt. Das Landgericht
bestätigte das Urteil.
Der Fall zeigt, wie eng miteinander verbunden
Straftaten und Sucht sind. In dem hier beschriebenen Verfahren hob
das Oberlandesgericht Köln die vom Landgericht verhängte
Freiheitsstrafe auf: "Das angefochtene Urteil ist
sachlich-rechtlich unvollständig, weil die Frage einer
drogenbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit des
Angeklagten nicht erörtert worden ist."
Im deutschen Strafrecht spielt die Schuld des
Täters eine herausragende Rolle. Paragraf 46 StGB macht sie
zur Grundlage für die Zumessung der Strafe. Was Schuld ist,
sagt das Strafgesetzbuch nicht. Es regelt allerdings, wann jemand
ohne Schuld handelt und wann die Schuldfähigkeit vermindert
ist. Ein wichtiges Anzeichen für eine verminderte oder gar
überhaupt nicht vorhandene Schuldfähigkeit sind
tiefgreifende Bewusstseinsstörungen oder krankhafte seelische
Störungen. Die wohl bekannteste Art schuldunfähig zu
sein, ist hochgradige Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Tat.
Allerdings werden hier auch die Grenzen des Schuldstrafrechts
deutscher Prägung deutlich: Wer sich nämlich in einen
Vollrausch versetzt und in diesem Zustand eine Straftat begeht,
für die er wegen Schuldunfähigkeit nicht bestraft werden
kann, wird dafür mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf
Jahren belangt. Damit will der Gesetzgeber auf die besondere
Gefährlichkeit des Vollrausches reagieren - gleichzeitig wird
die Strafbarkeit aber auch vor verlagert, weil es nicht hingenommen
werden soll, dass jemand straflos ausgeht, weil er sich selbst in
einen Zustand der Schuldunfähigkeit gebracht hat.
Verminderte Schuldfähigkeit?
Wie steht es um die Schuldfähigkeit von
Menschen, die drogenabhängig sind? Wie frei und damit
strafrechtlich verantwortlich handeln sie, wenn sie einbrechen und
stehlen um sich mit dem Erlös für ihre Beute die teuren
Suchtmittel kaufen zu können? Ist die
Beschaffungskriminalität nicht eher Folge ihrer
Suchtkrankheit, als strafwürdiges Tun? Und umgekehrt:
Ließe sich nicht durch eine Legalisierung von Drogen auch die
Beschaffungskriminalität wirkungsvoll
bekämpfen?
Drogenkriminalität hat für Polizei
und Justiz erhebliche Bedeutung. Das Bundeskriminalamt geht von
mehr als 230.000 Konsumenten harten Drogen in der Bundesrepublik
aus. Deren Einkommen und Vermögen kann allerdings nur zu einem
Bruchteil die Kosten der Sucht finanzieren. Nicht der ganze Rest
wird allerdings durch Beschaffungskriminalität gedeckt: Der
größere Teil der Drogen wird durch Teilnahme am
"Ameisenhandel" finanziert, etwa ein Drittel der Kosten der Sucht
bestreiten Süchtige durch Eigentums- und
Vermögensdelikte. Das Rauschgiftkomissariat Frankfurt am Main
rechnet mit fünf Straftaten, die ein Fixer täglich
begeht. In einem 1991 abgeschlossenen Forschungsprojekt, in dem 100
ausgewählte Heroinabhängige intensiv befragt wurden,
stellte sich heraus, dass allein diese Probanden in einem Jahr
52.000 Delikte begangen haben, die der mittelbaren
Beschaffungskriminalität zuzuordnen sind.
Die Rechtsprechung ist in Deutschland fast
nie bereit festzustellen, dass Drogenabhängigen die
Schuldfähigkeit fehle. Allenfalls zeigen sich die Gerichte
bereit, eine verminderte Schuldfähigkeit zuzugestehen. Der
Bundesgerichtshof hat zu diesem Thema in mehreren Entscheidungen
seit 1989 festgestellt, dass "die Abhängigkeit von
Betäubungsmitteln für sich alleine noch nicht eine
erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit begründet."
Abhängigkeit von Drogen führe nur ausnahmsweise zu einem
anderen Ergebnis, wenn "langjähriger
Betäubungsmittelgenuss zu schwersten
Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der
Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie
dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu
verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn das Delikt im
Zustand eines akuten Rauschs verübt wird." Diese
Rechtsprechung, die oft hart wirkt, ist jedenfalls nicht
willkürlich: Vor allem bei den Delikten der so genannten
"indirekten Beschaffungskriminalität", die nicht direkt zur
Droge führen, sondern die nur das Geld bringen, mit dem Drogen
später erworben werden können, ist oft einige Umsicht
erforderlich. Tatorte müssen ausgekundschaftet werden, die zur
Tat Entschlossenen müssen oftmals auf eine günstige
Gelegenheit warten, sie müssen Hindernisse überwinden -
mit der klassischen Vorstellung von Schuldunfähigkeit ist so
ein zielstrebiges Vorgehen kaum in Übereinstimmung zu bringen.
Darauf weist auch der Kriminologe Arthur Kreuzer hin, der
argumentiert, dass Beschaffungskriminalität meist "im
'subjektiven Normalzustand' eines Süchtigen" begangen werde.
In diesem Zustand befinde sich ein "angepasst dosierter
Opiodsüchtiger den größten Teil des Tages
über."
Alternativen
Allerdings ist für den Süchtigen
auch in den Momenten relativer Klarheit und Zielstrebigkeit die
Droge nicht einfach nur ein beliebiger Konsumgegenstand. So
umsichtig Täter auch bei der Planung der Einbrüche zur
Finanzierung ihres Drogenkonsums vorgehen mögen - sie bleiben
doch von ihrem Rauschmittel abhängig. Auch das planvolle
Vorgehen eines Süchtigen kann nicht darüber
hinwegtäuschen, dass auf mittlere und lange Sicht immer nur
ein Ziel beherrschend ist: wieder Drogen zu bekommen. Eine
ähnlich starke Triebkraft ist in vielen Fällen die Angst
des Drogenabhängigen vor den Entzugserscheinungen - die nach
Auffassung des Bundesgerichtshofes ebenfalls verminderte
Schuldfähigkeit begründen kann, aber nur wenn sie die
treibende Kraft für die konkrete Straftat war. Werrner Theune,
früher selbst Richter am Bundesgerichtshof resümiert
angesichts dieses Kurses des obersten deutschen Strafgerichts in
einem Aufsatz: "Die Rechtsprechung scheint nach wie vor eher von
generalpräventiven Überlegungen als vom Schuldprinzip
geprägt zu sein."
Immerhin hält das Strafrecht auch noch
andere Instrumente bereit, um auf Delikte Drogenabhängiger
reagieren zu können. Im allgemeinen Strafrecht besteht die
Möglichkeit, Süchtige, die voraussichtlich weitere
Straftaten begehen werden, in einer Entziehungsanstalt
unterzubringen. Da diese Maßregel auf eine Zwangstherapie
hinausläuft wird sie vielfach auch kritisch beurteilt. Das
Gesetz selbst verbietet die Anordnung der Unterbringung, wenn der
Entzug von vornherein aussichtslos erscheint. Viele Experten gehen
allerdings davon aus, dass diese Zwangsmaßnahme gerade bei
Drogenabhängigen Therapiemotivation erzeugen und damit der
Ausgangspunkt für eine später erfolgende freiwillige
Therapie sein kann. Um zu verhindern, dass eine solche
Therapiebereitschaft durch die Haft zerstört wird, schafft der
Paragraf 35 des Betäubungsmittel-Gesetzes die
Möglichkeit, die Vollstreck-ung der Strafe, eines Strafrestes
oder der Maßregel der Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre
zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner
Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden
Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen,
und deren Beginn gewährleistet ist. Die Zeit der Therapie kann
dann auf die Strafe angerechnet werden, so dass die Chancen hoch
sind, dass nach erfolgreicher Beendigung eines solchen Entzugs auch
keine weitere Haftzeit mehr verbüßt werden
muss.
Die so geschaffenen Möglichkeiten, auch
mit Hilfe des Strafrechts im Einzelfall angemessen auf die Melange
von Rechtsverstößen und Sucht zu reagieren, ändern
nichts daran, dass der Versuch, Drogenkonsum und in diesem
Zusammenhang zu Tage tretende Kriminalität durch Strafrecht zu
bekämpfen insgesamt nicht erfolgreich ist. In der
rechtswissenschaftlichen und kriminologischen Debatte wird deswegen
immer wieder gefordert, an die Stelle des strafbewehrten Verbots
von Drogenkonsum eine überwachte Duldung zu setzen, in der
Hoffnung, dass in der Folge Drogenabhängige nicht in die
Illegalität abgedrängt werden und so eine bessere
gesellschaftliche Steuerung des Drogenkonsums möglich und
insbesondere die Beschaffungskriminalität wirksam vermindert
wird.
Dr. Oliver Tolmein arbeitet als Journalist
und Jurist in Hamburg.
Zurück zur Übersicht
|