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Kristin Kupfer
Das schwarze Pferd der Demokratie ist ein
Tiger
Den Geist der Freiheit wird China so schnell
nicht wieder los
Wieder einmal hat die chinesische Führung
eine Herausforderung gemeistert. Als verdienstvollen Genossen mit
schweren Fehlern hat Beijing den beliebten Ex-Parteichef Zhao
Ziyang auf dem Staatsfriedhof verabschiedet. Größere
politische Proteste fanden so weder Raum noch Anlass. Das
kommunistische Regime wird so schnell nicht fallen. Aber auf ewig
kann es den Geist der Demokratie nicht begraben. Chinas
Bevölkerung kennt schon jetzt Wege, ihn lebendig zu
halten.
Der Tod Zhao Ziyangs hat der kommunistischen
Führung erneut ihr Dilemma offenbart: wie das Notwendige tun,
ohne die Kontrolle zu verlieren? Im Klartext: wie begraben wir
einen beliebten, aber von uns gestürzten Sekretär, der
1989 öffentlich mit den politischen Forderungen der Studenten
sympathisierte? Die chinesische Führung konnte sich nur
für eine streng kontrollierte, halb-öffentliche
Beerdigung entscheiden. Kein offizielles Zeichen des Respekts
hätte Pekings Angst vor dem Geist der Demokratie offen gelegt
und das Unverständnis der Bevölkerung auf sich gezogen.
Aber auch wenn eine Protestbewegung wie im Jahre 1989,
ausgelöst durch den Tod des gestürzten KP-Chefs Hu
Yaobang unwahrscheinlich schien, so lag ein Zhao rehabilitierendes
Staatsbegräbnis außerhalb von Pekings Handlungsoptionen.
Die chinesische Führung wollte und will kein Signal für
eine Neubewertung politischer Forderungen senden. Angesichts des
Dilemmas der Regierung ist Zhaos Person dennoch zu einem Symbol
für die Chancen und Grenzen von Demokratie in China geworden.
Die Zeichen der Zeit sind oft merkwürdig.
Je kränker Zhao wurde, desto mehr
entzauberte Staats- und Parteichef Hu Jintao die mit ihm
verbundenen Erwartungen politischer Liberalisierung. Im vergangenen
Jahr hat er in puncto Festnahmen von Internetaktivisten,
Schließungen von Zeitungen und die Ausschaltung von kritischen
Stimmen "öffentlicher Intellektueller" den als politischen
Hardliner geltenden Vorgänger Jiang Zemin übertroffen.
Auch gegenüber Taiwan schlägt Hu weiterhin harte
Töne an: "Separatistische Tendenzen" duldet China nicht,
deutlich niedergelegt in dem Weißbuch zur nationalen
Verteidigung 2004. Dass der 54-jährige das Militär fest
im Griff hat, demonstrierte Hu durch die Begleitung hochrangiger
Generäle zur Jahrestagsfeier der Rückgabe Macaos im
Dezember vergangenen Jahres. Erst kurz zuvor hatte Hu den
Parteiposten des Militärchefs von Jiang Zemin
übernommen.
Überraschend sind die skizzierten
Entwicklungen nicht. Der als "schwarzes Pferd der Demokratie"
gehandelte Hu - im Chinesischen ein Synonym für
Überraschungssieger - hat sich als Tiger entpuppt. Zu
große Sprünge hatten manche Beobachter von der neuen
chinesischen Führung erwartet, die Beharrungskraft des Systems
und den Machtwillen der Partei unterschätzt. Denn der frisch
eingesetzte Hu und sein Regierungschef Wen Jiabao hatten
verheißungsvoll losgelegt: für die Vertuschung der
SARS-Krise nicht direkt verantwortlich, bekämpfte die
chinesische Führung die Lungenkrankheit mit Transparenz und
Volksnähe. Sie verliehen den "schwachen Gruppen" der Bauern
und Migranten eine Stimme, setzten auf nachhaltige Entwicklung und
Reduzierung sozialer Disparitäten. Die Aufnahme des Schutzes
von Menschenrechten und Privatbesitz in die Verfassung galt als
Beweis für Hus politischen Parolen, "vom Volk ausgehend" (yi
min wei ben) und - spitzfindig übersetzt - "mit Recht
regieren" (yi fa zhi guo). Als leere Versprechungen stehen nun die
einst gelobten neuen Akzente der chinesischen Führung im
Lichte von Zhaos Begräbnis dar. Und doch sind es mehr als
Worthülsen. Denn sie zeigen, dass das kommunistische Regime
die Notwendigkeit sich zu ändern ernst nimmt. Diese Einsicht
erwächst aus einer auch zunehmend öffentlich
eingestandenen Erkenntnis, dass Chinas einseitiger
Modernisierungsprozess der 1990er Jahre sozialen Unfrieden mit sich
gebracht hat. "Vom Volk ausgehend" muss die Regierung ihre Macht
stabilisieren, Wirtschaftswachstum allein ist keine
Legitimationsbasis mehr. Deshalb hat Hu Jintao den chinesischen
Neujahrsbeginn am 9. Februar in der Armutsregion Guizhou verbracht.
Einem bemerkenswerten Gang nach Canossa kommt der Besuch von
Regierungschef Wen Jiaobao bei Aidskranken in der Provinz Henan
gleich. Zu lange hatte die chinesische Führung dort jede
Unterstützung verweigert, moralische Bedenken über
sexuelle Aufklärung gestellt und die gesellschaftliche
Stigmatisierung der Betroffenen zugelassen. Beijing muss seine
Politik dem Druck von unten anpassen.
Der Zwang zum Wandel um der Macht willen
offenbart zunehmend die Widersprüche und Grenzen
systemimmanenter Reformen. Beispiel 1: Um lokalen Protesten und
Korruption vorzubeugen, sollen nun auch Dorfparteisekretäre
dem Willen des Volkes verantwortlich sein. Aber zuallererst will
Beijing sie auf die Linie der Zentrale und der Partei
einschwören. Der Zielkonflikt ist vorprogrammiert: durch die
Rezentralisierung des Steuersystems sinken die Einnahmen der
lokalen Regierung weiter, während der Druck von oben zur
Zielerfüllung steigt. Laut einer Studie von Zhao Shukai,
Mitglied des chinesischen Staatsrates, sind 80 Prozent der
Lokalregierungen derart tief verschuldet, dass sie ihre Mitarbeiter
nicht bezahlen können. Illegale Einnahmequellen scheinen aus
Sicht der Lokalkader ein notwendiger und bequemer Ausweg. Beispiel
2: Korruptionsbekämpfung durch "innerparteiliche Demokratie".
"Machtausübung ohne Beschränkungen oder Überwachung
führt zwangsläufig zu Machtmissbrauch und Korruption",
sagte Hu Jintao im September letzten Jahres. Da die Partei keine
Macht abgeben will, kann sie sich selbst überwachen und weiter
verlieren im Kampf gegen die Korruption. Eine Unterordnung der
Partei unter die Verfassung oder eine auch von Zhao Ziyang
angedachte Trennung von Staat und Partei würde den Untergang
des jetzigen kommunistischen Regimes bedeuten. Umso erstaunlicher
sind die jüngsten Aktivitäten des staatlichen
Umweltbüros zu bewerten. Der als Querulant bekannte Chef Pan
Yue ließ nicht nur drei Dutzend lokale Infrastruktur- und
Energieprojekte stoppen, sondern zieht nun auch offiziell gegen das
Projekt am Drei-Schluchten-Damm zu Felde, dem nationalen wie
internationalen Prestigeobjekt der chinesischen Führung. Das
Engagement des Umweltbüros geschieht in einer dynamischen
Allianz mit Nichtregierungsorganisationen. Auch wenn deren Einfluss
in anderen Politikbereichen marginal ist, sind ihre
Aktivitäten Ausdruck eines wachsenden politischen
Selbstbewusstseins. Durch clevere Eigeninitiativen erhöht die
Bevölkerung den Anpassungsdruck auf Peking. Sie nutzt das
politische System auf neue und kreative Weise - auch gegen die
chinesische Führung.
Bewohner von zum Abbruch bestimmten
Häusern marschieren mit der Verfassung unterm Arm gegen
Behörden, Bauern besorgen sich Anordnungen der
Zentralregierung und setzen damit lokale Kader unter Druck. Sie
pochen auf Versammlungsfreiheit für autonome
Bauernverbände. Die Internetgemeinde fordert bei Vertuschungen
ihr "Recht auf Wissen" ein und fragt, warum nur parteiintern
Demokratie praktiziert werden kann. Rechtswissenschaftler fordern
Untersuchungsausschüsse und schreiben Petitionen an den
nationalen Volkskongress.
Dieses kreative Denken reicht allerdings
längst bis in die eigene Reihen der Partei . In der
"Volkszeitung" attackiertt Shao Jingjun, in jungen Jahren
erbarmungsloser Kritiker der "Viererbande" um Mao Zedongs Frau
Jiang Qing, die mangelnde Bereitschaft mancher Führungskader,
eine gleichberechtigte Diskussion von unterschiedlichen Meinungen
in der Partei zu fördern. Der Präsident des Obersten
Gerichtshofs, Xiao Yang, betonte jüngst in einem Aufsatz der
Parteizeitschrift "Rote Fahne" die Wichtigkeit von
Parteiaktivitäten "unter und nicht über der Verfassung
und den Gesetzen".
Solche Stimmen waren in der Anfangszeit der
Partei an der Tagesordnung: "Wie kann Demokratie möglich sein,
ohne die Einparteienherrschaft zu beenden. Gebt die Rechte des
Volkes dem Volk zurück", schrieb die Xinhua Daily, damaliges
Parteiblatt am 27. September 1945, als die kommunistische Bewegung
gegen die Regierung der Nationalisten kämpfte. Und schon 1939
verkündete das Sprachrohr der Partei: "Sie [die Nationalisten]
wollen Demokratie erst praktizieren, wenn die Chinesen so gebildet
und wissend sind wie in den Demokratien Europas und Amerikas (...).
Aber nur unter einem demokratischen System kann das Volk eine
bessere Ausbildung genießen." Damals wie heute ist die
chinesische Bevölkerung reif, eine Demokratie nach ihren
eigenen Vorstellungen zu gestalten.
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