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Michael Hyngar
Diskussion über die NATO entfacht
41. Münchner Konferenz für
Sicherheitspolitik
Es ist schon zu einem festen Ritual geworden, jedes Jahr, Anfang
Februar. Immer dann kommt in München die weltweite Elite von
Sicherheitsexperten zusammen: Botschafter und Berater,
Militärstrategen und Minister. Inzwischen ist München
für sie das, was für Wirtschaftsexperten das
jährliche Treffen im schweizerischen Davos ist. Frei von
protokollarischen Zwängen kann dann zwei Tage lang über
aktuelle sicherheitspolitische Themen diskutiert werden. Keine
Abschlusserklärung muss verfasst, kein gemeinsamer Standpunkt
erklärt werden.
Die Prominenz der Teilnehmer zeigt, wie wichtig für
Politiker inzwischen die jährliche Tagung in der Münchner
Innenstadt ist: Der russische Verteidigungsminister Sergej Iwanow
rühmte sich diesmal sogar damit, schon zum sechsten Mal in
Folge Teilnehmer der Sicherheitskonferenz gewesen zu sein. Und der
deutsche Außenminister Joschka Fischer ist ebenso Stammgast
wie der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Dieses
Mal wäre mehr Polit-Prominenz kaum vorstellbar gewesen:
Bundespräsident Horst Köhler hielt die
Eröffnungsrede, und mit Kofi Annan nahm zum ersten Mal ein
UN-Generalsekretär an dem Sicherheitstreffen teil.
Horst Teltschik, unter Helmut Kohl Kanzlerberater und seit 1999
Organisator der Veranstaltung, hatte der 41. Konferenz drei
Schwerpunkte in das Tagungsprogramm geschrieben: NATO, Naher Osten,
neue UNO.
Durch die Rede von Bundeskanzler Gerhard Schröder - die
wegen seiner Erkrankung von Verteidigungsminister Peter Struck
vorgetragen wurde - geriet die Konferenz am ersten Tag fast
unfreiwillig zu einer Veranstaltung über die Zukunft der NATO.
Mit Blick auf den Streit um die Irak-Politik der USA hatte
Schröder eine nüchterne Analyse des transatlantischen
Verteidigungsbündnisses geliefert. Sein Fazit: Die NATO sei
nicht mehr der primäre Ort, an dem die transatlantischen
Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und
koordinieren. Die Regierungen der Europäischen Union und der
Vereinigten Staaten sollten ein Expertengremium einberufen, das bis
Anfang 2006 den Staats- und Regierungschefs Ideen für eine
neue Organisationsform erarbeiten soll. Schröders Rede wurde
von vielen Konferenzteilnehmern als Angriff auf die NATO und
Versuch einer Schwächung der Institution gewertet.
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer widersprach der
Kanzleranalyse. Die Allianz wachse und gedeihe, ein Expertengremium
brauche man nicht. Angela Merkel, die für die Union in
München Perspektiven deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik skizzierte, warnte davor, die NATO zu einem
bloßen Reservebündnis zu degradieren.
Auch US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld widersprach
Schröder: Die NATO sei das erfolgreichste Bündnis in der
Geschichte der Menschheit. Sie habe große Erfolge im Kampf
gegen den Terror errungen. In Anlehnung an eine Äußerung
Winston Churchills über das atlantische Bündnis sagte er:
"Wenn wir zusammen arbeiten, ist nichts unmöglich". Doch
Rumsfeld machte deutlich, dass nicht immer alle Alliierten
zwangsläufig zusammenarbeiten müssen. Die USA würden
sich für ihre Einsätze auch in Zukunft wechselnde Partner
suchen, nach dem Motto: "the mission determines the coalition" -
der Auftrag bestimmt die Koalition.
Rumsfeld war der große Überraschungsgast der Tagung,
sein Kommen war bis zuletzt offen geblieben. Das lag wohl vor allem
an einer Anzeige wegen Kriegsverbrechen im Irak, die in Deutschland
gegen den Amerikaner vorliegt. Erst einen Tag vor der
Sicherheitskonferenz hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm
Ermittlungen gegen Rumsfeld abgelehnt - und so offenbar den Weg
für einen Deutschlandbesuch des amerikanischen
Verteidigungsministers frei gemacht. Rumsfeld setzte in
München die amerikanische Charmeoffensive fort, die
US-Außenministerin Condoleeza Rice bei ihrer Europareise
begonnen hatte. Erst lobte er ausdrücklich das Engagement der
Irak-Kriegsgegner Deutschland und Frankreich beim Wiederaufbau des
Landes, dann bezeichnete er zurückliegende, scharfe
Äußerungen von sich gegenüber Andersdenkenden als
"Old Rumsfeld". In Bezug auf den Begriff "Old Europe", mit dem
Rumsfeld im Streit um den Irak-Krieg Deutschland und Frankreich
tituliert hatte. Das löste zwar die Stimmung im Konferenzsaal
und trug ihm den Spitznamen "New Rumsfeld" ein, doch bei vielen
Nachfragen reagierte er scherzhaft, ohne klare inhaltliche
Antworten zu geben.
Auch in der Iran-Frage legte sich Rumsfeld nicht fest,
möglicherweise, um nicht neue Gräben zwischen den USA und
Europa aufzureißen. Eine diplomatische Lösung des
Konflikts um das iranische Atomprogramm sei möglich - und das
wollten schließlich doch auch die Europäer, so
Rumsfeld.
Bestärkt wurde diese Hoffnung auch von Gholamali Khoshroo,
dem stellvertretenden iranischen Außenminister. Er betonte,
dass seine Regierung die internationalen Bedenken über das
Atomprogramm sehr ernst nehme und den Sorgen der Welt begegnen
wolle.
Als gute Nachricht werteten die mehr als 250 Konferenzteilnehmer
auch die Entwicklung im Nahen Osten. Nach einem Friedensabkommen
zwischen Israel und den Palästinensern sei sogar ein Einsatz
der NATO in der Region vorstellbar. Man müsse schon jetzt
über ein Engagement nachdenken, forderte
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer. Und
Verteidigungsminister Struck erklärte, dass Deutschland bei so
einer Mission Verantwortung übernehmen wolle.
Prominentester Gast der Sicherheitskonferenz war in diesem Jahr
UN-Generalsekretär Kofi Annan. Er wurde mit einer
Friedensmedaille geehrt. Die Auszeichung, die erstmals vergeben
wurde, war vom Königlich Bayerischen Hofgoldschmied Heiden im
Auftrag der Konferenz angefertigt worden.
Annan nutzte seinen Auftritt, um für die bevorstehende
Reform der Vereinten Nationen zu werben - die für ihn - sollte
sie gelingen, die "weitreichendste Reform des internationalen
Sicherheitssystems seit der Gründung der Vereinten Nationen
1945" bedeutet. Der Generalsekretär präsentierte die
Empfehlungen einer 16-köpfigen Reformkommission, die bereits
im kommenden Monat den Mitgliedsstaaten vorgelegt werden. Demnach
sollen die Vereinten Nationen im Kampf gegen Terror und
Bürgerkriege gestärkt werden. Dabei solle in Zukunft auch
der Einsatz von Gewalt möglich sein. Wenn ein Staat seine
Bürger nicht vor Völkermord oder Massenvernichtungswaffen
schütze, müsse das der UN-Sicherheitsrat übernehmen.
Doch zur Frage, wie dieses wichtigste Entscheidungsgremium in
Zukunft zusammengesetzt sein soll, schwieg Annan. Trotzdem erhielt
er von allen Seiten Beifall für seine ambitionierten
Pläne - auch von amerikanischer Seite, vorgetragen von
US-Senatorin Hillary Clinton, die erstmals in Deutschland zu
außenpolitischen Themen sprach. Clinton setzte sich
nachdrücklich für eine Stärkung der UNO ein: Amerika
habe durch eine effektivere UNO mehr zu gewinnen als zu
verlieren.
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