Mona Naggar
Arabiens goldenes Zeitalter
Aufschwung und Niedergang einer herausragenden
Kultur
Wie wohltuend, in Zeiten des islamistischen Terrors und inmitten
der Diskussion um die Integrationsfähigkeit von Muslimen in
Europa ein Buch über die große Zeit der islamischen
Kultur zu lesen und über den enormen Wissenstransfer, der im
Mittelalter von Süd nach Nord stattfand! Serauky nennt diese
Zeit "die glücklichste Phase" der arabischen Kultur. Er
bezeichnet zwar die Kultur als "arabisch", aber man muss sich die
Gesellschaften im islamischen Mittelalter als ein ethnisches und
religiöses Gemisch vorstellen. Die Herrscher sind muslimischen
Glaubens, die Sprache der Wissenschaft arabisch. Die Akteure sind
unter anderem Araber, Iraner, Berber oder Bewohner des
Zweistromlandes.
"Die glücklichste Phase" erstreckt sich vom 9. bis zum 11.
Jahrhundert. Bagdad, die Hauptstadt der Abbasiden-Dynastie, ist das
intellektuelle Zentrum jener Zeit und liegt im Schnittpunkt des
Welthandels. Die Übernahme der Papierherstellung von einem
chinesischen Kriegsgefangenen Mitte des 8. Jahrhunderts kommt zur
rechten Zeit. Der Bedarf an Schreibmaterial in dieser Zeit der
geistigen Produktion ist groß. Die Herstellung des Papiers
wird technologisch verfeinert und löst endgültig
Pergament und Häute ab. Über Sizilien und Andalusien
findet das Papier später seinen Weg nach Europa.
Im Haus der Weisheit
Der Aufbau von Bibliotheken ist ein weiteres Merkmal der
Blüte jener Epoche. Eine der bekanntesten Bibliotheken ist das
vom Kalifen al-Mamun - er regierte von 813 bis 833 - in Auftrag
gegebene "Haus der Weisheit". Dort ist auch eine
Übersetzungsabteilung untergebracht, die altgriechische Texte
ins Arabische übersetzt. Werke von Hippokrates, Galen,
Ptolemäus oder Aristoteles werden so auf arabisch
zugänglich. Auch in anderen Städten des islamischen
Reiches wie in Tripolis, Mossul oder in Kairo entstehen beachtliche
Bibliotheken, dazu unzählige private
Büchersammlungen.
Die Übersetzung grundlegender Werke aus dem antiken
Griechenland und aus Indien dienen als Basis für
Weiterentwicklungen in unterschiedlichen Disziplinen. Ein Beispiel
ist die Arbeit des Mathematikers und Astronoms al-Khawarizmi. Er
arbeitete im "Haus der Weisheit" in Bagdad; er hat die Dezimal-Idee
entwickelt und diese mit den indischen Zahlen verbunden. Er
führte die Null ein.
Al-Khawarizmi überarbeitete die astronomischen Tafeln
"Sindhind" und die Tafeln des Ptolemäus. Einen Begriff aus
seinem Buch "Mukhtasar min hisab al-djabr wa l-muqabala" benutzen
wir bis heute: Aus Djabr ist Algebra geworden, und der Name des
Gelehrten lebt weiter in der Bezeichnung des Rechnungsverfahrens
Algorithmus. In seinem Werk "Die Gestalt der Erde" setzt sich
al-Khawarizmi von griechischen Vorbildern ab und unterteilt die
damals bekannte Welt nach Klimazonen, - eine Vorstellung, die bis
heute Verwendung findet.
Eine weitere herausragende Gelehrtenpersönlichkeit ist
al-Battani. Seine astronomischen Tafeln werden ab Mitte des 13.
Jahrhunderts mehrmals ins Lateinische übersetzt. In Europa
wird er unter dem Namen Albatanius oder Albategni bekannt.
Al-Battani berechnet zum ersten Mal die wahre und die mittlere
Bewegung der Sonne und die Dauer des Sonnenjahres. Die
wissenschaftliche Leistung dieses Gelehrten bleibt in der
islamischen Welt ohne Wirkung. Erst in Europa kann sie sich
entfalten. Das gilt nicht nur für das Werk von al-Battani.
Serauky weist darauf hin, dass es in der arabischen Welt keine
eigenständige Wissenschafts- und Technikentwicklung gegeben
hat. Die Gründe dafür führt er leider nicht an.
Angesichts dieser wissenschaftlichen Leistungen der
mittelalterlichen islamischen Kultur fragt der Leser
zwangsläufig nach den Ursachen für den Niedergang.
Serauky macht interne und externe Gründe aus. Bereits für
das 12. Jahrhundert stellt er eine Stagnation fest, die sich in
einer Flut von Kommentaren und Superkommentaren bemerkbar macht.
1096 beginnt der erste Kreuzzug zur Eroberung Jerusalems. 1236
ergibt sich Cordoba, die Hauptstadt des spanischen Kalifats, den
Kastiliern. Und 1258 fällt Bagdad in die Hände der
Mongolen.
Eberhard Serauky
Im Glanze Allahs.
Die arabische Kulturwelt und Europa.
be.bra Verlag, Berlin 2004; 216 S., 24,50 Euro
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