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Gerlindt Schaidt
Einstimmigkeit bei den Diäten
Nordrhein-Westfalen: Reform mit
Vorbildcharakter
Als erstes Bundesland wird Nordrhein-Westfalen
in einer großen, bislang einzigartigen Diätenreform die
Abgeordnetenbezüge grundlegend neu regeln. Ziel der Neufassung
ist es, die Parlamentarierbezahlung künftig für jedermann
durchschaubar zu machen. Gleichzeitig bringt die Reform eine
Gleichbehandlung der Landtagsabgeordneten mit allen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Außerdem wird für
eine angemessene Bezahlung ohne staatliche Altersentschädigung
gesorgt.
Nach einem Beschluss der vier im
Düsseldorfer Parlament vertretenen Fraktionen wird die
Diätenreform noch vor der Landtagswahl am 22. Mai 2005 im
Plenum verabschiedet und gilt - mit Ausnahme einiger
Sonderregelungen für die Altersentschädigung
langjähriger Parlamentarier - bereits in der neuen, 14.
Legislaturperiode. "Damit übernimmt Nordrhein-Westfalen in der
Diätenregelung eine Vorreiterrolle, die in der
Bevölkerung breite Zustimmung findet", lobte der scheidende
Landtagspräsident Ulrich Schmidt (SPD) das Reformpaket,
für das er sich jahrelang eingesetzt hatte. Der
SPD-Fraktionschef Edgar Moron unterstrich den "stilbildenden
Charakter für andere Länderparlamente". Die grüne
Fraktionschefin Sylvia Löhrmann sprach von einer "kleinen
Revolution". Und der Politikwissenschaftler Professor Ulrich von
Alemann an der Düsseldorfer Heinrich-Heine Universität
erklärte sogar: "Deutschland schaut auf Düsseldorf in
diesen Tagen."
Nach der Gesetzesnovelle werden die zu
versteuernden Bezüge der Abgeordneten von derzeit rund 4.800
auf künftig 9.500 Euro im Monat fast verdoppelt. Im Gegenzug
entfallen alle Pauschalen sowie die bisherige staatliche
Altersvorsorge. Dafür müssen die Parlamentarier
künftig allein aufkommen. Auch die Übergangsgelder werden
zusammengestrichen. Das bedeutet, dass sich die Abgeordneten
künftig schlechter stellen als bisher. Nach geltender Regelung
kam ein Landtagsparlamentarier durchschnittlich auf 10.000 bis
12.000 Euro. Abgeordnete, die aus dem Landtag ausschieden, bekamen
bisher ein Übergangsgeld, das sich nach der Dauer der
Zugehörigkeit bemaß. Wer ein Jahr lang Abgeordneter war,
erhielt drei Monate lang eine Grunddiät in Höhe von 4.803
Euro. Für jedes weitere Abgeordnetenjahr verlängerte sich
die Bezugsdauer um einen weiteren Monat. Maximal gab es bis zu zwei
Jahre lang Übergangsgeld. Künftig werden ausscheidende
Abgeordnete drei Monate Übergangsgeld erhalten und zwar die
Hälfte ihrer Monatsdiät. Die Altersentschädigung
richtete sich bislang nach Lebensalter und Dauer des Mandats.
Eigene Beiträge mussten die Abgeordneten überhaupt nicht
zahlen. Wer acht Jahre lang Abgeordneter war, erhielt vom 60.
Lebensjahr an 1.586 Euro pro Monat. Für jedes weitere Jahr im
Landtag stieg die Pension bis maximal 3.605 Euro. Nach zehn Jahren
im Landesparlament kamen die Abgeordneten bereits mit 55 Jahren
ihre Altersbezüge. Die Reform sieht vor, dass die Abgeordneten
künftig 1.500 Euro in ein Versorgungswerk einzahlen, aus dem
sie später ihre Abgeordnetenpensionen beziehen, die sehr viel
bescheidener ausfallen als die üppigen bisherigen
Gelder.
Bis zur Beschlussfassung im Düsseldorfer
Landtag hat das Reformpaket einen langen Weg zurückgelegt.
Bereits im März 2001 hatte der Landtag auf Antrag aller
Fraktionen eine Kommission zu Fragen des Abgeordnetenrechts
eingesetzt. Diese so genannte Diätenkommission unter Leitung
des ehemaligen Vizepräsidenten des Bundestages, Helmuth Becker
(SPD), legte ihren Abschlussbericht am 7. März 2002 vor.
Danach beschäftigte sich eine Arbeitsgruppe des
Ältestenrates des Landtags mit der parlamentarischen Umsetzung
der erarbeiteten Grundlagen. Anschließend formulierte die
Düsseldorfer Landtagsverwaltung den Gesetzes-text. Danach
stockte die Diätenreform. Irgendwie hatten die Abgeordneten
wohl Angst vor der eigenen Courage, vor allem aber vor dem
befürchteten negativen Medienecho bekommen. Jedenfalls war aus
den Fraktionen - die Grünen ausgenommen - zu hören, vor
der Europa- und den Kommunalwahlen 2004 sei nicht der rechte
Zeitpunkt für eine so umwälzende Neuerung.
Dass die Reform dann ausgerechnet jetzt kurz
vor der wichtigen Landtagswahl im Mai wieder Fahrt aufgenommen hat,
ist wohl nur mit dem augenblicklich herrschenden politischen Klima
zu erklären. Dazu haben sicher die Affäre um die
"arbeitslosen" Nebeneinkünfte des CDU-Landtagsabgeordneten
Hermann Josef Arentz und die parallel laufenden Kampagne vom Bund
der Steuerzahler NRW (BdSt) beigetragen. Der Bund der Steuerzahler
präsentierte eine Umfrage, wonach sich drei Viertel der
Bürger in NRW für eine Reform aussprachen und
veröffentlichte Zahlen, die belegen, dass mit der Reform
langfristig jährlich zweistellige Millionenbeträge
eingespart werden können. Gleichzeitig startete der BdSt in 69
Städten ein Volksbegehren, in dem die Bürger aufgefordert
wurden, sich an einer Unterschriftenaktion zu beteiligen. Wenn
66.000 Menschen in NRW diese Volksinitiative unterschreiben, muss
sich der Landtag mit dem Thema befassen.
Lob von den Experten
Unter der unerwartet positiven medialen
Begleitung dieser Aktion erklärten sich SPD, Grüne und
FDP bereit, das Reformwerk erneut anzupacken. Nur die Union stellte
sich quer. Ihr Fraktionschef Jürgen Rüttgers
fürchtete noch immer, das Thema nicht richtig vermitteln zu
können. Er gab die Parole aus: "Wir stimmen keiner
Verdoppelung der Diäten zu." Damit unterschätzte er
allerdings den Scharfsinn der Bürger, die durchaus erkannt
hatten, dass sich hinter der vermeintlichen Verdoppelung der
Bezüge mit der Kappung aller anderen Privilegien in
Wirklichkeit eine Kürzung der Abgeordneteneinkommen verbarg.
Rüttgers lenkte ein, formulierte zunächst vorsichtig:
"Wir wollen eine Diätenreform, keine
Diätenerhöhung", um dann unter dem Druck auch der eigenen
Fraktion umzuschwenken: "Wenn die offenen Fragen geklärt sind,
kann die Diätenreform so schnell wie möglich noch vor der
Landtagswahl verabschiedet werden."
Eine Expertenanhörung des
Hauptausschusses im Düsseldorfer Landtag brachte dann den
Durchbruch. Verfassungsrechtler, Steuerexperten und
Politikwissenschaftler lobten einmütig das Gesetzesvorhaben
als "richtungsweisend" und als "zeitgemäße Reform der
Abgeordneten-Finanzierung". Professor Alemann ließ keinen
Zweifel aufkommen: "Das Ziel der Diätenreform ist wichtig und
richtig." Vor allem forderte er, dass die Neuregelung noch in der
laufenden Legislaturperiode in Kraft treten müsse. "Die
Öffentlichkeit wartet ungeduldig auf einen klaren
Reformschritt angesichts der Debatten um Politik- und
Parteienverdrossenheit. Es besteht jetzt die einmalige Gelegenheit,
mit wichtigen gesellschaftlichen Gruppen und gemeinsam durch alle
Landtagsparteien einen klaren Schnitt gegenüber der bisherigen
Tendenz zur Überversorgung zu ziehen. Dass der Bund der
Steuerzahler NRW, der manchmal mit eher populistischen
Vorschlägen über das Ziel hinausschießt, hier
mitzieht, sollte als große Chance begriffen werden." Und
Alemann ermutigte die Abgeordneten: "Wenn die Regelung jetzt aus
politischem Kleinmut oder aus parteipolitischem Kalkül
scheitert, kann sie eigentlich erst zum Ende der nächsten
Wahlperiode, das heißt in fünf Jahren umgesetzt werden -
ein unverantwortlicher Verzug. Den Wählern zu demonstrieren,
dass man auch mitten im Landtagswahlkampf handlungsfähig ist,
das schafft ein gutes Stück Glaubwürdigkeit und Vertrauen
in unsere Parteiendemokratie zurück. So bekämpft man
Protestparteien und Extremisten: durch Handlungsfähigkeit
statt durch Hasenfüßigkeit." Der Frankfurter
Verfassungsrechtler Professor Joachim Wieland betonte, dass mit dem
nordrhein-westfälischen Modell ein "Systemwechsel" gewagt
werde. Es sei der entscheidende Schritt vom Abgeordnetenmandat als
Ehrenamt mit Entschädigung hin zur Berufstätigkeit mit
steuerrechtlichen Verpflichtungen für Normalbürger. Auch
Wieland warnte vor einer Verschiebung der Reform auf die
nächste Legislaturperiode: "Wer sich aber nach den
umfänglichen Diskussionen über eine Diätenreform zur
Wahl für den 14. Landtag des Landes NRW stellt, muss mit der
Diätenreform rechnen und kann kaum mehr Vertrauensschutz
beanspruchen, als bei einer Verabschiedung der Reform noch in der
13. Legislaturperiode gerechtfertigt wäre."
Vertreter anderer Landesparlamente verfolgten
interessiert die Expertenanhörung. Es wird vermutet, dass nach
dem Vorpreschen Nordrhein-Westfalens auch andere Länder ihre
Diätenpraxis überdenken und verändern werden. Der
Deutsche Bundestag hatte keine Beobachter geschickt, obwohl es auch
in Berlin Reformdiskussionen gibt. Obwohl die Diätenreform von
allen vier Fraktionen gebilligt und die Termine bis zur
Verabschiedung im Parlament festgelegt sind, will der Bund der
Steuerzahler NRW seine Unterschriftenaktion fortsetzten. Ihr
Vorsitzender Georg Lampen betont: "Die Volksinitiative geht
natürlich so lange weiter, bis die Diätenreform im
Landtag beraten und beschlossen ist."
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